Die Corona-Pandemie hat das ohnehin wirtschaftlich gebeutelte Simbabwe noch tiefer in die Krise gestürzt. Viele Menschen halten sich über Wasser, indem sie aus ihren Autos heraus Lebensmittel und andere Produkte verkaufen.
In Simbabwe sind Autos zu mobilen Läden geworden. Bewohner verkaufen aus ihren Fahrzeugen heraus Waren, um mit der wirtschaftlichen Not infolge der Coronavirus-Pandemie zurechtzukommen. An den Rändern vielbefahrener Strassen in der Hauptstadt Harare stehen Autotüren und Kofferräume offen, die eifrigen Verkäufer bieten eine bunte Fülle an Produkten feil.
Im Kofferraum eines Mercedes liegen Reis, Zucker und Süssigkeiten ordentlich neben Babykleidung, auf dem Dach sind Decken zum Verkauf ausgebreitet. Der Eigentümer lädt Passanten ein, sein Angebot zu begutachten, während er zugleich ein wachsames Auge auf mögliche Polizisten hat. Denn diese Art von unlizenziertem Strassenverkauf ist illegal in dem Land im Süden Afrikas. Einige Händler wurden bereits festgenommen, aber nicht genug, um die weit verbreitete Praxis zu unterbinden.
Shelton Marange arbeitete als Mechaniker, bevor er im Mai entlassen wurde. Heute trotzt er dem kalten Winterwetter der südlichen Hemisphäre und der Gefahr einer Festnahme oder einer Infektion mit dem Coronavirus, um im Morgengrauen in einem 30 Kilometer entfernten Dorf bei Bauern Gemüse einzukaufen. Dann fährt er zurück nach Harare, um die Lebensmittel von der Ladefläche seines kleinen Lastwagens aus weiter zu verkaufen.
«Das sind jetzt meine Schrauben, Muttern, Schraubenschlüssel», scherzt er und zeigt auf die Kohlköpfe, Karotten, Tomaten, Zwiebeln und Kartoffeln, die sich auf der Ladefläche des Pick-ups stapeln. Um seine Konkurrenten auszustechen, die vielfach an einem Platz verharren, fährt Marange von morgens bis abends herum und verkauft seine Sachen von Ort zu Ort.
Simbabwe litt schon vor der Pandemie unter einer Wirtschaftsflaute mit steigender Inflation, Währungseinbrüchen, hoher Arbeitslosigkeit und akuter Knappheit an Wasser, Strom und Benzin. Der Internationale Währungsfonds (IWF) rechnet mit einem weiteren Schrumpfen der Wirtschaft um mehr als zehn Prozent in diesem Jahr. Die simbabwische Regierung selbst gab den erwarteten Rückgang für 2020 am Donnerstag mit lediglich 4,5 Prozent an.
Die wenigen Industriezweige und Unternehmen im Land, die noch aktiv sind, sind mit der doppelten Last des wirtschaftlichen Niedergangs und der Beschränkungen aufgrund von Corona überfordert. Sie schließen entweder oder streichen Arbeitsplätze.
Im formellen Sektor droht nach Angaben der Nationalen Handelskammer wegen Covid-19 der Verlust von etwa einem Viertel aller Jobs. Gewerkschaften rechnen mit noch höheren Zahlen. Selbst formell beschäftigte Menschen wie Staatsbedienstete verdienten weniger als 50 Dollar im Monat und stockten ihr Einkommen durch Verkäufe aus ihren Autos auf, sagt Peter Mutasa, Präsident des Simbabwischen Gewerkschaftskongresses. «Gehälter sind wegen der Inflation wertlos», erklärt er. «Jeder weint.»
Auch in anderen Teilen Afrikas sind Verkäufe aus dem Kofferraum verbreitet. Joseph Chege etwa arbeitete früher als Elektronikhändler in einem Vorort der kenianischen Hauptstadt Nairobi. Doch infolge der Corona-Restriktionen musste er sein Geschäft schließen. Wegen seiner Schulden aus einem Unternehmerkredit habe er schnell eine neue Einkommensquelle finden müssen, erzählt Chege.
Er erkannte, dass die Nachfrage nach Lebensmitteln unverändert hoch war, es aber wegen Bewegungseinschränkungen zu Knappheiten in Nairobi kam. Zugleich konnten die Bauern in seiner Gemeinde ihre Erzeugnisse nicht verkaufen, weil der lokale Markt geschlossen worden war.
Chege klapperte die Bauernhöfe ab und kaufte die besten Produkte zu den günstigsten Preisen. Dann fuhr er in die dichtbevölkerten Viertel von Nairobi, parkte sein Auto, öffnete den Kofferraum und präsentierte die frischen Waren. «Es hat nicht lange gedauert, und vor dem Mittag hatte ich alles verkauft», sagt er. «Also bin ich zurückgefahren und habe noch mehr eingekauft.»
Sein Gewinn aus dem Obst- und Gemüseverkauf falle zwar deutlich niedriger aus als sein früheres Einkommen, sagt Chege. Aber er sei dankbar, zumindest einen Teil seiner Schulden zurückzahlen zu können - in einer Zeit, in der viele Menschen ihre Lebensgrundlage verlieren. Seinen Elektronikhandel werde er wegen des wirtschaftlichen Abschwungs vorerst nicht wiederaufnehmen können.
Auch in Simbabwe sind die motorisierten Märkte kein ganz neues Phänomen. Bislang war das Angebot aber überwiegend auf Second-Hand-Kleidung beschränkt. Jetzt drängen sich sowohl in reichen als auch armen Vierteln von Harare arbeitslos gewordene Menschen an Straßenrändern und –ecken, um aus ihren Autos heraus Waren anzubieten. Ein Großteil davon wurde aus dem benachbarten Südafrika ins Land geschmuggelt, wie viele Verkäufer sagen. Das Land hat als Teil seines Lockdowns die Grenze zu Simbabwe geschlossen.
Die Corona-Krise hat die ohnehin prekäre wirtschaftliche Situation Simbabwes weiter verschlechtert. «Unternehmen und ganze Industrien sind geschlossen worden», sagt der Ökonom Prosper Chitambara aus Harare. «Immer mehr Menschen schlagen sich mühsam im informellen Sektor durch.»
Für Marshall Chinyani sind die Verkäufe aus dem Kofferraum die neue Normalität. «Früher haben wir das nicht gekannt», sagt der ehemalige Mitarbeiter einer kleinen Importfirma, die wegen der Pandemie den Betrieb einstellte. Er steht neben seinem Auto, das vollgepackt ist mit Gemüse, am Rand einer belebten Straße in Belgravia, einem Vorort von Harare mit vielen Botschaften, UN-Organisationen und internationalen Hilfswerken. «Aber wir wurden gezwungen, unsere Büros und Geschäfte zu verlassen.»