«Social credit»-System Kein Flug- oder Zugbillet wegen einer Busse – Big China is watching you

phi/dpa/sda

25.2.2019

Vorstellung einer Überwachungssoftwareim Oktobver 2018 in Peking.
Vorstellung einer Überwachungssoftwareim Oktobver 2018 in Peking.
Bild: Keystone

China ist ein Überwachungsstaat – so weit, so bekannt. Dass schon das Gassigehen ohne Leine schon zu einem Flugverbot führen kann, überrascht dann aber doch.

Früher war die Welt noch so einfach. Damals dachte der Westen: Wenn wir im grossen Stil mit China handeln, wird die Marktwirtschaft im Zusammenspiel mit moderner Technologie das Reich der Mitte öffnen, bis die Demokratie Einzug hält und obsiegt.



Heute wissen wir, dass das einfach falsch war – und zwar falsch im grossen Stil. Peking sich die Rosinen aus dem Angebot herausgepickt: Nun kann dass Land Druck auf abhängige Handelspartner ausüben und mit Devisen das eigene, technokratische System zementieren. Technologien wurden übernommen – aber gerade auch, um mit ihnen das Volk besser kontrollieren zu können.

Hund ohne Leine geführt – Zugbillet verwehrt

Letzteres manifestiert sich im System der «sozialen Vertrauenswürdigkeit»: Es teilt die Bürger in gut und schlecht ein. Was dabei in welche Kategorie fällt, legt die Einheitspartei fest. Dass beispielsweise Demonstrationen gegen die Regierung oder Forderungen nach Abschaffung der Zensur keine Pluspunkte geben, dürfte jedem klar sein. Gefördert wird so eher ein Verhalten wie das Verbreiten von Propaganda oder auch das Denunzieren des Nachbarn.

Digitale Überwachung in China:

Seit 2014 wird das «social credit»-System angewandt. Nun wird bekannt, wie sich das Ganze auf den Alltag der Chinesen auswirkt: Dank der Datenüberwachung hat Peking im Jahr 2018 17,5 Millionen Menschen wegen ihres schlechten Punktekontos ihren Flug verwehrt, berichtet der britische «Independent». 5,5 Millionen von ihnen durften wegen ihrer Vergehen noch nicht einmal mit dem Zug reisen.



Wenn davon Schwerverbrecher betroffen sind, könnte das andere Passagiere wohl noch einleuchten. Doch im Punktesystem kann man schon wegen kleiner Vergehen grosse Probleme bekommen: Es gibt Regionen, in denen man schon dafür Minuspunkte erhält, wenn man seinen Hund ohne Leine ausführt. Unter Berufung auf das National Public Credit Information Centre heisst es, auch falsche Werbung könne dazu führen, dass einem Flug- oder Zugbillet verwehrt wird. Wie viele Chinesen überhaupt in Gebieten leben, in denen «soziale Glaubwürdigkeit» gemessen wird, verriet die Behörde allerdings nicht.

Technische Möglichkeiten noch nicht ausgeschöpft

Wer nun glaubt, die Zahl der gegroundeten Chinesen sei angesichts der Grösse des Volkes irrelevant, bedenkt nicht, dass das System noch nicht landesweit eingeführt worden ist und noch nicht alle technischen Möglichkeiten ausgeschöpft werden. Wohin die Reise geht, kann in der Provinz Xinjiang sehen, wo das muslimische Volk der Uiguren lebt.

In ihrem letzten Jahresbericht warnte die deutsche Gesellschaft für bedrohte Völker «vor einem Missbrauch künstlicher Intelligenz zur Verfolgung von Regimekritikern». Die Machthaber setzten «immer mehr auf eine lückenlose Gesichtserfassung und Satellitenüberwachung von Uiguren und Kasachen, um sie noch stärker kontrollieren zu können.»

Laut «Independent» hat Peking in der vergangenen Woche dazu die Probe aufs Exempel gemacht – und die Bewegung von 2,5 Millionen Uiguren nachvollzogen, indem sie alle zur Verfügung stehenden Daten von Sicherheitskameras und von Checkpoints der Polizei auswertete. Das ist auch deshalb besorgniserregend, weil die Vereinten Nationen zuletzt gemeldet haben, dass bis zu einer Million Uiguren in Umerziehungslagern interniert sind.

Inhaftierung ohne Gerichtsverfahren

Das Turkvolk war im ehemaligen Ostturkestan beheimatet, bevor Xinjiang 1949 nach der Machtübernahme von den Kommunisten annektiert wurde. Die Uiguren beklagen gewaltsame Unterdrückung, während ihnen die Chinesen Separatismus vorwerfen: Peking rechtfertigt sein Vorgehen mit extremistischen Strömungen in Xinjiang und macht das Volk für blutige Unruhen und Terroranschläge verantwortlich.

Lange hatte Chinas Führung die Existenz von Umerziehungslagern für Muslime in Xinjiang bestritten, im Oktober wurden sie dann per Gesetz nachträglich legalisiert. Damit ist die Inhaftierung Verdächtiger ohne Gerichtsverfahren erlaubt sowie «ideologische Erziehung gegen Extremismus, psychologische Behandlung und Verhaltenskorrekturen».

Wie China Muslime umerziehen will:

Die allgegenwärtige Überwachung ist auch für Fremde gefährlich: Der Pekinger Auslandskorrespondentenclub (FCCC) beklagt bei der Arbeit seiner Mitglieder immer grössere Probleme. Rund die Hälfte der Korrespondenten gab an, dass sie bei der Verrichtung ihres Jobs verfolgt wurden. Hotelzimmer seien ohne Erlaubnis betreten worden. Auch seien in vielen Fällen die Bewegungen der Journalisten von den Behörden mit Hilfe von Kameras oder anderer Überwachungssysteme systematisch aufgezeichnet worden.

Berichte aus Xinjiang unerwünscht

In einer jährlichen Befragung sagten 56 Prozent der Journalisten, dass sich die Recherchebedingungen im Vergleich zum Vorjahr weiter verschlechtert hätten. «Während Chinas staatliche Medien 2018 im Ausland expandierten und ihre Reichweite ausweiten konnten, schrumpft der Spielraum für Berichterstattung innerhalb des Landes weiter, sagte die FCCC-Präsidentin Hanna Sahlberg. Die Umfrage zeichnete demnach das düsterste Bild seit Jahren.

China als Militär-Supermacht:

Mehr als ein Drittel der Befragten gab an, dass ihre chinesischen Mitarbeiter unter Druck gesetzt, schikaniert oder eingeschüchtert wurden. Auch zahlreiche Interviewpartner sind demnach belästigt oder verhört worden. Sechs Korrespondenten gaben an, aufgrund ihrer Berichterstattung Probleme mit der Erneuerung ihres Visums bekommen zu haben. Die China-Korrespondentin der Website BuzzFeed, Megha Rajagopalan, wurde effektiv ausgewiesen, nachdem sie nach Xinjiang gereist war.

Besonders die Berichterstattung in Xinjiang wurde im vergangenen Jahr erheblich schwieriger. 24 von 27 Befragten, die in die Region gereist waren, gaben an, dort bei ihren Recherchen behindert worden zu sein. In vielen Fällen mussten Daten oder aufgenommene Fotos gelöscht werden. China gehört laut der Organisation Reporter ohne Grenzen zu den Ländern mit den meisten inhaftierten Journalisten und Bloggern. In der Rangliste zur globalen Pressefreiheit liegt das Land auf Platz 176.

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