Angriffswelle hallt nach Kiew schürt fleissig Drohnen-Gerüchte, Moskau rüstet auf

Von Gil Bieler

1.9.2023

Der Flughafen von Pskow sei von russischem Territorium aus angegriffen worden, sagt Kyrylo Budanov, der Chef des ukrainischen Militärgeheimdienstes HRU. 
Der Flughafen von Pskow sei von russischem Territorium aus angegriffen worden, sagt Kyrylo Budanov, der Chef des ukrainischen Militärgeheimdienstes HRU. 
Bild: AP

Die Ukraine kostet ihre Angriffswelle auf russisches Gebiet weiter aus, schürt Gerüchte und macht vage Andeutungen. Militär-Analyst Niklas Masuhr von der ETH Zürich versucht, Licht ins Dunkel zu bringen.

Von Gil Bieler

1.9.2023

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Erst jetzt wird deutlich, welchen Schaden ukrainische Drohnen bei vier russischen Transportflugzeugen auf dem Flughafen Pskow in der Nacht auf Mittwoch angerichtet haben. 
  • Ukrainische Funktionäre lassen erste Details zu den Angriffen durchblicken. Welche Drohnen eingesetzt wurden, bleibt aber offen.
  • Zugleich berichten ukrainische Medien von einem angeblichen neuen Drohnentyp aus Karton.
  • Für Niklas Masuhr, Strategieexperte der ETH Zürich, ist klar, welcher militärischen Logik diese Angriffe folgen: Der Gegner werde vor ein Dilemma gestellt. 
  • Gleichzeitig seien auch Drohnen keine Wunderwaffe.

Ob in Moskau oder Kiew: Die bisher grösste Angriffswelle auf russische Städte und Regionen der frühen Mittwochmorgenstunden hallt immer noch nach.

Luftaufnahmen des besonders schwer getroffenen Flughafens von Pskow zeigen nun: Die vier Transportflugzeuge des Typs Ilyushin IL-76 wurden wahrscheinlich mehr als nur «beschädigt», wie es die lokalen russischen Behörden nennen.

Zwei der vier strategisch bedeutenden Maschinen seien komplett zerstört worden, meldet der Militärblog «Ukrainian Front». Die anderen beiden Maschinen seien «schwer beschädigt» worden. Dem Bericht zufolge liege das daran, dass der Treibstofftank der Flugzeuge getroffen worden sei.

Das Nachrichtenportal «Visegrad 24» teilt Luftaufnahmen, die eine Il-76 vor und nach dem ukrainischen Treffer zeigen sollen. 

Die Tanks der Maschinen seien bewusst als Ziel gewählt worden, wird Kyrylo Budanov, der Chef des ukrainischen Militärgeheimdienstes HRU, von «The Drive» zitiert. Weiter sagte er dem Portal, dass die Angriffe auf Pskow «von russischem Territorium aus» erfolgt seien – ohne aber zu klären, ob ukrainisches Militär oder russische Partisanen am Werk waren. Auch auf die Frage, welche Art von Drohnen zum Einsatz kamen oder wie viele, geht er nicht näher ein.

Unabhängig bestätigen lassen sich diese Angaben – wie meist im Kriegsgeschehen – ohnehin nicht. Sie decken sich aber teilweise mit Aussagen, die ein anonymer Mitarbeiter des ukrainischen Verteidigungsministeriums bei der britischen BBC gemacht hat. Er präzisiert ferner, dass der Schlag auf den Pskow-Flughafen ein Werk des Militärgeheimdienstes HRU gewesen sei.

«Der Gegner wird vor ein Dilemma gestellt»

Welche Drohnen die Ukraine konkret einsetzt, dazu fehlen nach wie vor verlässliche Informationen. Die Strategie, die mit den unbemannten Flugobjekten verfolgt wird, liegt für Niklas Masuhr, Sicherheitsforscher am Center for Security Studies der ETH Zürich, aber auf der Hand.

«Die militärische Logik dieser Schläge geht in eine ähnliche Richtung wie jene, die Russland mit seinen Drohnenangriffen auf ukrainische Städte verfolgt: Dass der Gegner vor das Dilemma gestellt wird, seine Luftabwehrsysteme zu verteilen und gegebenenfalls von der Front abziehen zu müssen», erklärt Masuhr auf Anfrage von blue News.

Dass die russische Luftabwehr nicht jede Drohne abfangen könne, sei dabei wenig verwunderlich: Es gebe schlicht kein «Luftabwehr-Supertool», das alle Bedrohungen aus der Luft gleich effektiv eliminieren könne. Nur schon die unterschiedliche Flughöhe der verschiedenen Drohnentypen stelle solche Systeme vor eine Herausforderung. «Luftabwehr ist daher nicht gleich Luftabwehr», hält Masuhr fest. Ausserdem müsse jede Kriegspartei Prioritäten setzen, welche Objekte sie schützen will.

Mehr Informationen als jetzt zur jüngsten Angriffswelle auf russische Ziele liegen zu Luftschlägen auf ukrainische Städte während des Winters vor. Die russischen Truppen setzten hier zum einen Kalibr-Lenkwaffen und zum anderen Drohnen des iranischen Typs Shahed ein. Dabei hat sich laut Masuhr gezeigt: Sogenannte Loitering-Drohnen oder Kamikazedrohnen seien zwar «günstig zu produzieren, aber haben keinen mit Marschflugkörpern oder anderen Präzisionswaffen vergleichbaren Effekt».

Das liege unter anderem an der geringeren Präzision: «Sobald Shaheds in Aussenbezirken gestört wurden, schalteten sie auf Trägheitsnavigation um, wodurch die Präzision sank.» Auch sei die Zerstörungskraft geringer, ein Gefechtskopf der Kalibr wiege 400 bis 500 Kilogramm, jener von Shahed-Drohnen nur 30 bis 50 Kilogramm. Auch wenn unklar sei, welche Drohnen die Ukraine einsetzt: «Signifikant anders dürfte das kaum aussehen.»

Ukrainische Berichte über Karton-Drohnen

Die Ukraine nährt derweil Spekulationen um einen angeblichen neuen Drohnentyp, der bereits vor einigen Tagen bei Angriffen auf einen Flughafen im russischen Grenzgebiet Kursk zum Einsatz gekommen sei. 16 aus Karton gefertigte Flugkörper seien eingesetzt worden, berichteten ukrainische Medien am Donnerstag auf Quellen beim Geheimdienst SBU.

Der Vorteil der Karton-Drohnen: Sie seien für Flugabwehr-Radare nur schwer zu orten. Bei dem Schlag auf Kursk sollen fünf russische Kampfflugzeuge und mehrere Flugabwehrsysteme beschädigt worden sein. Die russische Seite bestätigte zwar den Angriff, machte aber keine Angaben zu allfälligen Schäden.

Moskaus Bürgermeister prahlt mit Abwehr-Fähigkeiten

In Moskau – die russische Metropole wurde ebenfalls Ziel der Drohnen-Angriffswelle in der Nacht auf Mittwoch – spricht Bürgermeister Sergej Sobjanin derweil davon, dass die Luftverteidigung ausgebaut und verbessert werde.

Der Nachrichtenagentur Interfax zufolge sagte er am Donnerstagabend, dass in den letzten Wochen teils täglich neue Flugabwehrsysteme errichtet worden seien. «Manchmal hat der Asphalt gar keine Zeit zum Abkühlen – und schon sind die Raketen im Einsatz, die die fliegenden Drohnen abschiessen», sagte der Bürgermeister demnach.

Offiziellen Angaben zufolge können die meisten Drohnen in Moskau abgefangen werden, was Beobachter*innen jedoch in Zweifel ziehen: Schon mehrfach schlugen die unbemannten Flugkörper mitten im Stadtzentrum ein. Die Bilder aus dem getroffenen Geschäftsviertel Moskwa City gingen um die Welt – und dürften Sobjanin gar nicht passen, der sich schon in wenigen Tagen zur Wiederwahl als Bürgermeister stellt.

*Mit Material der Nachrichtenagentur DPA.

Drohne fällt auf Bahnhof in der russischen Stadt Kursk

Drohne fällt auf Bahnhof in der russischen Stadt Kursk

Russland hat seit dem frühen Sonntagmorgen Drohnenangriffe auf Ziele in verschiedenen Regionen des Landes gemeldet. Zunächst berichtete die russische Nachrichtenagentur Tass unter Verweis auf den Goucerneur der Region Kursk, eine Drohne sei in der gleichnamigen Stadt durch das Dach eines Bahnhofs geschlagen. Fünf Personen seien verletzt worden. Die Drohne habe zudem ein Feuer verursacht.

21.08.2023