Hans Küng ist tot Die Kirche verliert ihren unbeugsamsten Rebellen

ot

6.4.2021 - 19:04

Hans Küng ist tot. Der Theologe ist mit 93 Jahren gestorben.
Hans Küng ist tot. Der Theologe ist mit 93 Jahren gestorben.
Marijan Murat/dpa (Archivbild)

Er hat viel Unruhe gestiftet in der katholischen Kirche. Hans Küng hat von den Päpsten sein Leben lang eine Rückbesinnung auf die Bibel gefordert. Doch wirklich ans Ziel gekommen ist er nie.

Keystone-SDA, ot

Rebellisch und unbeugsam war er, manchmal penetrant, und zugleich einer der wichtigsten Kämpfer für eine Verständigung zwischen den Religionen: Der katholische Theologe Hans Küng hat sein Leben lang für eine moderne und zugleich ursprüngliche Kirche gekämpft. «Mehr Jesus – weniger Papst» war eine seiner Hauptforderungen, mit der er für viele reformorientierte Katholiken zu einer Galionsfigur wurde und in Rom in Ungnade fiel. Er war einer der wichtigsten Gegenspieler von Papst Benedikt XVI.

Am Dienstag starb Küng im Alter von 93 Jahren in Tübingen. Er sei friedlich in seinem Haus in Tübingen eingeschlafen, teilte eine Sprecherin der Stiftung Weltethos in Tübingen mit. Als erstes hatte die «Südwestpresse» berichtet.

Eine Episode aus den 1960er Jahren wird in Tübingen bis heute gern erzählt: Küng und Joseph Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI., waren damals Kollegen an der katholischen Fakultät. Doch während Ratzinger still und unauffällig mit dem Velo zur Uni kam, fuhr Küng mit seinem laut röhrenden Alfa Romeo vor. Während der feingeistige Ratzinger in Rom Karriere machte, wurde der polternde Küng zu seinem lautesten Kritiker.

Egal, mit wie vielen theologischen Fragen sich Küng beschäftigt hat: Letztlich war der Kampf gegen die zentralistische römische Kirche sein Lebensthema. Die Kirche sei von einer Gemeinschaft der Gläubigen zu einer «geistlichen Diktatur» geworden, schrieb er 2011 in seinem Buch «Ist die Kirche noch zu retten?». Der biblische Jesus Christus habe die Päpste beim Ausbau ihrer Macht gestört und sei durch ein «selbstfabriziertes Kirchenrecht» verdrängt worden.

Hans Küng im April 2013 an der Universität Tübingen.
Hans Küng im April 2013 an der Universität Tübingen.
KEYSTONE/EPA/DANIEL BOCKWOLDT (Archivbild)

Spott über Zölibat

All die grossen Probleme wie der Priestermangel, der Mitgliederschwund oder der Skandal um sexuellen Kindesmissbrauch durch katholische Geistliche – für Küng waren sie die Folge einer ausufernden päpstlichen Macht. Sein Gegenprogramm erinnerte in vielen Punkten an die Forderungen der protestantischen Reformatoren.

Die katholische Kirche müsse sich wieder auf die Bibel konzentrieren. Dort stehe nichts davon, dass Priester im Zölibat leben müssten oder dass Frauen keine Priester werden dürften. «Wenn Jesus von Nazareth wiederkäme, würde er weder die Pille verbieten noch die Geschiedenen zurückweisen», sagte er einmal.

Der gebürtige Schweizer hatte zunächst eine typisch katholische Priester-Karriere eingeschlagen. Geboren wurde er am 19. März 1928 als Sohn eines Schuhhändlers in der Kleinstadt Sursee im Kanton Luzern. Mit 20 ging er an die Päpstliche Universität in Rom, 1960 wurde er Professor im süddeutschen Tübingen, wo er für den Rest seines Lebens blieb.

Konzils-Berater

Ein Höhepunkt in seinem Leben war die Berufung zum Berater des Zweiten Vatikanischen Konzils 1962 bis 1965. Unermüdlich hat Küng später an die dort gefassten reformorientierten Beschlüsse erinnert und es bitterlich beklagt, dass Papst Johannes Paul II. und Benedikt XVI. die Kirche wieder auf einen konservativen Kurs lenkten.

In den 1970er Jahren zweifelte Küng in seinen Büchern immer vehementer die Unfehlbarkeit des päpstlichen Lehramts an. Mehrmals mahnte die römische Kurie ihn zur Ordnung, verbot schliesslich die Veröffentlichung einiger Bücher. «Es ging um die bedingungslose Unterwerfung unter das römische Diktat», meinte Küng später. Aber unterwerfen wollte er sich auf keinen Fall. 1979 liess Johannes Paul II. ihm deshalb die Lehrerlaubnis entziehen.

Doch anders als vom Vatikan gehofft, war Küng durch diesen Schritt alles andere als mundtot gemacht – vermutlich steigerte er seine Popularität noch. Die Universität Tübingen schuf für ihn einen Lehrstuhl für ökumenische Theologie. Küng wurde zu einem der wichtigsten Vordenker der Verständigung zwischen Christen, Juden und Muslimen.

Vorwurf des Populismus

Innerkirchlich allerdings haben ihm seine Maximalforderungen nach einer Abkehr von Rom, vom Zölibat oder vom Pillen-Verbot auch den Vorwurf des Populismus eingebracht. Zwar schaffte es Küng, die Befindlichkeiten kirchenkritischer Menschen zu treffen. Doch beim Versuch, die Kirche und die Welt moderner Katholiken unter einen Hut zu bringen, habe er auch ein «schwammiges, wohlmeinendes Ethik- Destillat» entwickelt – wie es die «Süddeutsche Zeitung» einst beschrieb.

Dass ausgerechnet sein alter Weggefährte Joseph Ratzinger, den Küng immer wieder als «Grossinquisitor» bezeichnete, Papst wurde, hat ihn im hohen Alter noch einmal zusätzlich gereizt. Immer wieder appellierte Küng an die deutschen Bischöfe, endlich Ungehorsam gegenüber dem Papst zu leisten. Auch unter Benedikts Nachfolger Franziskus blieb ihm sein Wunsch verweigert, von Rom rehabilitiert zu werden.

Glaube an Leben nach dem Tod

Doch seine Interviews wurden zuletzt seltener und seine Appelle weniger energisch. Unter anderem durch eine Parkinson-Erkrankung versagten ihm die Hände den Dienst. Auch sehen konnte er immer schlechter, wie er 2013 in seiner Autobiografie öffentlich machte.

Darin schrieb Küng auch, dass er notfalls mit Hilfe einer Schweizer Sterbehilfeorganisation aus dem Leben scheiden wolle. «Ich will nicht als Schatten meiner selbst weiterexistieren», macht er klar. «Der Mensch hat ein Recht zu sterben, wenn er keine Hoffnung mehr sieht auf ein nach seinem ureigenen Verständnis humanes Weiterleben.»

Er empfinde keine Furcht, sondern glaube fest an ein Leben nach dem Tod, sagte er. Sein Grab auf dem Tübinger Stadtfriedhof, unweit der letzten Ruhestätte seines Freundes, des Philologen Walter Jens, hatte Küng schon längst ausgesucht.