Masken und Bücher Kulturkampf an Schulen spaltet Amerika

AP/toko

26.12.2021 - 14:36

Das Thema Schulbildung trifft seit Beginn der Pandemie bei vielen Konservativen in Amerika einen Nerv.
Das Thema Schulbildung trifft seit Beginn der Pandemie bei vielen Konservativen in Amerika einen Nerv.
Brittainy Newman/AP/Keystone

Mit dem Thema Schulbildung werden in den USA neuerdings Wahlkämpfe bestritten – und mitunter gewonnen. Im Staat Wyoming wirft eine Begebenheit bei eine r Schulbeiratssitzung ein grelles Schlaglicht auf den Kulturkampf um Bücher und Lehrpläne.

DPA, AP/toko

Bei der Sitzung des Schulbeirats in Wyoming machten viele Eltern wieder einmal ihrem Ärger über die Maskenpflicht Luft, als das Thema abrupt wechselt: Eine Mutter beginnt laut freizügige Passagen aus einem Roman vorzulesen, der in Schulbüchereien ausliegt. «Eltern wie ich hatten ja keine Ahnung, dass dieses Zeug hier ist», klagt die Frau, Shannon Ashby. Sie ist Elternvertreterin im ersten Schulbezirk von Laramie County in Cheyenne, der Hauptstadt des US-Staats.

Das Thema Schulbildung trifft seit Beginn der Pandemie bei vielen Konservativen in Amerika einen Nerv. Galt der Widerstand der Eltern zunächst der Maskenpflicht und anderen Pandemiemassnahmen, hat sich ihr Fokus inzwischen auf andere Bereiche ausgeweitet, die aus ihrer Sicht konservativen Werten zuwiderlaufen. Dazu gehören Lehrpläne, die gesellschaftliche Themen wie soziale Gerechtigkeit, Genderpolitik, Ethnie und Geschichte behandeln. Oder eben als anstössig empfundene Bücher.



Extreme Linke im Schulbezirk?

«Wenn man den Stoff, der da vorgetragen wurde, um Bilder ergänzen würde, wäre unsere Schulbehördendirektorin wegen Schmuggels von Kinderpornografie im Gefängnis», sagt Darin Smith über Ashbys denkwürdige Lesung. Er ist Anwalt und war republikanischer Kandidat für den US-Kongress, seine Frau sitzt im Schulbeirat. «Ich hätte von diesen extremen Linken, die unseren Schulbezirk kontrollieren, nie erfahren, wenn ich nicht hingegangen wäre, um meinen Widerstand gegen Masken kundzutun», erklärt Smith.

Ashby kämpft nun für die Entfernung des Romans aus den Highschools und Mittelschulen in Cheyenne. Das preisgekrönte Werk trägt den Titel «Monday's Not Coming». Der Roman von Tiffany D. Jackson dreht sich um das mysteriöse Verschwinden einer schwarzen Teenagerin. Fans halten dem Buch zugute, wichtige Botschaften über Armut, Kindesmissbrauch und Freundschaft zu transportieren. Passagen, in denen etwa ein Junge und ein Mädchen auf dem Lehrerpult Sex haben, sind in «Monday's Not Coming» aber auch zu finden. Passagen mit Anspielungen auf sexuelle Handlungen las Ashby bei der Beiratssitzung auch aus «Traffic» vor, einem Roman über junge Opfer von Sexhandel von Autorin Ellen Hopkins.

Der Kulturkampf um Lehrpläne und Bücher in Wyoming ist beileibe kein Einzelfall in den USA. Eine ähnliche Debatte tobte kürzlich im Staat Virginia, wo der Republikaner Glenn Youngkin mit Schützenhilfe des früheren Vizepräsidenten Mike Pence die Bildungspolitik ins Zentrum seines Wahlkampfs um das Gouverneursamt stellte. Am Ende bezwang Youngkin den demokratischen Kandidaten Terry McAuliffe – und empfahl seinen republikanischen Amtskollegen, beim Wählerfang gegebenenfalls auf die Bildung zu setzen.

An vielen Schulen der USA ist ein regelrechter Kulturkampf entbrannt. Es geht etwa um Masken für Kinder.
An vielen Schulen der USA ist ein regelrechter Kulturkampf entbrannt. Es geht etwa um Masken für Kinder.
AP Photo/Brynn Anderson

Umstrittene Lehrpläne

Als politisch heisses Eisen gelten die Inhalte von Lehrplänen auch in den US-Staaten North und South Carolina sowie in Texas. Und in Kansas nahmen Verantwortliche der Schulbehörden nach einer Beschwerde fast 30 Bücher aus den Regalen, stellten sie aber bald darauf wieder zurück.

Ein Schulbezirk in einem Vorort von Salt Lake City im Staat Utah entfernte nach einer Beanstandung durch Eltern für die Dauer einer Untersuchung ebenfalls einige Werke, darunter «The Bluest Eye» (dt. «Sehr blaue Augen») von Literaturnobelpreisträgerin Toni Morrison. Die für Utah zuständige Abteilung der US-Bürgerrechtsgruppe ACLU leitete daraufhin im November Ermittlungen gegen den Vorgang ein. In anderen Büchern, die im Schulbezirk ins Visier von Eltern geraten sind, geht es um Figuren und Handlungen aus LGBTQ-Lebenswelten.

Büchereiverbände stemmen sich dagegen – und verweisen darauf, dass viele der kritisierten Bücher von den Kämpfen von Minderheiten erzählten. Kampagnen für deren Beseitigung sendeten die Botschaft an junge Angehörige dieser Gruppen, dass ihre Ansichten nicht zählten, sagt Deborah Caldwell Stone, Direktorin des Büros für Intellektuelle Freiheit der US-Bibliothekenvereinigung ALA. Im Übrigen finde sie es erstaunlich, dass so viele Gruppen das Wort «Freiheit» im Namen trügen und auf das individuelle Recht auf Ausübung ihrer Freiheiten pochten, zugleich aber so schnell auf Zensur zurückgriffen.

Tatsächlich gehört etwa Shannon Ashby zu Moms for Liberty, einer konservativen Gruppe, die sich nach eigenen Angaben den Kampf gegen eine «kurzsichtige und destruktive» Politik in öffentlichen Schulen auf die Fahnen geschrieben hat.

«Eltern sollten lesen, was ihre Kinder lesen»

An jenem Abend, als Ashby dem Schulbeirat aus «Monday's Not Coming» vorlas, macht sich nur eine einzige Person für die Maskenpflicht und den Erhalt der Bücher stark. «Eltern sollten lesen, was ihre Kinder lesen, und wenn es ihnen nicht gefällt, dann sollen sie es sie nicht lesen lassen», meint Renee Hinkle, eine Gynäkologin. «Das heisst nicht, dass sie das Recht haben, diese Entscheidung für jede andere Familie zu fällen.» Hinkle erntet abfällige Zwischenrufe für ihren Einwurf.

Mendee Cotton, eine Grossmutter von sieben an örtlichen Schulen eingeschriebenen Kindern, lässt den Schulbeirat in Cheyenne wissen, dass sie die umstrittenen Bücher für «Pornografie, Pädophilie» hält. Eltern würden nicht eher ruhen, bis sie weg seien. «Der schlafende Riese ist erwacht. Ihr habt unsere Kinder beeinflusst und nun sind wir wütend», ergänzt Cotton. «Täuscht euch nicht, das ist ein Krieg.»