Regionalwahlen in Frankreich «Le Pen war vielen offensichtlich zu extrem»

Von Sven Hauberg

28.6.2021

Die Partei von Marine Le Pen konnte in Frankreich keine der Regionen gewinnen.
Die Partei von Marine Le Pen konnte in Frankreich keine der Regionen gewinnen.
Bild: Keystone

Die Wahlbeteiligung niedrig, das Ergebnis überraschend: Eine Expertin erklärt, was der Ausgang der Regionalwahlen in Frankreich für die Präsidentschaftswahlen im kommenden Jahr bedeutet.

Von Sven Hauberg

28.6.2021

Am gestrigen Sonntag wurden die Franzosen für die zweite Runde der Regionalwahlen an die Urnen gerufen – die meisten aber blieben zu Hause, die Wahlbeteiligung lag bei niedrigen 41 Prozent. Diejenigen aber, die ihre Stimme abgegeben hatten, sorgten für eine Überraschung: Entgegen allen Erwartungen konnte die Partei der Rechtsextremen Marine Le Pen keine einzige der französischen Regionen für sich entscheiden. Eine noch grössere Schlappe musste die Partei von Präsident Emmanuel Macron einstecken. Die Frankreich-Expertin Caroline Kanter bewertet im Interview den Ausgang der Wahl.

Sowohl die Partei von Emmanuel Macron als auch die Partei von Marine Le Pen haben bei den Regionalwahlen schlecht abgeschnitten. Was wollen die Wähler mit diesem Votum sagen?

Es war keine grosse Überraschung, dass das Ergebnis für Macrons Bewegung so schlecht ausgefallen ist. Das war schon nach dem ersten Wahlgang abzusehen, und auch die Kommunalwahlen aus dem vergangenen Jahr haben gezeigt, dass Macrons La République en Marche auf regionaler Ebene schwach verankert ist. In den fünf Jahren, die es die Bewegung nun schon gibt, ist es Macron nicht gelungen, sie im gesamten Land als politische Kraft zu etablieren. Überraschender war das schwache Abschneiden von Marine Le Pens Rassemblement National. Besonders jüngere Wählerinnen und Wähler haben mit Le Pens Partei sympathisiert. Es hat allerdings offenbar nicht geklappt, sie zu mobilisieren.

Zur Person
zVg

Caroline Kanter ist Leiterin des Auslandsbüros Frankreich der Konrad-Adenauer-Stiftung. Die Stiftung, die der deutschen Partei CDU nahesteht, gilt als eine der wichtigsten Denkfabriken Europas.

Die Regionalwahlen wurden oft als Stimmungstest für die Präsidentschaftswahlen im kommenden Jahr bezeichnet. Zu Recht?

Zunächst muss man festhalten, dass sich nur rund ein Drittel der Franzosen an den Wahlen beteiligt hat. Also sollte man das Ergebnis schon deshalb nicht überinterpretieren. Ausserdem haben die Regionen in Frankreich eher geringe Kompetenzen, entsprechen gering ist auch das Interesse der Wählerinnen und Wähler.

Welchen Einfluss hatte die Corona-Pandemie auf die Wahlen?

Die Wahl fand unter besonderen Voraussetzungen statt. Vor allem ältere Wähler dürften wegen der Pandemie der Wahl ferngeblieben sein, ausserdem gab es Berichte, dass es Probleme gab bei der Zustellung der Wahlunterlagen. In Frankreich herrschten in den letzten Monaten zudem strikte Ausgangsbeschränkungen, die erst in den vergangenen Wochen schrittweise gelockert wurden. Vielleicht lagen die Prioritäten der Franzosen an den beiden letzten Sonntagen also auch nicht bei den Wahlen, sondern woanders …



Haben die Franzosen in Krisenzeiten vielleicht auch eine Sehnsucht nach Beständigkeit, die sich nun im Wahlergebnis niedergeschlagen hat?

Ich denke, die Wahl zeigt vor allem, dass die traditionellen Parteien – die Republikaner im rechten Spektrum und die Sozialisten im linken – noch immer stark im Land verankert sind und dass die Menschen mit ihrer Politik zufrieden sind. Le Pens Rassemblement National war vielen offenbar zu extrem.

Emmanuel Macron bei der Stimmabgabe am Sonntag: Die Partei des französischen Präsidenten musste bei der Regionalwahl eine empfindliche Niederlage einstecken.
Emmanuel Macron bei der Stimmabgabe am Sonntag: Die Partei des französischen Präsidenten musste bei der Regionalwahl eine empfindliche Niederlage einstecken.
Bild: Keystone

Marine Le Pen ist im Wahlkampf allerdings relativ gemässigt aufgetreten – eine Strategie, die sich nicht ausgezahlt hat. Wird sie sich im Präsidentschaftswahlkampf nun wieder radikalisieren?

Es standen nun ja nicht Le Pen oder Macron zur Abstimmung, sondern regionale Kandidatinnen und Kandidaten. Ausserdem hat sich gezeigt, dass oftmals die Amtsinhaber bestätigt wurden – aus der Opposition heraus eine Wahl zu gewinnen, ist immer schwieriger. Die moderateren Töne, die Marine Le Pen angeschlagen hat, hat man schon länger so gehört. Ich denke auch nicht, dass sie von diesem Kurs abweichen wird, sondern versuchen wird, die Bürgerinnen und Bürger von der politischen Mitte bis nach rechts für ihre Bewegung zu mobilisieren.

Und welche Lehren wird Macron aus den Wahlen ziehen? Weg von der Europa-, hin zur Innenpolitik?

Schon bei der Regierungsumbildung im vergangenen Jahr hat man gesehen, dass Macron versucht, das Thema der inneren Sicherheit stärker zu besetzen. Damit versucht er, die Wähler der politischen Mitte anzusprechen. Er sieht aber gleichzeitig auch seine République en Marche als Europapartei in Frankreich; also wird er sich weiter für den Integrationsprozess in Europa einsetzen. Zumal Frankreich im kommenden Jahr die EU-Ratspräsidentschaft innehaben wird. Er wird sich also im Präsidentschaftswahlkampf nicht nur als französischer, sondern auch als europäischer Staatsmann präsentieren.

Überraschend gut abgeschnitten haben die Grünen. War das eine «grüne Welle», wie die Grünen selbst behaupten?

Zunächst muss man wissen, dass die französischen Grünen im politischen Spektrum relativ weit links zu verorten sind, anders etwa als die deutschen Grünen, die in den letzten Jahren immer weiter in die Mitte gerückt sind. Schon bei den Kommunalwahlen im vergangenen Jahr konnten die französischen Grünen einige Städte für sich entscheiden, aber die Verankerung im ländlichen Raum ist nicht sonderlich stark ausgeprägt, wie das bei anderen Parteien der Fall ist. Dass das linke Lager Allianzen für die Präsidentschaftswahlen schmieden und sich auf einen gemeinsamen Kandidaten einigen wird, danach sieht es momentan nicht aus. Davon wird aber der Erfolg und der Einfluss der Grünen abhängen.



Sie haben den Gegensatz zwischen Stadt und Land angesprochen. Welche Rolle haben die Gelbwesten bei diesen Wahlen gespielt – und welche Rolle spielen sie überhaupt noch in Frankreich?

Die Gelbwesen sind keine politische Bewegung oder Partei und auch nicht bei den Wahlen angetreten. Man findet sie dafür in Teilen der politischen Rechten wieder, auch in Le Pens Rassemblement National. Als eigene Kraft sind sie schon aufgrund der Pandemie, die ja das gesamte politische Leben in Frankreich gelähmt hat, kaum in Erscheinung getreten. Die Themen, die sie angesprochen haben, sind aber nach wie vor relevant. Es ist also durchaus möglich, dass die Gelbwesten, um die es momentan sehr ruhig ist, wieder zurückkommen. Zumal Macron angekündigt hat, in den nächsten Monaten einige Reformen umsetzen zu wollen, die wieder starke Kritik hervorrufen könnten. Ob das aber so eine starke Mobilisierung wird wie früher und ob es auch wieder derartige Gewaltexzesse geben wird, das ist schwer abzusehen.