Eine solche Beerdigung hätten sich die Angehörigen von Sadig Abbas in ihren schlimmsten Träumen nicht vorstellen können: Ihren geliebten Sohn und Bruder bei Sonnenaufgang eilig in ein flaches Grab zu legen, ohne Schmuck und würdige Zeremonie, immer auf der Hut vor Angriffen. Es war eine Bestattung, wie sie in der sudanesischen Hauptstadt Khartum zuletzt eher die Regel denn die Ausnahme ist.
«Wenn Sie mich fragen würden, wo genau seine Leiche begraben wurde, könnte ich es Ihnen nicht sagen», sagt Nachbar Auad al-Subir. Seit fast vier Monaten sind reguläre Beerdigungen inmitten anhaltender Kämpfe nahezu unmöglich. Im April schlug im Sudan der Machtkampf zwischen den Streitkräften und der paramilitärischen RSF-Miliz in einen gewaltsamen Konflikt um. Seitdem wurden zahllose Menschen getötet und Millionen in die Flucht geschlagen.
Leichen liegen in den Strassen
Viele Tote erhalten nicht einmal eine hastige Bestattung wie Sadig Abbas. Inmitten des Chaos bleiben Leichen am Strassenrand liegen, wie Anwohner und medizinische Helfer melden. Zahlen gibt es kaum. Im Juni erklärte Gesundheitsminister Haitham Mohammed Ibrahim, dass der Konflikt bis dahin mehr als 3000 Menschen das Leben gekostet habe. Seitdem wurden keine neuen Daten genannt. Mediziner und Hilfsorganisationen vor Ort gehen von sehr viel höheren Opferzahlen aus.
Für die meisten Todesfälle in der Hauptstadt Khartum waren nach Angaben der sudanesischen Ärztegewerkschaft die erbitterten Kämpfe verantwortlich, bei denen Anwohner ins Kreuzfeuer gerieten. Andere starben, weil sie keinen Zugang zu medizinischer Grundversorgung hatten. Auch von Verhungerten wurde berichtet – Menschen, die wegen der Kämpfe in ihren Häusern gefangen waren.
Hastig verscharrte Familienmitglieder
In Friedenszeiten hätten sie grosse und würdevolle Beerdigungen erhalten, Abschiede, die sich über Tage hinweg erstreckt hätten. Üblicherweise erweisen dabei Tausende den Verstorbenen die letzte Ehre. Die Kämpfe aber hätten das durchbrochen, beklagen Anwohner aus Khartum und Menschen, die aus der Hauptstadt geflohen sind. Einige sagen, es unmöglich geworden, einen der rund zwei Dutzend Friedhöfe der Stadt überhaupt zu erreichen.
Sudan: Flucht vor Machtkampf
Hunderttausende Menschen sind laut den Vereinten Nationen bereits seit Mitte April vor Gewalt und Willkür in den Tschad geflüchtet.
12.08.2023
«Wir haben seinen toten Körper in die unteren Stockwerke geschleppt, damit er nicht verwest», beschreibt ein Student den Umgang mit einem getöteten Kommilitonen. Mehr als 100 Studierende waren im April inmitten der Schiessereien an der Universität von Khartum eingeschlossen, Khaled wurde von einer Kugel in die Brust getroffen und starb. Sie hätten den Toten schliesslich in ein behelfsmässiges Grabtuch eingewickelt und unter einem Baum auf dem Universitätsgelände begraben, sagt der Mitstudent.
RSF-Kämpfern verhindern Bestattungen
Seine Nachbarn seien von RSF-Truppen daran gehindert worden, eine Angehörige auf einem nahe gelegenen Friedhof zu bestatten, berichtet Gasin Amin Oschi aus Omdurman auf der anderen Seite des Nils. Die Familie habe die Frau dann auf einem Schulgelände begraben. Auf Anfrage erklärte RSF-Sprecher Jussef Issat, es gebe keine Anweisungen von oben, zivile Bestattungen zu verhindern. Sie würden höchstens gestoppt, wenn es schwere Kämpfe in der Nähe gebe.
Auch die formlose Bestattung von Sadig Abbas sei von den RSF-Kämpfern genehmigt worden, sagt Nachbar Al-Subir. Abbas sei bei einem RSF-Angriff auf sein Haus getötet worden, nachdem die Milizionäre herausgefunden hätten, dass zwei von Abbas› Brüdern in Armee und Geheimdienst gearbeitet hätten.
Sudanesische Roter Halbmond sammelt die Toten auf
Doch die meisten Angehörigen, Freunde und Nachbarn hätten zu viel Angst gehabt, zur Beerdigung zu kommen, erklärt Al-Subir. Andere hätten gar nichts davon gewusst. Strom- und Internetausfälle sind seit Beginn des Konflikts an der Tagesordnung. «Handys sind für die Kommunikation genauso brauchbar wie eine Schachtel Zigaretten», sagt Al-Subir.
Seit Juni sammelt auch der sudanesische Rote Halbmond in der Hauptstadt Leichen ein und kümmert sich um das Begräbnis. In kurzen Zeiten, in denen die Waffen schwiegen, barg die Organisation nach eigenen Angaben mehr als 100 Tote. Bei den meisten handelte es sich vermutlich um Kämpfer beider Seiten.
Viele der umkämpften Bezirke seien jedoch unzugänglich, und damit könnten möglicherweise noch Tausende Tote nicht bestattet sein, betont die Hilfsorganisation Save the Children. So rief etwa im Juli eine Gemeindegruppe aus dem Bezirk Bahri im Norden Khartums um Hilfe und bat, die Leichen von rund 500 RSF-Kämpfern einzusammeln, die auf den Strassen lägen. Und im Süden der Hauptstadt zählte auch ein AP-Journalist in den vergangenen Wochen an die 30 Leichen auf den Strassen.