Zugunglück in Ohio Liegt es auch an Biden, dass ein ganzer Landstrich vergiftet ist?

Von Jan-Niklas Jäger

18.2.2023

Nachdem ein Güterzug mit chemischen Giftstoffen im amerikanischen Dorf East Palestine entgleist und teilweise in Flammen aufgegangen war, füllte sich der Himmel mit einer Giftwolke. 
Nachdem ein Güterzug mit chemischen Giftstoffen im amerikanischen Dorf East Palestine entgleist und teilweise in Flammen aufgegangen war, füllte sich der Himmel mit einer Giftwolke. 
Bild: AP Photo / Gene J. Puskar / Keystone

Am 6. Februar geht ein Güterzug mit giftigen Chemikalien in Flammen auf. Das Ausmass des Unfalls wird erst jetzt bekannt. Kurios: Das betroffene Dorf war Drehort eines Films über eine ähnliche Katastrophe.

Von Jan-Niklas Jäger

18.2.2023

Knapp 5000 Menschen leben in East Palestine, einem Dorf im US-Staat Ohio nahe der Grenze zu Pennsylvania. Der Regisseur Noah Baumbach entdeckte in dem beschaulichen Ort die passende Kulisse für seinen Film «Weisses Rauschen», der Verfilmung des gleichnamigen Romans von Don DeLillo.

«Weisses Rauschen» erzählt die Geschichte der Familie Gladney, in deren Nachbarschaft ein Tanklastzug mit einem Güterzug kollidiert, wodurch sich der Himmel mit hochgefährlichen Chemikalien füllt.

Unfall imitiert Katastrophenfilm

Viele Anwohner*innen East Palestines wirkten bei den Dreharbeiten zu Baumbachs Film als Statisten mit. Niemand von ihnen hätte wohl erwartet, so bald nach der Premiere der Verfilmung im Dezember vergangenen Jahres von der fiktiven Geschichte eingeholt zu werden.

Doch genau das ist passiert. Am Abend des 3. Februar entgleist ein mit chemischen Giftstoffen beladener Zug, als er East Palestine passiert. Etwa 50 der 150 Wagons springen aus den Gleisen.

Der Zug geht in Flammen auf – der Himmel wird, wie in «Weisses Rauschen» auch, von einer giftige Rauchwolke verdunkelt. Die Behörden reagieren mit der Evakuierung aller Anwohner in einem Radius von einer Meile.

Tiere sterben, Menschen erkranken

Erste Medienberichte warnten vor dem freigesetzten Vinylchlorid. Wer diesem narkotisierenden Gas ausgesetzt ist, wird möglicherweise mit einer Beeinträchtigung von Leber, Speiseröhre, Milz, der Haut oder den Knochen sowie der Durchblutung der Hand leben müssen. Anwohner*innen beklagen Kopfschmerzen, Reizhusten und Übelkeit.

Wie ABC News nun berichtet, befanden sich noch deutlich mehr toxische Chemikalien in den Bahnwagons, als ursprünglich angegeben worden war. Kontakt mit diesen Stoffen kann unter anderem zu Schwindel, Übelkeit, Atemnot, Irritation in Augen, Nase, Rachen sowie auf der Haut und zu Blut im Urin führen.

Die Behörden schätzten die Kontaminierung der Umwelt als nicht «besorgniserregend» ein. Ein Irrtum: Es häufen sich Berichte von toten Tieren in der Region, etwa 3500 Fische seien in Bächen in der Nähe des Unglücks verendet, meldet das Amt für Natürliche Ressourcen in Ohio.

Auch Nutztiere und Haustiere leiden unter den Folgen der Katastrophe. Bauernhöfe berichten von plötzlich verstorbenen Hühnern, ein Fuchshüter sagt, seine Füchse seinen alle todkrank, einer bereits tot.

Biden in der Kritik

Nur zwei Monate vor dem Unglück hatte US-Präsident Joe Biden ein Gesetz unterzeichnet, durch das ein nationaler Bahnstreik abgewendet worden war. Forderungen nach mehr bezahlten Krankheitstagen, geringerer Arbeitslast und Massnahmen gegen Personalmangel blieben unerfüllt, weil der von den Demokraten geführte Senat dagegen stimmte.

Noch am 4. Februar, dem Folgetag der Katastrophe, standen Teile des verunglückten Güterzuges in Flammen.
Noch am 4. Februar, dem Folgetag der Katastrophe, standen Teile des verunglückten Güterzuges in Flammen.
Bild: AP Photo / Gene J. Puskar / Keystone

«Joe Biden hat es vermasselt», sagte der Schatzmeister von Railroad Workers United, einer Gruppe, die sich für die Interessen von Bahnarbeiter*innen einsetzt, damals dem britischen «Guardian».

«Er hätte den Kongress einfach bitten können, den drohenden Streik unter besseren Bedingungen für die Arbeiter abwenden zu können. Leider konnte er sich nicht dazu durchringen, sich für eine lausige Handvoll Krankheitstage einzusetzen.»

Gewerkschaft warnte vor ähnlichen Szenarios

Die Katastrophe von East Palestine ähnelt den Negativszenarios, die die Eisenbahngewerkschaft in ihrer Argumentation für eine Verbesserung der Lage ihrer Arbeiter*innen gezeichnet hatte.

So würden Güterzüge mit gefährlicher Ladung immer länger, weil es zu wenig Personal gebe. In den vergangenen fünf Jahren hat sich die Anzahl der Bahnarbeiter*innen um 20 Prozent verringert.

Biden, der sich als gewerkschaftsnaher Präsident gibt, steht in der Kritik: Er habe eine Verbesserung der Arbeitssituation von Bahnarbeitern verhindert, um die Profite der Eisenbahnlobby zu sichern. Der Präsident selbst beteuerte, die Massnahme habe die amerikanische Wirtschaft gerettet.

Trump schaffte Sicherheitsvorkehrungen ab

Doch Bidens Regierung ist nicht die einzige, die ihren Anteil an der schlechten Verfassung von Amerikas Eisenbahnstrecken, Zügen und den Arbeitsbedingungen hat. Im Wahlkampf 2016 flossen aus der Kasse der Eisenbahnindustrie mehr als 6 Millionen Dollar in die Taschen republikanischer Kandidaten.

Für die Eisenbahnlobby zahlte sich das 2017 aus, als Donald Trump eine Regel aufheben liess, nach der Züge mit gefährlichen entflammbaren Gütern mit modernen elektronischen Bremsen ausgestattet werden mussten.

Eisenbahngesellschaften wie Norfolk Southern, die die Verantwortung für den verunglückten Zug trägt, sparten sich so die Kosten, ihre Züge mit den neuen Bremsen auszustatten. Stattdessen sind zahlreiche Züge mit Bremsen unterwegs, deren Technik teilweise noch aus der Zeit des Bürgerkriegs Mitte des 19. Jahrhunderts stammen.

Behörden geben bereits Entwarnung

Norfolk Southern bot derweil eine Schadenzahlung von 25'000 Dollar an. Das ergibt, auf die rund 5000 Einwohner East Palestines gerechnet, eine Entschädigung von 5 Dollar pro Person.

Am vergangenen Mittwoch durften die Bewohner*innen East Palestines zurück in ihre Häuser, die Behörden gaben Entwarnung. Laut den Staatsbehörden ist das Einatmen der Luft bedenkenlos, die Menschen sollten aber nur Wasser aus Flaschen trinken.

Eine Rückkehr zur Normalität wird es trotzdem noch lange nicht geben. Auch den Film, der einst eine so aufregende Abwechslung vom Alltag bedeutete, wird das Dorf nun mit anderen Augen sehen.

Einer der Statisten gab im Gespräch mit CNN an, beim Versuch, sich den Film noch einmal anzusehen, gescheitert zu sein. «Die erste Hälfte des Films ist fast haargenau das, was hier passiert ist.»