Brexit London bittet um Brexit-Verschiebung

SDA

20.10.2019 - 15:11

Totales Brexit-Wirrwarr in London: Die britische Regierung hat bei der EU entsprechend gesetzlicher Vorgaben eine Verschiebung des Austritts beantragt, will ihn aber trotzdem pünktlich am 31. Oktober durchziehen.

Die britische Regierung hat bei der EU die gesetzlich vorgeschriebene Verschiebung des Austritts beantragt. Dennoch wolle man den Brexit am 31. Oktober durchführen.

Dies geht aus drei Briefen hervor, die in der Nacht zum Sonntag nach Brüssel gingen. Auf EU-Seite wird ein geregelter Brexit übernächste Woche nicht ausgeschlossen. Doch will EU-Ratschef Donald Tusk in den nächsten Tagen auch ausloten, ob die EU-Staaten nochmals Aufschub gewähren.

Der britische Staatsminister Michael Gove beharrte am Sonntag auf dem Austrittstermin Ende des Monats und drohte auf Sky News erneut, notfalls gehe Grossbritannien ohne Vertrag. Die Gefahr sei nach den Entscheidungen des britischen Parlaments am Samstag gestiegen.

Am Samstag hatten sich die Ereignisse überschlagen. Das Unterhaus sollte eigentlich über den neuen Brexit-Deal von Premierminister Boris Johnson mit der EU befinden, vertagte diese Entscheidung aber. Die Parlamentarier stimmten stattdessen mehrheitlich für einen vom Abgeordneten Oliver Letwin eingebrachten Änderungsantrag.

Dem Änderungsantrag zufolge soll das britische Parlament dem Brexit-Abkommen erst dann endgültig zustimmen, wenn das gesamte für den EU-Austritt nötige Gesetzespaket verabschiedet ist. So wollen die Abgeordneten ausschliessen, dass es versehentlich doch noch zu einem ungeregelten EU-Austritt am 31. Oktober kommt.

Drei Briefe für die EU

Damit war Johnson gesetzlich gezwungen, eine Bitte um Fristverlängerung bis 31. Januar nach Brüssel zu schicken. Im Unterhaus sagte Johnson zwar, dass er keine weitere Fristverlängerung mit Brüssel «aushandeln» werde.

Er schickte aber noch am späten Abend einen Brief an EU-Ratspräsident Donald Tusk, in dem er formell um eine weitere Brexit-Verlängerung bat. Allerdings weigerte er sich, den Antrag zu unterschreiben.

Stattdessen schickte er ein zweites – unterzeichnetes – Schreiben an die EU, in dem er betonte, dass er einen weiteren Brexit-Aufschub ablehnt. Eine erneute Verlängerung sei nicht im Interesse des Vereinigten Königreichs und der EU, schrieb Johnson in dem unterzeichneten Brief. Er zeigte sich zudem «zuversichtlich», dass der Ratifizierungsprozess doch noch bis zum 31. Oktober abgeschlossen werden könne.

In einem dritten Schreiben an die EU stellte der britische EU-Botschafter Tim Barrow klar, dass Johnson den Brief zur Fristverlängerung nur abschickte, um den gesetzlichen Vorgaben nachzukommen.

Das Brexit-Drama dauert an: Das britische Unterhaus hat Premierminister Boris Johnson dazu gezwungen, bei der EU eine erneute Brexit-Verschiebung zu beantragen. Johnson stellte den geforderten Antrag, machte aber gleichzeitig klar, dass er den Austritt bis zum 31. Oktober durchbringen will.
Das Brexit-Drama dauert an: Das britische Unterhaus hat Premierminister Boris Johnson dazu gezwungen, bei der EU eine erneute Brexit-Verschiebung zu beantragen. Johnson stellte den geforderten Antrag, machte aber gleichzeitig klar, dass er den Austritt bis zum 31. Oktober durchbringen will.
Bild: Keystone/AP/Kirsty Wigglesworth

Brüssel perplex

In Brüssel zeigten sich Diplomaten perplex über die verworrene Lage in London. Dennoch kamen am Sonntagvormittag wie geplant die EU-Botschafter zusammen und stiessen formal das Ratifizierungsverfahren auf EU-Seite an. Denn nicht nur das britische Parlament muss den Vertrag annehmen, sondern auch das EU-Parlament. Theoretisch könnte dies am Donnerstag in Strassburg passieren. Das Parlament könnte am Montag das Verfahren vorantreiben.

Tusk bestätigte den Erhalt des Antrags auf Fristverlängerung aus London. Am Sonntag kam der europäische Verhandlungsführer Michel Barnier zu Beratungen mit den EU-Botschaftern zusammen. Er werde die Mitgliedstaaten «in den nächsten Tagen» konsultieren, sagte er anschliessend.

Einem EU-Diplomaten zufolge nahmen die Botschafter den Verlängerungsantrag nur «zur Kenntnis». Über die Verlängerung hätten die EU-Botschafter «überhaupt nicht gesprochen», hiess es aus EU-Kreisen. Einem weiteren EU-Diplomaten zufolge dauerte das Treffen ganze «15 Minuten».

Johnson telefonierte nach Angaben seiner Regierung mit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel, dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron und dem niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte. Die französische Regierung hatte zuvor erklärt, niemand habe ein Interesse an einer erneuten Verzögerung beim Brexit.

Erneute Abstimmung?

Um das Austrittsabkommen doch noch vor dem 31. Oktober durchs Parlament bringen, will die britische Regierung nun die für den Brexit nötigen Gesetzesvorlagen ins Parlament einbringen. Die erste Abstimmung dazu könnte bereits am Dienstag stattfinden.

Ausserdem strebt die Regierung eine weitere Abstimmung über den Austrittsvertrag am Montag an – es ist aber unklar, ob dies aus organisatorischen Gründen möglich ist.

Die Opposition kritisierte Johnsons Verhalten scharf. «Er benimmt sich ein bisschen wie ein verzogener Rotzbengel», sagte Schattenkanzler John McDonnell von der Labour-Partei am Sonntag auf Sky News. Die frühere Tory-Abgeordnete Anna Soubry, die eine Gruppe proeuropäischer ehemaliger Tory- und Labourabgeordneter anführt, verglich den Premier mit einem «aufsässigen Kind».


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