Überfüllte Lager Manche IS-Frauen sehnen sich in die alte Heimat zurück

dpa

25.4.2019

Einst kamen sie aus freien Stücken ins verbrecherische Kalifat, heute bereuen viele diesen Fehler. Etliche Ausländerinnen wollen in ihre Herkunftsländer zurückkehren und hoffen auf eine zweite Chance. Doch viele Staaten zögern.

Die vier Frauen kamen aus unterschiedlichen Weltregionen und zogen ins sogenannte Kalifat der Terrormiliz Islamischer Staat. Heute sagen sie, sie seien von fehlgeleitetem religiösen Glauben gesteuert worden oder von Naivität oder jugendlichem Aufbegehren. Was immer der Grund war, sie verknüpften ihr Leben mit einer Gruppe, die für ihre Gräueltaten berüchtigt wurde.

Inzwischen gilt der IS als besiegt, und die Frauen möchten gerne in ihre Heimatländer zurückkehren. Wie Zehntausende andere Frauen und Kinder aus Syrien, dem Irak und zahlreichen anderen Staaten, die dem IS angehörten, werden sie nun in Nordsyrien in Lagern festgehalten, die von den kurdisch geführten Syrischen Demokratischen Kräften betrieben werden.

Viele sind noch immer eingefleischte Anhänger des IS. In den Lagern haben sie versucht, das Kalifat neu zu erschaffen. Einige Frauen haben Einheiten der gefürchteten Religionspolizei wiedergegründet, wachen über die Einhaltung von Regeln und bestrafen andere Bewohner, die sich nicht daran halten.

Bedauern mag hohl klingen

Die vier von der Nachrichtenagentur AP in den Lagern Al-Hol und Rodsch interviewten Frauen beharren darauf, dass sie keine aktiven IS-Mitglieder gewesen seien. Alle sagen, dass ihre Ehemänner keine Kämpfer gewesen seien. Diese Angaben können wie das meiste andere in ihren Berichten nicht unabhängig verifiziert werden.

«Wie konnte ich nur so dumm sein, und so blind?», sagt die 46-jährige Kanadierin Kimberly Polman über ihre Entscheidung, dem Ruf des IS zu folgen. In den Ohren vieler Beobachter mag solches Bedauern hohl klingen. Als die Frauen ins IS-Gebiet reisten, waren die Gräuel der Gruppierung bereits allgemein bekannt. Dazu zählten die sexuelle Versklavung von Jesidinnen, Massentötungen und die drastische Bestrafung von Personen, die gegen die Regeln des IS verstossen hatten: Sie wurden öffentlich erschossen, geköpft oder von Dächern geworfen.

Ihr Appell, in die Heimat zurückkehren zu dürfen, wirft die nach wie vor ungeklärte Frage auf, wie mit Männern und Frauen umgegangen werden soll, die sich dem IS anschlossen. Die von den USA unterstützten SDF beklagen, dass sie mit dem Problem alleingelassen würden. Denn Regierungen weltweit zögern, ihre Staatsbürger zurückzunehmen.

Kinder haben Priorität

Einige konzentrieren sich darauf, lediglich Kinder wieder aufzunehmen, nicht aber die Eltern. Belgien etwa holt Kinder unter zehn Jahren zurück. «Bis heute bleibt es unsere Priorität, diese Kinder zurückzuholen, weil sie sozusagen die Opfer der von ihren Eltern getroffenen radikalen Entscheidungen sind», sagt Karl Lagatie, Vizesprecher des belgischen Aussenministeriums.

Die 31-jährige Belgierin Samira lebt im Lager mit ihrem zweijährigen Sohn. Sie floh gemeinsam mit ihren Mann im Januar 2018 aus dem Kalifat. Ihren Mann, einen Franzosen, hatte sie in Syrien kennengelernt. Zu Hause habe sie als junge Frau Alkohol getrunken und in Clubs getanzt. Dann «wollte ich mein Leben ändern. Ich fand zum Islam.»

Sie glaubte der IS-Propaganda, wonach der einzige Ort, an dem man ein rechter Muslim sein könne, das Kalifat sei. Also reiste sie dorthin. «Ich war sehr dumm», sagt Samira, die ihren vollen Namen aus Sorge vor möglichen Konsequenzen für ihre Familie in Belgien nicht genannt sehen möchte.

Hinwendung aus Liebeskummer

Schon bald nach ihrer Ankunft wollte sie schnell wieder weg, erklärt sie. «Ich hasse sie», sagt sie über die IS-Extremisten. «Sie haben uns einen Traum verkauft, aber es war ein offenes Gefängnis.» Die europäischen Regierungen sollten erkennen, dass «wir nicht alle Verbrecher sind, dass wir alle das Recht auf eine zweite Chance haben». Die Zeit beim IS sei ihnen eine Lehre gewesen.

Die 24-jährige Indonesierin Aliya sagt, sie habe sich dem IS zugewandt, nachdem ihr Freund mit ihr Schluss gemacht habe. Aus Liebeskummer sei sie religiös geworden und habe sich Predigten des IS angehört. Darin habe es geheissen, wer ins Kalifat ziehe, dem würden alle Sünden vergeben. Sie gelangte 2016 nach Syrien, gemeinsam mit ihrem neuen Mann, einem Algerier, den sie unterwegs in der Türkei kennengelernt hatte.

Wenig später bekam das Paar einen Sohn. Doch sie hätten rasch ihren Fehler erkannt und vergeblich zu entkommen versucht, sagt Aliya. Ende 2017 habe der IS schliesslich ihr und dem Sohn die Ausreise erlaubt, nicht aber ihrem Mann. Sie vermutet, er werde inzwischen von den SDF festgehalten.

Nur dem Mann gefolgt

Ihre Eltern bemühen sich bei den indonesischen Behörden um eine Rückreiseerlaubnis für ihre Tochter. «Ich hoffe auf eine zweite Chance. Ich war jung», sagt Aliya. Sie sei beim IS gewesen, aber das bedeute nicht, dass sie jemanden getötet habe. «Ich könnte nicht einmal ein Huhn schlachten.»

Die 45-jährige Gailon Lawson aus Trinidad und Tobago sagt, sie sei zu Hause in der Karibik zum Islam konvertiert und habe einen Mann geheiratet. Wenige Tage nach der Hochzeit habe er sie mit nach Syrien genommen. «Ich bin nur meinem Mann gefolgt», sagt sie.

Die 45-jährige Gailon Lawson kam aus der Karibik nach Syrien.
Die 45-jährige Gailon Lawson kam aus der Karibik nach Syrien.
Keystone

Sie nahm ihren damals zwölfjährigen Sohn mit. Wenig später liessen sie und ihr Mann sich scheiden. Ihre grösste Sorge in den Folgejahren sei gewesen zu verhindern, dass ihr Sohn als Kämpfer eingesetzt werde. Er sei drei Mal vom IS festgenommen worden, weil er sich nicht einziehen lassen wollte, sagt Lawson.

Sohn in Frauenkleidern

Während der Kämpfe um das letzte IS-Rückzugsgebiet Baghus steckte sie ihren Sohn in Frauenkleider und liess ihn einen Schleier tragen. So entkamen beide. Die kurdischen Truppen nahmen den Sohn gefangen, seit einem Monat hat sie nichts mehr von ihm gehört.

Die Kanadierin Polman reiste ins Kalifat, um dort ihren neuen Ehemann zu treffen, mit dem sie zuvor nur online Kontakt hatte. Sie liessen sich bald scheiden. Polman arbeitete nach eigenen Angaben in einem Krankenhaus in der Stadt Tabka und half dort bei der Behandlung von Kindern, die bei Kämpfen verletzt wurden. «Ich habe eine unglaubliche Zahl von Kindern sterben sehen», sagt sie.

Als sie ein sterbendes vier Monate altes Baby nicht habe wiederbeleben können, sei sie zusammengebrochen. Ihr sei klar geworden, dass die Extremisten, denen sie sich angeschlossen hatte, für das Blutvergiessen verantwortlich seien. «Wenn ich über mein Leben nachdenke», schreibt sie, «fühle ich mich so schlecht, dass ich glaube, ich verdiene keine Zukunft. Ich hätte ihnen nicht vertrauen sollen.»

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