Scheitern verboten Merkel trifft Macron: Können sie heute Europa retten?

Sebastian Kunigkeit und Georg Ismar, dpa / tsch

19.6.2018

Die Lage ist ernster, als es hier scheint: Kanzlerin Angela Merkel trifft sich heute mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Sie wollen gemeinsam die EU retten. (Archiv)
Die Lage ist ernster, als es hier scheint: Kanzlerin Angela Merkel trifft sich heute mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Sie wollen gemeinsam die EU retten. (Archiv)
dpa

Wochenlang verhandelt, nun das Finale: Gelingt beim Treffen von Merkel und Macron im Gästehaus der deutschen Regierung heute der grosse Wurf in Sachen EU-Reform? Scheitern ist jedenfalls verboten - vor allem die deutsche Kanzlerin steht unter Druck.

Was sind das für Zeiten für die einst unangefochtene Angela Merkel. Der deutschen Kanzlerin rennt plötzlich die Zeit davon. Die grosse Koalition in Berlin droht zu zerbrechen: Ein handfester Asylstreit entzweit die Schwesterparteien CDU und CSU.

Innenminister Horst Seehofer treibt seine Chefin vor sich her: Der ehemalige bayerische Ministerpräsident verfolgt eine «Law and Order»-Asylpolitik, die ganz auf den Wahlkampf in Bayern ausgerichtet ist. Dort sitzt der CSU die rechtspopulistische AfD im Nacken.

Merkel steht also unter Druck - und sie muss liefern. Das kann sie aber nur mit der Hilfe von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Entspannt wird das Treffen der beiden Politiker auf Schloss Meseburg in der Nähe von Berlin eher nicht. Zumal sich Deutschland und Frankreich über einige Kernfragen zur Zukunft der EU streiten.

Streitpunkt Asylpolitik

Mit seinem De-facto-Ultimatum für EU-Vereinbarungen, damit anderswo bereits registrierte Asylbewerber nach einer Abweisung an der deutschen Grenze zurückgenommen werden, hat Horst Seehofer der Kanzlerin die Pistole auf die Brust gesetzt. Sie muss mit Macron unbedingt eine Lösung finden. Beide wollen insgesamt eine Reform des Asylsystems. Die sogenannten Dublin-Vereinbarungen funktionieren nicht mehr, Länder wie Italien mit der neuen nationalistischen Regierung machen die Schotten dicht.

Aber der Graben ist tief in Europa: So sperren sich auch Länder wie Ungarn gegen eine Verteilung von Schutzsuchenden innerhalb Europas. Merkel und Macron wollen die Grenzschutzbehörde Frontex zu einer «europäischen Grenzpolizei» ausbauen und setzen sich für eine europäische Flüchtlingsbehörde ein - zu oft weiss Land B nicht, was Land A schon über den Flüchtling weiss. Zugleich wollen sie eine engere Zusammenarbeit mit Herkunfts- und Transitländern.

Streitpunkt Eurozone

«Scheitert der Euro, scheitert Europa», lautete einer von Angela Merkels Kernsätzen. Da in stürmischen Zeiten jederzeit neue Krisen drohen können, will die Kanzlerin mit Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron mit einem Reformpaket für mehr Sicherheit sorgen. Zwar hat die Eurozone in der Finanzkrise ihren Werkzeugkasten erweitert, doch noch immer gilt die Währungsunion als nicht stabil genug. Das habe man bei der Unsicherheit über die italienische Regierungsbildung gemerkt, als auch die Zinssätze für Staatsanleihen manch anderer Euro-Staaten nach oben gegangen seien, heisst es in Paris.

Jüngste Pariser Ideen riefen in Deutschland Sorgen vor einer Transferunion auf den Plan, sprich: dass deutsches Geld nach Südeuropa fliesst, um zum Beispiel mit neuen Investitionen den Süden Italiens zu stärkern, eine Hochburg der populistischen «Fünf Sterne»-Bewegung. «Für Paris stehen Schutz und Solidarität im Vordergrund, während es für Berlin in erster Linie um Selbstverantwortung und Kontrolle geht», analysierte Claire Demesmay von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik.

Streitpunkt gemeinsamer Haushalt

Aus französischer Sicht gemeinsamer Eurozonen-Haushalt Investitionen finanzieren und damit das wirtschaftliche Gefälle zwischen den 19 Euro-Staaten reduzieren. Zum anderen soll Ländern bei wirtschaftlichen Schocks geholfen werden. Macron wollte ursprünglich ein Budget im Umfang von mehreren Hundert Milliarden Euro sowie einen europäischen Finanzminister. Das wird beides so nicht kommen.

Die Bundesregierung ist aber offen für die kleine Lösung, einen «Investivhaushalt». Merkel spricht aber nur von Mitteln im unteren zweistelligen Milliardenbereich. Ihr Finanzminister Olaf Scholz (SPD) setzt auf Einnahmen aus einer Finanztransaktionssteuer für neue Spielräume - doch die kommt nicht vorab. Und er will eine Stärkung der Arbeitslosenversicherungen, um soziale Abstiegsängste zu mindern.

Emmanuel Macron und Angela Merkel müssen eine Menge strittige Fragen klären.
Emmanuel Macron und Angela Merkel müssen eine Menge strittige Fragen klären.
Keystone

Streitpunkt Europäischer Währungsfonds

Merkel will den europäischen Rettungsschirm ESM zu einem Europäischen Währungsfonds ausbauen, um wirtschaftlich angeschlagenen Ländern einfacher zu helfen, auch mit kürzer laufenden Krediten. Sie hat da zum Beispiel Irland im Sinn, wenn das Land durch den Ausstieg Grossbritanniens aus der EU Probleme bekommen sollte. Paris sieht das positiv, pocht aber auf das Eurozonen-Budget.

Streitpunkt Bankenunion

Bei der Vollendung von einheitlicheren Bankenregeln (Bankenunion) sträubt sich Berlin gegen eine Einlagensicherung, dass also Geldhäuser für Banken in anderen EU-Staaten mit geradestehen müssen. Allerdings könnte der ESM künftig als letztes Auffangnetz bei Bankenpleiten einspringen («Common Backstop») - also mit öffentlichem Geld kriselnde Banken gerettet werden - hier hat sich Berlin bewegt.

Streitpunkt Verteidigung

Merkel hat sich offen gezeigt für Macrons Vorschlag einer Interventionsinitiative - mit einer engeren Zusammenarbeit zwischen Generalstäben verschiedener EU-Länder will Paris eine gemeinsame strategische Kultur fördern. Perspektivisch schwebt Macron sogar eine gemeinsame Interventionstruppe vor. Doch Merkel sprach sich dafür aus, dies innerhalb der EU-Strukturen zu halten. Das will Macron gerade nicht, weil er dort Bremser fürchtet.

Merkel will praktische Fortschritte - dass zum Beispiel die in der EU benutzten 180 Waffensysteme auf 30 reduziert werden. Dann könnten Soldaten EU-weit für die gleichen Systeme ausgebildet werden - was gemeinsame Einsätze deutlich erleichtern würde.

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