Mit Macron oder Le Pen weiter in Paris? Schicksalswahl für Europa

dpa/toko

18.4.2022 - 19:34

Wahlkampfplakate der französischen Präsidentschaftskandidaten Emmanuel Macron (l.) und Marine Le Pen in Paris.
Wahlkampfplakate der französischen Präsidentschaftskandidaten Emmanuel Macron (l.) und Marine Le Pen in Paris.
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Frankreich steht vor einer Weichenstellung: Entweder geht es mit dem liberalen Präsidenten Emmanuel Macron weiter oder die Nationalistin Marine Le Pen übernimmt das höchste Staatsamt.

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Es ist eine Richtungswahl von erheblicher Bedeutung, zu der die Französinnen und Franzosen sich am kommenden Sonntag aufmachen.

Bleibt der liberale und proeuropäische Präsident Emmanuel Macron trotz nicht zu überhörender Kritik fünf weitere Jahre im Amt oder gelingt der rechtsnationalen Marine Le Pen im dritten Anlauf der Triumphzug in den Élyséepalast Gehen die Menschen in Frankreich das Risiko von Turbulenzen im eigenen Land und in Europa ein, die mit dem von Le Pen angekündigten Politikwechsel unweigerlich drohen? Oder setzen sie trotz Politikfrusts in der aktuellen Krise lieber auf Kontinuität? Umfragen deuten vor der Wahl auf ein eher knappes Rennen.

Nicht ausgemacht nämlich ist, ob der Aufruf zu einem Schutzwall gegen Rechts denselben Erfolg haben wird wie bei vorherigen, bis in die Endrunde führenden Anläufen auf das höchste Staatsamt von Le Pen 2017 und zuvor von ihrem Vater Jean-Marie 2002. Denn Le Pen versucht nun ihrerseits, diejenigen, die die Politik des Amtsinhabers Macron mehr als satt haben und die zuvor als «Gelbwesten», Impfgegner oder vernachlässigtes Schul- und Klinikpersonal auf die Strasse gingen, zu einer Blockade gegen ihren Kontrahenten zu mobilisieren.

Neuauflage der Stichwahl von 2017

Das Duell Macron gegen Le Pen ist eine Neuauflage der Stichwahl von 2017 – unter neuen Vorzeichen. Macron obsiegte damals klar mit zwei Dritteln der Stimmen. Aktuell sehen Umfrageinstitute Macron zwischen 53,5 und 55,5 Prozent, während Le Pen ihm bis auf 45 bis 46,5 Prozent nahe rückt. Etliche der 48,7 Millionen registrierten Wählerinnen und Wähler könnten sich aus Verdrossenheit oder Ablehnung beider Kandidaten enthalten. Der Ausgang ist damit schwer vorhersagbar.

Dass Macron und Le Pen es überhaupt in die Stichwahl geschafft haben, liegt auch daran, dass Frankreich politisch mittlerweile in drei auseinanderliegende Blöcke gegliedert ist. Macron, der die klassische Spaltung zwischen den Sozialisten und der bürgerlichen Rechten überwinden wollte, hat zwar mit Persönlichkeiten beider Lager eine breite Mitte geschaffen, doch die einstigen Volksparteien sind unter ihm erheblich geschwächt worden. Die Opposition zu Macrons Mitte-Bündnis befindet sich nun links und rechts näher an den Rändern des Politspektrums.

Gleichzeitig hat die 53-jährige Le Pen es geschafft, sich in den vergangenen Jahren zumindest nach aussen hin deutlich zu wandeln. Sie gibt sich betont freundlich, versucht auf radikale Aussagen zu verzichten und trotz ähnlicher Forderungen wie früher gemässigt zu wirken. Unter dem Einfluss einer schleichenden Rechts-Drift in Frankreich, im Zuge derer auch Macron sich weiter auf konservative Standpunkte verlagerte, wurde die noch 2017 so gefürchtete Kandidatin salonfähig. Und so blicken viele Französinnen und Franzosen dieses Mal eher mit Resignation und Frustration als mit Angst auf die anstehende Stichwahl.

Marine Le Pen weiss sich zu wandeln. Zum dritten Mal nimmt die rechte Politikerin Anlauf auf Frankreichs höchstes Staatsamt.
Marine Le Pen weiss sich zu wandeln. Zum dritten Mal nimmt die rechte Politikerin Anlauf auf Frankreichs höchstes Staatsamt.
Daniel Cole/AP/dpa

Le Pen als Präsidentin – für viele der blanke Horror

Ganz anders in Deutschland und Europa. Auch wenn der 44-jährige Macron nicht für alle der Wunschpartner ist und aus Sicht mancher in Brüssel eher Eigen- als Gemeinschaftsinteressen vertritt, so ist die Vorstellung einer Präsidentin Le Pen doch für viele der blanke Horror. Die Nationalistin macht keinen Hehl daraus, dass sie von einem Europa träumt, in dem Brüssel den Mitgliedsstaaten wenig zu sagen hat und nationales Recht Vorrang hat. Auch will sie Frankreich aus der Kommandostruktur der Nato ziehen und die Militärkooperation mit Berlin beenden. Ohnehin ist Deutschland nicht ihr Wunschpartner. Viel eher will sie sich Grossbritannien oder Ungarn zuwenden.

Auch für die geschlossene westliche Front gegen Russland angesichts des Kriegs in der Ukraine dürfte Le Pen zum erheblichen Problem werden. Mehrfach machte die als Freundin des Kremlchefs Wladimir Putin geltende Politikerin in den vergangenen Tagen Russland Avancen für die Zeit nach dem Krieg. Nur: In Frankreich spielt all das eine untergeordnete Rolle. Hier schaut man vor allem auf das eigene Land.

TV-Debatte vor der entscheidenden Wahl

Und da steht am Mittwoch die mit Spannung erwartete TV-Debatte zwischen Macron und Le Pen an. Während Le Pen sich vor fünf Jahren gegenüber dem talentierten Redner Macron vollkommen blamierte, hofft sie nun, mit guter Vorbereitung auf seinen Misserfolgen während der Amtszeit herumreiten zu können. Macron hingegen dürfte wohl das Wahlprogramm seiner Konkurrentin auseinandernehmen und gegen das Licht der Realpolitik halten. Entscheidend wird dabei nicht nur sein, wer das bessere Bild abgibt, sondern wer mit seinem Auftritt verunsicherte, krisengebeutelte, abgehängte und vollkommen entnervte Landsleute überhaupt an die Wahlurne wird bewegen können.