«Tag des Sieges» Putin redet von Überlegenheit im Angesicht schwindender Stärke

Von Jan-Niklas Jäger

9.5.2023

Tag des Sieges: Ausschnitt aus Putins Rede

Tag des Sieges: Ausschnitt aus Putins Rede

Russland Präsident Wladimir Putin hat anlässlich der Feierlichkeiten zum «Tag des Sieges» eine Rede gehalten. Putin sprach von einem «echten Krieg» gegen Russland. Dieser gehe von «westlichen globalistischen Eliten» aus. Ein Ausschnitt der Rede.

09.05.2023

Trotz Sicherheitsbedenken hat Moskau seine Parade zum «Tag des Sieges» abgehalten – mit weniger Programmpunkten und Zurschaustellung von Militärtechnik. Putin deutet die russische Schwäche zur Stärke um.

Von Jan-Niklas Jäger

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Die russische Militärparade anlässlich des «Tages des Sieges» musste in diesem Jahr ohne Flugshow und mit nur wenigen Panzern auskommen. Auch der Traditionsmarsch «Unsterbliches Regiment» im Anschluss fiel aus.
  • In mehreren Städten wurden die Feierlichkeiten ganz abgesagt.
  • Grund dafür sind Sicherheitsbedenken aufgrund von vermehrt auf russischem Gebiet durchgeführten Sabotageakten.
  • Viele Ressourcen werden an der ukrainischen Front benötigt.
  • In seiner Rede konzentrierte sich Präsident Putin auf die Stärke innerer Werte wie Zusammenhalt und Heimatliebe.

Rund 8000 Soldaten sollen es gewesen sein, die am heutigen Dienstag auf dem Roten Platz aufmarschierten, um den «Tag des Sieges» über das nationalsozialistische Deutschland zu würdigen. Nach russischer Zeitrechnung fiel die Unterzeichnung der deutschen Kapitulation nämlich nicht mehr auf den 8., sondern bereits auf den 9. Mai.

Von Putin eigentlich als Demonstration militärischer Stärke angelegt, mussten die heutigen Feierlichkeiten in dieser Hinsicht aber deutlich kürzertreten als in vergangenen Jahren. Der klare Himmel wäre ideal geeignet gewesen für eine Flugshow – trotzdem sollte es diesmal keine geben.

Auch Panzer – ein traditioneller Teil der Siegesparade – waren Mangelware, wahrscheinlich weil sie an der Front in der Ukraine gebraucht werden. Lediglich der historische T-34, den die Rote Armee einst im Zweiten Weltkrieg gegen die Wehrmacht einsetzte, wurde zur Schau gestellt.

Putin baute die Parade zum Militärspektakel aus

Dabei ist der Feiertag erst unter Putin wieder zu einem wirkmächtigen Ereignis geworden. Die erste Parade anlässlich der deutschen Kapitulation – die Putin auch in seiner Rede erwähnte – hatte im Juni 1945 stattgefunden, doch später wurde der 9. Mai zu einem stillen Feiertag erklärt, also dem genauen Gegenteil prunkvoller Militärparaden.

Erst 1995 wurde der Tag wieder mit einer Parade begangen – allerdings wurde auf die Demonstration von militärischer Technik verzichtet. Putin änderte das: 2008 wandelte er den «Tag des Sieges» in das heute bekannte Spektakel um. Zum ersten Mal seit dem Ende der Sowjetunion stiegen wieder Kampfflugzeuge in die Höhe, wurden Panzer und Raketen aufgefahren.

Kritiker*innen sahen in dieser Entscheidung schon damals eine symbolische Wiederannäherung an die Sowjetunion. Trotzdem nahmen damals auch westliche Regierungschefs an den Feierlichkeiten teil. Das ist spätestens seit Beginn des Kriegs in der Ukraine undenkbar.

Feier im Schatten von Sicherheitsbedenken

Schon 2015 ist die Parade von vielen Staatschefs angesichts der russischen Invasion der Krim boykottiert worden. Stattdessen waren diesmal die Regierungschefs verschiedener Ex-Sowjetrepubliken zu Gast.

Dass Putin diesmal – buchstäblich – keine schweren Geschütze auffahren konnte, kann als ein Zeichen von Schwäche gelesen werden. Zum einen, weil der Eindruck erweckt wird, dass das russische Militär derzeit an seine Grenzen stösst, wenn in der Ukraine so viele Geschütze aufgefahren werden müssen. Zum anderen, weil die Minimierung der Parade auch mit Sicherheitsbedenken zusammenhängt.

Russland hat derzeit mit Sabotageakten im eigenen Land zu kämpfen. Der Traditionsmarsch «Unsterbliches Regiment» – eigentlich das grosse Ereignis direkt nach der Parade – fiel in Moskau aus, in mehr als 20 anderen Städten wurden gar keine Paraden abgehalten: Russland kann die Sicherheit der Öffentlichkeit nicht gewährleisten.

«Krieg» führen die anderen

Die Parade am Roten Platz abzusagen, wäre aber auch keine Option gewesen, eher das ultimative Eingeständnis von Schwäche. Auch in Wladimir Putins Rede ist Russland vor allem eines: ein Opfer.

«Gegen unser Vaterland wurde ein echter Krieg entfesselt», sagte er und zeichnete die «westlichen globalistischen Eliten» als Drahtzieher, deren Kampf um die Aufrechterhaltung ihres «Systems der Unterdrückung» am Ende auf dem Rücken des «Volks der Ukraine» ausgetragen werde.

Geht es hingegen um die russische Invasion der Ukraine, vermeidet der Kremlchef das Wort «Krieg». Stattdessen ist von einer «militärischen Spezialoperation» die Rede. Das impliziert eine dringende Notwendigkeit angesichts eines bedrohlichen Ausnahmefalles. Krieg führe nur der Westen – denn wer Krieg führt, bringt Leid. Und genau gegen solches Leid kämpfe Moskau ja.

Die Stärke von 1945 heraufbeschworen

Das Bild, das Putin von seinem Land zeichnet, ist das eines Aussenseiters, der sich gegen einen übermächtigen Feind mit machtpolitischen Motiven auflehnt. Vielleicht wäre die Zurschaustellung von schwerstem Kriegsgerät also auch gar nicht geeignet, um die Rede des Präsidenten zu untermalen.

Denn natürlich bekräftigt der Kremlchef in seiner Rede vor allem die Stärke Russlands. Aber diese Stärke liege in den russischen Werten. So hätten die sowjetischen Soldaten im Zweiten Weltkrieg bewiesen, dass es «in der Welt nichts Stärkeres und Mächtigeres gibt als unsere Einheit. Es gibt nichts Stärkeres als unsere Liebe zur Heimat.»

So verkommt das Bild des Präsidenten, der vor einer abgemagerten Militärparade die Stärke seiner Nation beschwört, nicht zum Widerspruch. Schliesslich sei es eine innere Stärke, die zum russischen Sieg führen werde.

Eine innere Stärke, die – so wie 1945 – zu Heldentaten führen werde, die den russischen Sieg bedeuten würden. Das Fehlen augenscheinlicher Stärke macht sich Putin zunutze, um den Glauben an den russischen Sieg wieder aufleben zu lassen.

Schliesslich stehe man wieder auf der richtigen Seite der Geschichte, das Herz sei am rechten Fleck.