Russischer KremlkritikerNawalny trank vergiftetes Wasser offenbar vor Abreise aus Tomsk
dpa/uri
17.9.2020 - 14:40
Wo wurde Alexej Nawalny vergiftet? In Russland – oder doch erst in Deutschland, wie kremlnahe Stimmen in Moskau behaupten. Das Team des Regierungskritikers legt nun mutmassliche Beweise vor.
Der Kremlkritiker Alexej Nawalny ist nach Darstellung seines Teams nachweislich schon in Russland vergiftet worden – und zwar in einem Hotel in der sibirischen Stadt Tomsk. Das Gift soll ihm demnach in einer Flasche mit Mineralwasser in seinem Zimmer verabreicht worden sein. Nawalnys Team zeigte ein Video von den Flaschen der Marke «Swjatoj Istotschnik» («Heilige Quelle»). Unterdessen forderte das Europaparlament, sofort eine internationale Untersuchung zu dem Fall einzuleiten.
Daran solle auch die EU beteiligt sein, hiess es in einer am Donnerstag verabschiedeten Resolution der Parlamentarier. Darin verurteilten sie den Mordversuch gegen Nawalny scharf. Ausserdem sei der wiederholte Einsatz chemischer Waffen gegen russische Bürger ein Grund für Besorgnis. Die russische Staatsführung hatte wiederholt eine Verwicklung in dem Fall und in andere Fälle zurückgewiesen.
Russische Staatsmedien wittern Komplott des Westens
Die Abgeordneten in Brüssel forderten Moskau auf, Einschüchterung, Gewalt, Belästigung und Unterdrückung von Oppositionellen ein Ende zu setzen. Zudem rief das Parlament die EU dazu auf, die Beziehungen zu Russland zu überdenken. Moskau müsse bei internationalen Foren weiterhin isoliert werden. Zudem müsse dem EU-Sanktionsregime für Menschenrechtsverletzungen zügig zugestimmt werden, hiess es.
Nawalnys Team sieht es dem bei Instagram veröffentlichten Video zufolge nun als erwiesen an, dass der 44-Jährige bereits auf russischem Gebiet vergiftet wurde. Auf ihn soll mit einem als Chemiewaffenkampfstoff verbotenen Nervengift der Gruppe Nowitschok ein Mordanschlag verübt worden sein. Die Bundesregierung in Berlin machte wiederholt Russland dafür verantwortlich.
Moskau hatte zuletzt angesichts der Vorwürfe aus Deutschland behauptet, Nawalny sei womöglich erst nach seiner Abreise vergiftet worden. Die Staatsmedien in Moskau verbreiten die Version eines Komplotts des Westens gegen Russland, um das Land erneut mit Sanktionen zu belegen. Der Kreml betonte mehrfach, dass russische Ärzte keine Vergiftungssymptome bei Nawalny hätten feststellen können. Sie hatten von einer Stoffwechselstörung gesprochen.
Indes hat die Organisation für das Verbot von Chemiewaffen (OPCW) biomedizinische Proben Nawalnys untersuchen lassen. Die deutschen Behörden werden über die Ergebnisse unterrichtet, wie die in Den Haag ansässige Organisation mitteilte. Für die Untersuchungen hätten die OPCW-Experten unabhängig Proben Nawalnys gesammelt.
Deutsches Labor soll Spuren nachgewiesen haben
Nawalnys Team erklärte, ein deutsches Labor habe die Nowitschok-Spuren an der Wasserflasche nachgewiesen. Es zeigte auf dem Video, wie Nawalnys Mitarbeiter trotz Warnungen einer Hotelangestellten in dem Zimmer sämtliche möglichen Beweismittel mit Handschuhen aufgriffen und in Plastiktüten verstauten.
Sie hätten sich zu dem Schritt entschieden – unmittelbar, nachdem sie Nachricht über den Gesundheitszustand Nawalnys erhalten hatten, hiess es. Einige Mitarbeiter hatten sich demnach noch in Tomsk aufgehalten, um die Produktion eines Videos zu beenden. Sie seien zusammen mit einem Anwalt in das Hotelzimmer gegangen, hiess es.
Nawalny war am 20. August von einem Flug von Tomsk nach Moskau zusammengebrochen. Die Maschine landete deswegen in Omsk zwischen. Der Oppositionelle wurde dort im Krankenhaus in ein künstliches Koma versetzt und beatmet. Am 22. August wurde er nach Deutschland ausgeflogen, wo er an der Charité in Berlin behandelt wird.
Nawalny wieder bei bewusstsein
Er ist mittlerweile wieder bei Bewusstsein, atmet selbst und hat bei Instagram mit einem Foto ein Lebenszeichen gegeben. Zuvor war auch darüber spekuliert worden, dass der Tee, den der Kremlkritiker am Flughafen getrunken hatte, vergiftet gewesen sein könnte.
«Wir hatten keine besondere Hoffnung, etwas Derartiges zu finden», hiess es in der Mitteilung von Nawalnys Team. Aber weil klar gewesen sei, dass Nawalny nicht einfach nur leicht erkrankt sei, hätten sie alles eingesammelt, um es später auch an die Ärzte in Deutschland zu übergeben. «Es war auch offensichtlich, dass der Fall in Russland nicht ermittelt werden würde. Und so ist es auch: Schon fast ein Monat ist um, und Russland hat die Vergiftung Nawalnys bisher nicht eingeräumt.»
Die russischen Behörden wollen erst dann ermitteln, wenn sie Beweise für eine Vergiftung selbst vorliegen haben. Der Kreml rief deshalb Berlin zu einer direkten Zusammenarbeit auf. Der Fall belastet die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland erheblich.
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