Ukrainer erobern russisches GebietNur mit wenigen Optionen kann Putin die Blamage noch stoppen
Sven Ziegler
17.8.2024
Wie bekommt Russlands Präsident Wladimir Putin die Geschehnisse rund um Kursk wieder in den Griff? Viele Optionen bleiben ihm nicht, wie Experten-Einschätzungen zeigen.
Sven Ziegler
17.08.2024, 06:55
Sven Ziegler
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
Die Ukraine beisst sich in Kursk fest.
Für Wladimir Putin gibt es nur wenige Möglichkeiten, die Geschehnisse wieder in den Griff zu bekommen.
Experten analysieren, was genau Russland jetzt tun muss.
Seit dem 6. August beisst sich die Ukraine in der russischen Region Kursk fest. Immer tiefer dringt die Armee der Ukraine in das Gebiet vor, über 120'000 Russen mussten bereits evakuiert werden. 1150 Quadratkilometer und 82 Gemeinden in der Region Kursk sind laut ukrainischen Angaben bereits unter ihrer Kontrolle. Auch Präsident Wladimir Putin zeigt sich plötzlich verwundbar.
Russland scheint derzeit wie gelähmt. Experten sind sich einig, dass der Kreml dringend auf mehreren Ebenen reagieren muss, um den Vormarsch der ukrainischen Streitkräfte aufzuhalten und die Situation unter Kontrolle zu bringen.
Laut dem österreichischen Militärexperten Markus Reisner, der für das österreichische Militär und als Berater tätig ist, muss Russland sofort seine Truppen an den entscheidenden Frontlinien verstärken. «Russland versucht erkennbar, die Front im betroffenen Raum südwestlich von Kursk zu stabilisieren. Die russischen Streitkräfte schieben dazu langsam Truppen in Richtung der ukrainischen Angriffsspitzen vor», schreibt Reisner in einer Analyse für das österreichische Bundesheer.
Sicherung strategischer Versorgungswege
Unklar sei aber, woher Russland diese Truppen nehme. Aufgrund der Markierungen an den Fahrzeugen geht Reisner davon aus, dass «die Russen auf operativer Ebene Kräfte aus dem Raum nördlich von Charkiw abgezogen haben.» Dass sie bereits Kräfte aus dem Donbass abgezogen hätten, sei bis jetzt nicht ersichtlich.
Ein weiterer entscheidender Punkt ist die Sicherung strategischer Versorgungswege, wie etwa die Hauptstrassen und Eisenbahnverbindungen in der Region. Experten des US-amerikanischen Thinktanks «Institute for the Study of War» weisen darauf hin, dass Russland sich zunehmend auf den Schutz wichtiger logistische Routen konzentrieren muss, um ukrainische Operationen zu verlangsamen.
Satellitenbilder zeigen bereits heute neue russische Befestigungen in der Region, darunter Schützengräben und Panzersperren, die entlang wichtiger Autobahnen errichtet wurden. Damit sollen ukrainische Panzervorstösse verhindert werden. Diese Massnahmen seien notwendig, um die Bewegungsfreiheit der ukrainischen Streitkräfte einzuschränken und die russischen Nachschublinien zu sichern, heisst es im Expertenbericht des ISW.
Experten wie John E. Herbst vom Atlantic Council heben zudem hervor, dass dieser Vorstoss ein grosser Imageverlust für Moskau ist. «Es zeigt den russischen Bürgern, dass der Krieg nun auf eigenem Boden geführt wird und dass die Invasion in die Ukraine auch Auswirkungen auf Russland selbst hat», so Herbst. Diese moralische Dimension könnte langfristig zu einem Rückgang der Unterstützung für den Krieg in der russischen Bevölkerung führen.
Auch die Experten des Center for European Policy Analysis (CEPA) glauben, dass der Angriff moralische und strategische Auswirkungen haben wird. Die russische Reaktion auf die ukrainischen Vorstösse seien «langsam und unkoordiniert». In den vergangenen Tagen hätten zahlreiche Militärblogger die Vorstösse der Ukraine und die ausbleibende Reaktion des Kremls kritisiert. Auch das könne die Moral innerhalb der russischen Reihen stark einschränken.
Deshalb müsse der Kreml nun reagieren und die Schäden möglichst in Grenzen halten. Das habe Putin bereits mit der Erklärung einer «Anti-Terror-Operation» in Kursk getan. «Der Kreml hat vermutlich die Option einer Anti-Terror-Operation gewählt, um die Operation der Ukraine in Kursk herunterzuspielen», heisst es in einem ISW-Bericht. Putin wolle unbedingt innenpolitische Unzufriedenheit oder Unsicherheit vermeiden, um seine Stabilität zu sichern.