«Giftiger Cocktail»Pints, Pornos und Kokain im britischen Parlament
SDA
13.5.2022 - 18:00
Alkohol, Kokain, sexuelle Übergriffe: In Westminster reiht sich ein Skandal an den nächsten. Mehrere Abgeordnete traten wegen schweren Fehlverhaltens zurück. Der Ruf des Hauses ist ramponiert.
Keystone-SDA
13.05.2022, 18:00
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«Mutter aller Parlamente» wird die Herzkammer der britischen Demokratie oft genannt. Doch in London führen sich Abgeordnete und Mitarbeiter auf wie ausgeflippte Söhne.
Aber nicht nur Parlamentarier aller Couleur lassen die Puppen tanzen, auch Mitarbeiter. Allein im März wurden in den Gebäuden an der Themse neun alkoholbedingte Sicherheitsvorfälle gemeldet. Vieles erinnert an die Feiern während der Corona-Lockdowns in der Downing Street («Partygate»).
«Das Unterhaus ist kein Ort, wo wir übernachten. Es ist kein Ort, an dem wir völlig betrunken und ohne Kontrolle auftauchen», rief Justiz-Staatssekretärin Victoria Adams im Sender Times Radio zur Ordnung. «Dies ist eine Arbeitsstätte. So sollten sich Leute am Arbeitsplatz nicht verhalten.»
Was fast flehentlich klingt, ist nicht die erste Mahnung an Abgeordnete und Beschäftigte. Seit Wochen gibt es Appelle, die Kultur in Westminster müsse sich endlich ändern.
Alkohol spielt eine grosse Rolle an der Downing Street
Immer deutlicher wird, welch zentrale Rolle Alkohol im Regierungsviertel spielt. Es ist üblich, dass sich Abgeordnete, Mitarbeiter, Lobbyisten und Journalisten in einem der vielen Pubs wie dem «Red Lion» zum Plausch treffen – und zu mehreren Pints. Wer nicht hingeht, kann nicht mitreden. Im Parlament selbst gibt es eine Kneipe, wo die Preise deutlich niedriger sind als anderswo im Vereinigten Königreich.
Von einem ernsthaften Problem spricht auch der konservative Verteidigungsminister Ben Wallace. «Es sind lange Arbeitstage, lange Abende am Tresen, und das führt seit Jahrzehnten oft zu Verhaltensauffälligkeiten.» Die Mischung aus viel Arbeit, hohem Druck und Alkohol sei «giftig». «Mein Rat an alle Abgeordneten ist: Meidet Kneipen. Beendet die Arbeit des Tages und geht nach Hause.» Doch nicht nur der Alkoholkonsum sorgte dieses Jahr schon für Skandale, auch anderes.
Pornos auf dem Handy während Parlamentssitzung
Der konservative Abgeordnete Neil Parish schaute im Sitzungssaal auf seinem Handy einen Porno, bis er von einer Kollegin erwischt wurde. Die Verteidigungslinie des Landwirts, er sei auf der Suche nach Traktoren zufällig auf der Seite gelandet, hielt nicht lange stand. Parish musste zurücktreten. Der Fall löste eine Sexismus-Debatte aus. Die Sonntagszeitung «Observer» schrieb von einem «giftigen Cocktail», der Westminster erschüttere.
Auch Parishs Parteifreund Imran Ahmad Khan musste sein Amt abgeben: Ein Gericht befand ihn eines länger zurückliegenden sexuellen Übergriffs auf einen 15-Jährigen für schuldig. Der konservative Abgeordnete David Warburton wurde von seiner Fraktion suspendiert, nachdem ein Foto auftauchte, das ihn offensichtlich mit Kokain zeigte. Hinzu kamen Vorwürfe dreier Frauen wegen sexueller Belästigung. Auch die Labour-Opposition ist betroffen. Ihr Abgeordneter Liam Byrne wurde für zwei Tage ausgeschlossen, weil er Mitarbeiter schikanierte.
Spuren von Kokain auf den Toiletten
Kokain scheint im Parlament ähnlich verbreitet zu sein wie Alkohol. Anfang Dezember 2021 berichtete die Zeitung «Sunday Times», in fast allen Toilettenräumen seien Spuren des Rauschgifts gefunden worden. Abgeordnete, Mitarbeiter und andere Beschäftigte koksten teils offen. «Es herrscht eine Kokainkultur im Parlament», zitierte das Blatt eine Quelle. «Sie denken, dass sie unantastbar sind, geschützt von ihren Freunden in der Parlamentsblase.» Die Verwaltung kündigte an, den Einsatz von Drogenspürhunden zu prüfen.
Skandale blieben bisher ohne grosse Konsequenzen
Grössere Folgen hatten die Skandale bisher jedoch nicht. Das will Parlamentspräsident Lindsay Hoyle nun ändern. Im «Observer» regte er eine Radikalreform an: Dazu soll gehören, dass Mitarbeiter nicht mehr direkt von Abgeordneten eingestellt werden, sondern über eine externe Agentur. Dann soll es auch eine unabhängige Beschwerdestelle geben.
Die Konsequenzen für sein Handeln tragen will dagegen Oppositionschef Keir Starmer. Er hat am Montag seinen Rücktritt für den Fall angekündigt, dass die Polizei wegen einer Zusammenkunft während des Corona-Lockdowns ein Strafgeld gegen ihn verhängt. «Ich würde das Richtige tun und zurücktreten», sagte der Chef der Labour-Partei zu Journalisten in London.
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