Alibaba Pionier des chinesischen Online-Handels wie vom Erdboden verschluckt

Von Joe McDonald, AP

7.1.2021 - 04:25

Jack Ma, Gründer und Ex-Chef des chinesischen Online-Giganten Alibaba, ist seit Wochen wie vom Erdboden verschluckt. Zuvor hatte er Chinas Regulierungen öffentlich angeprangert.
Jack Ma, Gründer und Ex-Chef des chinesischen Online-Giganten Alibaba, ist seit Wochen wie vom Erdboden verschluckt. Zuvor hatte er Chinas Regulierungen öffentlich angeprangert.
KEYSTONE

Jack Ma zählt zu den bekanntesten Unternehmern des Landes. Nach offener Kritik an der Regierung in Peking ist der Milliardär nun aber seit Wochen wie von der Bildfläche verschwunden. Experten rätseln, ob ihm sein wirtschaftlicher Erfolg zum Verhängnis geworden sein könnte.

Als er 1999 die Alibaba Group gründete, nutzten erst wenige Chinesen das Internet. Als er fünf Jahre später den Bezahldienst Alipay aus der Taufe hob, hatten die Behörden noch gar nicht entschieden, ob derartige Angebote überhaupt erlaubt werden würden. Vieles, was der frühere Englisch-Lehrer anleierte, war zunächst riskant. Aber oft landete er Volltreffer – und wurde so zu einem der reichsten Menschen der Welt.

Riskant waren auch Äusserungen von Jack Ma auf einer Konferenz am 24. Oktober. Und diesmal sieht es zunehmend danach aus, als wäre der Schuss nach hinten losgegangen. Der Milliardär hatte den chinesischen Regulierungsbehörden vorgeworfen, zu konservativ zu agieren und sie zu mehr Aufgeschlossenheit Innovationen gegenüber aufgefordert. Kurz darauf wurde der geplante Börsengang der aus Alipay hervorgegangenen Ant Group von offizieller Seite gestoppt. Der Aktienkurs von Alibaba brach ein, was auch das Vermögen des Unternehmensgründers stark verringert haben dürfte.

Aus strategischen Gründen in Deckung?

Seitdem scheint der sonst umtriebige und redselige Ma wie vom Erdboden verschluckt. Einen Auftritt im Fernsehen sagte er ab, auch in den Sozialen Medien hält er sich auffällig zurück. Inzwischen wird deswegen wild spekuliert, ob dem Symbol des chinesischen Technologie-Booms etwas zugestossen sein könnte – oder ob er einfach aus strategischen Gründen für eine Weile in Deckung gegangen ist.

«Die Jack-Ma-Ära ist vorbei», schrieb ein Blogger unter dem Namen Yueyue Talks Technology. «Es ist zu spät, um Abschied zu nehmen.» Sprecher von Alibaba und Ant liessen Nachfragen, warum der Milliardär so lange nicht mehr öffentlich in Erscheinung getreten ist, unbeantwortet. Kenner des Landes halten es für wahrscheinlich, dass die Regierung ihm wegen seiner öffentlichen Kritik einen Denkzettel verpasst hat. In Finanzkreisen wird aber auch betont, dass die Dominanz von Alibaba im Online-Handel der Kommunistischen Partei schon länger ein Dorn im Auge war.

Laut Shaun Rein, einem Wirtschaftsberater in Shanghai, der eigenen Angaben zufolge mit Alibaba-Managern und Bekannten von Ma in Kontakt ist, gibt es keine Hinweise darauf, dass der Milliardär in rechtliche Schwierigkeiten geraten ist. «Er hat seine Lektion gelernt. Und das ist der Grund, warum er in den vergangenen zwei Monaten still geblieben ist», sagt der Gründer der China Market Research Group. «Einige seiner Freunde haben mir gesagt, sie könnten kaum glauben, wie dumm er gewesen sei.»

Der 56-jährige Ma trat 2019 zwar als Chef von Alibaba zurück. Er ist aber noch Mitglied eines Gremiums, das eine Mehrheit der Vorstände nominieren kann. Ausserdem ist er einer der grössten Anteilseigner. Als er im Herbst bei der Konferenz in Shanghai die Wirtschaftspolitik der Regierung infrage stellte, sassen nicht nur wichtige Vertreter der direkt kritisierten Behörden im Publikum, sondern auch der chinesische Vize-Präsident Wang Qishan.

Kritik an Regulierungsbehören

Wie chinesische Medien berichteten, forderte Ma die Regulierungsbehörden auf, verstärkt auch unkonventionelle Ansätze zu unterstützen, damit Unternehmer und junge Menschen leichter an Kredite kommen könnten. «Das Rennen von morgen wird ein Rennen der Innovationen und nicht der regulatorischen Fähigkeiten sein», sagte er laut der Hongkonger Zeitung «Apple Daily». Wang dagegen hatte laut dem Wirtschaftsmagazin «Caixin» auf der gleichen Veranstaltung gewarnt, neue Technologien könnten zwar Effizienz verbessern, würden aber die finanziellen Risiken vergrössern.

Am 3. November wurde der geplante Börsengang von Ant, der zum weltweit grössten des Jahres hätte werden können, abgesagt. Der Geschäftsführer von Alibaba äusserte sich später lobend über die Regulierungsbehörden – wohl in einem Versuch, die Wogen wieder zu glätten. Ma selbst aber sagte nichts. Der letzte Post, den er über den in China beliebten Mikroblogging-Dienst Sina Weibo veröffentlichte, stammt vom 17. Oktober. Die in Hongkong gehandelten Aktien von Alibaba haben seitdem 19 Prozent an Wert verloren.

Sitz der Alibaba Group ist Hangzhou, die südwestlich von Shanghai gelegene Heimatstadt des Gründers. Während ursprünglich eine Verknüpfung von chinesischen Exporteuren und westlichen Weiterverkäufern im Fokus stand, richtet sich das Unternehmen heute als Online-Händler direkt an Konsumenten und ist auch in vielen anderen Branchen aktiv. Gerade der Finanzarm, die Ant Group, erwies sich in den vergangenen Jahren als enorm erfolgreich.

IT-Konzerne im Visier der Regierung

Neben Alibaba geraten derweil auch andere IT-Konzerne zunehmend ins Visier der Regierung. Denn die kommunistische Führung hat das Umsetzen von Massnahmen gegen Monopolstellungen, gerade in der Internet-Branche, zur Priorität erklärt. «Was die Entwicklung dieser Unternehmen wesentlich beeinflussen wird, sind die neuen Kartellrechtsbestimmungen», sagt Kenny Wen vom Hongkonger Finanzdienstleister Everbright Sun Hung Kai. Das persönliche Schicksal von Ma dagegen werde auf Alibaba und Ant vermutlich keine allzu grossen Auswirkungen haben.

Wie im Dezember bekannt gegeben wurde, überprüfen Ermittler derzeit etwa eine Vorgabe von Alibaba gegenüber Verkäufern und anderen Geschäftspartnern, nicht gleichzeitig mit Konkurrenten zu kooperieren. Der Schritt habe ausländische Investoren verunsichert, aber viele Geschäftsleute in China seien «ziemlich froh» darüber, sagt Rein. Denn aus deren Sicht würden Branchenriesen wie Alibaba oder Tencent den Wettbewerb unterdrücken.

Dass das «Verschwinden» von Ma für so viel Aufsehen sorgt, hat allerdings auch viel mit seiner Persönlichkeit zu tun. Die meisten anderen chinesischen IT-Milliardäre, wie etwa der Tencent-Gründer Ma Huateng, meiden bewusst das Licht der Öffentlichkeit. Der Alibaba-Gründer dagegen ist nicht zuletzt für extravagante Auftritte bei Firmenfeiern bekannt – mitunter steht er dort mit Lederjacke und Sonnenbrille auf der Bühne, um Rocksongs zum Besten zu geben.

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