Kopf des Widerstands Schon sein Vater hat es mit den Taliban aufgenommen

Von Lukas Meyer

23.8.2021

Ahmad Massoud ist Anführer des Widerstands gegen die Taliban und Sohn eines Nationalhelden. Gelingt ihm wie seinem Vater die Verteidigung des Pandschir-Tals?

Von Lukas Meyer

23.8.2021

Die Taliban haben die Macht in Afghanistan übernommen. Widerstand leistet einzig Pandschir, etwa 160 Kilometer nördlich von Kabul. Die Taliban konnten die kleine Provinz schon während ihrer ersten Herrschaft in den 90er-Jahren «nie» erobern.

Das lag neben dem erbitterten Widerstand der Nordallianz auch an der geografischen Lage – der Eingang zum Tal ist eng und gut zu verteidigen. Auch die sowjetischen Soldaten konnten es nie erobern.



An der Spitze des Widerstands steht der bisherige Vizepräsident des Landes, Amrullah Saleh, der mit dem Helikopter aus Kabul in den Norden geflohen ist. Er hat sich nach der Flucht von Präsident Aschraf Ghani zum rechtmässigen Staatsoberhaupt von Afghanistan erklärt.

Ihm zur Seite steht der Sohn eines wichtigen Mannes: Ahmad Massoud. Er baut eine Widerstandsgruppe auf, bereits 9000 Soldaten sollen dazu gehören.

Massoud tritt in die Fussstapfen seines Vaters

Die «Washington Post» veröffentlichte vor einigen Tagen einen Aufruf von Massoud, in dem dieser den Westen um Hilfe bittet. «Ich bin bereit, in die Fussstapfen meines Vaters zu treten, mit Mudschaheddin-Kämpfern, die noch einmal gegen die Taliban kämpfen wollen.» Sie hätten Waffen und Munition gelagert, im Wissen darum, dass sie diese erneut brauchen würden. Mitglieder der Armee und der Spezialkräfte hätten sich ihnen angeschlossen.

Das sei aber nicht genug. Sein Vater habe immer auch für den Westen gekämpft, und er wolle dasselbe tun. Der Westen müsse unverzüglich helfen – mit Waffen, Munition und Vorräten. «Ihr seid unsere letzte Hoffnung», betont Massoud.

Ahmad Massoud (Mitte) empfängt im September 2019 den französischen Botschafter in Afghanistan, David Martinon. Rechts oben: ein Foto seines Vaters.
Ahmad Massoud (Mitte) empfängt im September 2019 den französischen Botschafter in Afghanistan, David Martinon. Rechts oben: ein Foto seines Vaters.
Getty Images

Dem französischen Philosophen Bernard-Henri Lévy, einem Freund seines Vaters, hat er ein Interview gegeben, das auf Deutsch im Magazin «Stern» erschien. Darin betont er: «Unser Widerstand im Pandschir-Tal hat gerade erst begonnen.» Er sterbe lieber, als dass er sich ergebe. «Ich akzeptiere niemals einen aufgezwungenen Frieden, dessen einziger Vorteil ist, dass er Stabilität im Land bringt.»

Afghanistan habe eine Schlacht verloren, aber nicht den Krieg, schrieb er vergangene Woche in Lévys Zeitschrit «La règle du jeu».

Der 32-jährige Massoud ist der Sohn des legendären Mudschadheddin und Nationalhelden Ahmad Schah Massoud. Dieser kämpfte vom Pandschir-Tal aus zuerst gegen die Sowjetunion und dann gegen die Taliban.

Leistungen des Vaters

Der «Löwe von Pandschir» genannte Massoud wurde nach dem ersten Fall von Kabul an Afghanistan der Anführer der Nordallianz. 1998 versammelte er seine Getreuen in einer Höhle im Gebirge und rief sie zum Durchhalten auf. Die Nordallianz hielt ihre Gebiete – und wurde nach dem Angriff der USA in Afghanistan zu deren wichtigsten Verbündeten. Gemeinsam nahmen die Truppen die Hauptstadt Kabul ein.

Ahmad Schah Massoud erlebte das nicht mehr mit. Am 9. September 2001 kam er bei einem Selbstmordattentat von Al Kaida ums Leben. Die zwei Mörder hatten sich als belgische Journalisten ausgegeben und in ihrer Kamera eine Bombe platziert, die sie während des Gesprächs zündeten. Ende 2001 wurde er zum «Nationalhelden der afghanischen Nation» ernannt, seine Bilder sind nicht nur im Pandschir-Tal präsent.

Fotos von Ahmad Schah Mansour im Pandschir-Tal.
Fotos von Ahmad Schah Mansour im Pandschir-Tal.
KEYSTONE

Der junge Ahmad Massoud ging mit seiner Mutter und seinen fünf Schwestern in den Iran. Ein Jahr verbrachte er an der britischen Militärakademie Sandhurst und machte einen Bachelor in «War Studies» und einen Master in Internationaler Politik in London. 2016 wurde er Geschäftsführer der Massoud-Stiftung, die Gefährten seines Vaters gegründet hatten.

Vorbestimmter Schritt

Bereits als 14-Jähriger hielt er die Abschlussrede an einer Gedenkveranstaltung in Kabul für seinen Vater an dessen zweitem Todestag. Vor zwei Jahren stieg Massoud schliesslich in die Politik ein – ein Schritt, der ihm von vielen als «vorbestimmt» ausgelegt wurde. Im September 2019 riefen ihn Hunderte von Anhängern seines Vaters zu dessen Nachfolger aus.

Wie dieser will Massoud eine Verteilung der politischen Macht nach Schweizer Vorbild. Eine Dezentralisierung und Föderalisierung soll die Regionen stärken und der Bevölkerung mehr Mitsprache geben. Die letzte Regierung mit Aschraf Ghani und Abdullah Abdullah – einem Weggefährten seines Vater – habe diese Chance verpasst.

Seither versuchte er, eine Allianz gegen die Taliban zu bilden und kritisierte etwa das Friedensabkommen, das die Trump-Regierung mit den Taliban ausgehandelt hatte – Land und Zivilgesellschaft würden so ausgeliefert und die Regierung sei nicht eingebunden worden. Zudem warnte er, dass ein überhasteter Abzug der Alliierten zu einem Bürgerkrieg führen könnte.

Taliban wollen Gespräche und schicken Kämpfer

Davor steht das Land nun tatsächlich. Die Taliban wollen die Machtfrage in Pandschir durch Gespräche und politische Mittel lösen und das Tal so zur Kapitulation bringen, wie sie erklärten. Der russische Botschafter in Kabul, Dmitri Schirnow, hatte am Samstag gesagt, sein Land sei von den Taliban gebeten worden, mit den Kämpfern in Pandschir zu verhandeln. Die militanten Islamisten wollten dort kein Blutvergiessen.

Gleichzeitig gab es Meldungen, dass die Islamisten Kämpfer aus den Nachbarprovinzen zusammengezogen und in der Nähe der Provinz bezögen hätten. Bisher hatten die Taliban Pandschir nur vereinzelt angegriffen.



Momentan sei Pandschir «eine sehr kleine Insel in einem relativ grossen, von den Taliban regierten Land», sagt Konfliktforscher Florian Weigand bei SRF. Die Frage werde sein, wie sich andere Länder positionieren und ob es Unterstützung für den Widerstand gebe, auch aus anderen Teilen des Landes.