Kantonale Abstimmung GR Proporzwahl in Graubünden im neunten Anlauf durchgekommen

uj, sda

13.6.2021 - 15:06

Das Bündner Kantonsparlament könnte mit dem neuen Wahlsystem schon bald jünger und weiblicher werden, so die Prognose des Regierungsrates Christian Rathgeb (FDP).
Das Bündner Kantonsparlament könnte mit dem neuen Wahlsystem schon bald jünger und weiblicher werden, so die Prognose des Regierungsrates Christian Rathgeb (FDP).
Keystone

Im neunten Anlauf hat es geklappt: In Graubünden wird das Parlament neu nach dem Proporzsystem gewählt. Der Entscheid für die dazu notwendige Änderung der Kantonsverfassung fiel an der Urne sehr klar aus. Chancenlos war eine Initiative für eine breite Reform der Jagd.

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58'866 Stimmberechtigte sprachen sich für einen Wechsel vom Majorz (Mehrheitswahl) zum Proporz (Verhältniswahl) aus, 15'761 waren dagegen. Das entspricht einem Ja-Stimmenanteil von 78,9 Prozent. Die Stimmbeteiligung lag bei 56,08 Prozent, wie die Bündner Standeskanzlei mitteilte.

Das Doppel-Proporzsystem bricht in wesentlichen Punkten mit der bisherigen Personenwahl in den Talschaften. Die Sitze werden neu zunächst gesamtkantonal auf die Parteien verteilt, proportional zu deren Wähleranteilen und erst danach auf Wahlkreise und Kandidierende.

Das neue System bildet laut seinen Befürwortern die politischen Kräfteverhältnisse Graubündens genauer ab als das bisherige Mehrheitswahlverfahren. Gleichzeitig erhalte es alle 39 Wahlkreise und sichere weiterhin die Vertretung der kleinen Talschaften im Grossen Rat.

Zum ersten Mal gemäss Proporz wird das 120-köpfige Parlament, der Grosse Rat, am 15. Mai 2022 gewählt. Welche Auswirkungen der Moduswechsel auf die Sitzverhältnisse haben wird, ist wegen der Komplexität des neuen Systems kaum vorauszusagen.

Weit verbreitet ist die Meinung, dass kleinere Parteien mehr Gewicht erhalten. In Graubünden zählen dazu auch SVP und SP, die 9 beziehungsweise 19 Sitze halten. Die Mitte-Partei kommt als stärkste Fraktion auf 53 Mandate, die FDP auf 36.

Die Einführung der Verhältniswahl war in Graubünden ein politischer Dauerbrenner. Acht Mal wurde das System seit 1937 an der Urne verworfen und die Mehrheitswahl bestätigt.

Die neuerliche Abstimmung hatten die Sozialdemokraten zusammen mit vier Kleinst-Parteien und 54 Bürgerinnen und Bürgern vor Bundesgericht erzwungen. Die Richter in Lausanne stellten 2019 fest, dass das Bündner Majorzverfahren teilweise der Bundesverfassung widerspricht.

Das neue Wahlsystem werde sicher zu Sitzverschiebungen im Grossen Rat führen, sagte Regierungsrat Christian Rathgeb (FDP) zur Nachrichtenagentur Keystone-SDA. Er erwartet, dass durch die Einführung von Wahllisten das Parlament in naher Zukunft jünger und weiblicher wird.

Schuss auf die Jagd ging daneben

Keine Reformen geben wird es bei der Bündner Patentjagd. Die Volksinitiative «Für eine naturverträgliche und ethische Jagd» wurde von den Stimmberechtigten wuchtig verworfen. Die Ablehnung erfolgte mit 63'228 zu 16'857 Stimmen und einem Nein-Stimmen-Anteil von 79,0 Prozent.

Mit der Jagd betraf auch diese Abstimmungsvorlage einen politischen Evergreen des Bündnerlandes. Im Gegensatz zu Abstimmungen in den Jahren 2006 und 2019 zielte die vom Verein Wildtierschutz Schweiz lancierte Initiative aber nicht nur auf die ethisch umstrittene Nachjagd im Spätherbst, die sogenannte Sonderjagd.

Das Volksbegehren wollte den Schutz der Wildtiere auf verschiedenen Ebenen stärken. Ins Visier genommen wurden auch die Jagdbehörden und die Jäger. Für letztere sollte eine Promillegrenze eingeführt werden. Kritiker der Initiative, darunter alle Fraktionen im Kantonsrat, sahen im Gesamtpaket mit dessen neun Forderungen einen grundlegenden Angriff auf die Patentjagd als Institution und Kulturgut.

Das klare Resultat sei eine Bestätigung mehr für die Jagd in ihrer heutigen Form, sagte Regierungspräsident Mario Cavigelli (Mitte). Die Bevölkerung sehe offenbar den Wert der Jagd.

Unverändert ausbezahlt werden in Graubünden die kantonalen Mutterschaftsbeiträge für Familien in finanziellen Schwierigkeiten. Die Stimmberechtigten lehnten deren Abschaffung und die Auslagerung der Familienunterstützung in die Sozialhilfe mit 41'931 zu 32'748 Stimmen ab, was einem Nein-Stimmenanteil von 56,2 Prozent entspricht.