Anschlag auf Synagoge Prozess gegen Attentäter von Halle: Verstörendes Geständnis

dpa/AFP/tafi

21.7.2020

Nach dem rechtsterroristischen Anschlag auf die Synagoge in der deutschen Stadt Halle/Saale wird dem mutmasslichen Täter der Prozess gemacht. Gleich am ersten Verhandlungstag sagt der Angeklagte aus und verstört mit einem Geständnis. 

Neun Monate nach dem rechtsterroristischen Anschlag von Halle/Saale hat der Prozess gegen den Angeklagten begonnen. Seine rassistische Gesinnung stellte der 28-Jährige dabei offen zur Schau. Schon bei Fragen zu seinem persönlichen Werdegang sprach er am Dienstag mehrfach abwertend über Zuwanderer in seinem Dorf im ostdeutschen Bundesland Sachsen-Anhalt.

Stephan Balliet werden 13 Straftaten vorgeworfen, darunter zwei Morde und mehrere Mordversuche unter anderem an 52 Gläubige in einer Synagoge in Halle. Die Bundesanwaltschaft wirft dem Angeklagten vor, «aus einer antisemitischen, rassistischen und fremdenfeindlichen Gesinnung heraus einen Mordanschlag auf Mitbürgerinnen und Mitbürger jüdischen Glaubens» geplant zu haben.

Der angeklagte Stephan Balliet äusserte sich gleich zu Prozessbeginn. Die deutsche Bundesanwaltschaft wirft dem Attentäter von Halle 13 Straftaten vor, unter anderem Mord und versuchten Mord.
Der angeklagte Stephan Balliet äusserte sich gleich zu Prozessbeginn. Die deutsche Bundesanwaltschaft wirft dem Attentäter von Halle 13 Straftaten vor, unter anderem Mord und versuchten Mord.
Hendrik Schmidt/dpa-Zentralbild/Pool/dpa

Verstörendes Geständnis

Auf Fragen der Vorsitzenden Richterin zu seinem Werdegang antwortete er knapp. Gute Freunde habe er nicht gehabt, er sei auch in keinem Verein gewesen. Er habe vor allem Interesse am Internet gehabt, weil man sich dort frei unterhalten könne. «Man fragt sich natürlich, wie man solche Taten verhindern kann, ich habe da natürlich kein Interesse dran», sagte Balliet.



Nach dem Abitur habe er einen verkürzten Wehrdienst absolviert, sei sechs Monate Panzergrenadier gewesen und habe den Wehrdienst anstrengend und «doof» gefunden, es sei «keine richtige Armee» gewesen. Sein Studium habe er krankheitsbedingt abgebrochen, danach habe er in den Tag hinein gelebt. «Nach 2015 hab ich entschieden, nichts mehr für diese Gesellschaft zu tun», sagte er.

Der 28-Jährige gestand die Tötung einer 40-jährigen Passantin. Balliet erschoss die Frau, nachdem es ihm trotz mehrfacher Versuche nicht gelungen war, in die Synagoge einzudringen. Vor Gericht sprach er von einer «Kurzschlussreaktion». «Hätte ich das nicht gemacht, hätten mich alle ausgelacht», sagte er mit Blick auf seine live von ihm ins Internet übertragenen Taten. Die Frau habe ihn «angeschnauzt», es tue ihm leid, dass er sie getötet habe.

Der Prozess stösst bei internationalen Medien auf grosses Interesse.
Der Prozess stösst bei internationalen Medien auf grosses Interesse.
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Mammutprozess: 43 Nebenkläger, 147 Zeugen

Der Prozess findet wegen des grossen öffentlichen Interesses und aus Sicherheitsgründen im grössten Verhandlungssaal Sachsen-Anhalts in der Landeshauptstadt Magdeburg statt. Für das Verfahren sind zunächst 18 Verhandlungstage bis Mitte Oktober angesetzt. Im Falle einer Verurteilung droht dem Mann eine lebenslange Freiheitsstrafe mit anschliessender Sicherheitsverwahrung.

Das Gericht liess 43 Nebenkläger zu und benannte insgesamt 147 Zeugen. Bereits vor Prozessbeginn wurde deutlich, dass die Nebenkläger sich eine Beleuchtung der Hintergründe erhoffen. Es gehe darum, zu klären, wie sich der Täter so radikalisieren konnte, sagte Juri Goldstein, Anwalt von Besuchern der Jüdischen Gemeinde in Halle: Wie konnte jemand so viel Hass entwickeln «auf die Menschen, die er gar nicht kennt».

Die grösste Herausforderung allerdings sei der Prozess selbst, so der Anwalt. «Sie müssen bedenken, es ist eine der grössten und schwerwiegendsten antisemitisch motivierten Straftaten, die wir in den vergangenen Jahrzehnten hatten. Das ist Aufgabe genug.»

Der Prozess gegen den Attentäter von Halle findet unter verschärften Sicherheitsauflagen statt.
Der Prozess gegen den Attentäter von Halle findet unter verschärften Sicherheitsauflagen statt.
Sebastian Willnow/dpa-Zentralbild/dpa

Verschärfte Sicherheitsauflagen

Wegen der hohen Sicherheitsauflagen konnte die Verhandlung erst mit zweistündiger Verspätung beginnen. Jeder, der das Gerichtsgebäude betrat, wurde an drei Checkpoints Sicherheitskontrollen unterzogen.

Der Angeklagte wurde mit dem Hubschrauber aus dem Gefängnis nach Magdeburg gebracht. Balliet wurde in Hand- und Fussfesseln in den Gerichtssaal geführt. Drei bewaffnete und vermummte Justizbeamte bewachten ihn. Nach einem gescheiterten Fluchtversuch aus einem Gefängnis in Halle Ende Mai steht er unter verschärfter Bewachung. Auch während der Verhandlung muss B. Fussfesseln tragen.

Im Verhandlungssaal finden neben 50 Besuchern fast ebenso viele Medienvertreter, darunter aus der Schweiz, aus Israel und den Niederlanden Platz. Eine schusssichere Wand trennt den Zuschauerraum von den Prozessbeteiligten.

In Halle/Saale, der Stadt des Anschlags, hat die Initiative «9. Oktober Halle» dazu aufgerufen, an die Opfer des Anschlages erinnern statt dem Täter eine Bühne zu geben.
In Halle/Saale, der Stadt des Anschlags, hat die Initiative «9. Oktober Halle» dazu aufgerufen, an die Opfer des Anschlages erinnern statt dem Täter eine Bühne zu geben.
Jan Woitas/dpa-Zentralbild/dpa

Harte Bestrafung gefordert

Der Zentralrat der Juden in Deutschland forderte eine Bestrafung «mit aller Härte des Gesetzes». Halles Oberbürgermeister Bernd Wiegand (parteilos) sprach sich im Bayerischen Rundfunk für eine weitere gesellschaftliche Aufarbeitung des Anschlags aus.

Vor dem Gerichtsgebäude hatten sich Menschen aus Solidarität mit Betroffenen, Hinterbliebenen und Opfern versammelt. Die Kundgebung mit dem Motto «Solidarität mit den Betroffenen – keine Bühne dem Täter» will dafür sorgen, dass die Nebenklägerinnen und Nebenkläger nicht allein in den Prozess gehen, hiess es von den Veranstaltern. Vor Prozessbeginn sprachen die Veranstalter von rund 100 Teilnehmern.

Der Attentäter hatte am 9. Oktober 2019, dem höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur, schwer bewaffnet versucht, die Synagoge in Halle zu stürmen. Laut Bundesanwaltschaft wollte er möglichst viele der 52 Besucher töten. Er konnte sich jedoch auch mit Waffengewalt keinen Zutritt verschaffen. Daraufhin tötete er eine Passantin vor der Synagoge und einen Mann in einem Dönerimbiss. Ausserdem verletzte er auf seiner Flucht mehrere Menschen, bevor ihn Polizisten nach einer Verfolgungsjagd festnahmen.

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