Boris Nadeschdin will den Krieg beenden Dieser Putin-Gegner gibt vielen Menschen in Russland Hoffnung

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29.1.2024 - 00:00

Will zur nächsten Präsidentschaftswahl in Russland antreten: Boris Nadeschdin.
Will zur nächsten Präsidentschaftswahl in Russland antreten: Boris Nadeschdin.
Alexander Zemlianichenko/AP/dpa

Kaum jemand wird glauben, dass Boris Nadeschdin wirklich eine Chance hat. Trotzdem ist die unerwartete Unterstützung für seine Präsidentschaftskandidatur bemerkenswert.

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  • Boris Nadeschdin ist einer der wenigen verbliebenen Oppositionspolitiker in Russland. Bei der nächsten Präsidentschaftswahl will er gegen Putin antreten.
  • Der 60-jährige benötigt 100'000 Unterschriften. Über eine Kandidatur entscheidet aber letztlich die russische Wahlkommission.
  • Nadeschdin hat offen dazu aufgerufen, den Krieg in der Ukraine und die Mobilisierung von Männern für die russischen Streitkräfte zu beenden und einen Dialog mit dem Westen zu beginnen.
  • Bei Veranstaltungen des Putin-Gegners bilden sich lange Schlangen nicht nur in grossen Städten, sondern auch in der Provinz.

Bei eisiger Kälte stehen die Menschen in vielen russischen Städten Schlange, um mit ihren Unterschriften einen Kritiker von Präsident Wladimir Putin zu unterstützen. Angesichts der zunehmend harten Verfolgung von jeglichen Regierungsgegnern ist der Andrang der vergangenen Tage überraschend. Für den Kreml wird Boris Nadeschdin, der bei der Wahl am 17. März antreten will, damit immer mehr zu einem Problem. Die Frage ist nun, ob die Behörden seine Kandidatur tatsächlich zulassen werden.

Der stämmige 60-Jährige ist einer der wenigen noch verbliebenen Oppositionspolitiker des Landes. Er hat offen dazu aufgerufen, den Krieg in der Ukraine und die Mobilisierung von Männern für die russischen Streitkräfte zu beenden und einen Dialog mit dem Westen zu beginnen. Viele andere, die das getan haben, wurden festgenommen und zum Teil hart bestraft.

Nadeschdin braucht 100'000 Unterschriften

Dass Nadeschdin bei der bevorstehenden Wahl tatsächlich gegen den laut Umfragen noch immer beliebten Putin gewinnen könnte, ist sehr unwahrscheinlich. Doch die langen Schlangen sind für sich schon ein selten gewordenes Zeichen des Protests, der Auflehnung und des Optimismus. «Die Unterschriftensammlung ist für uns erstaunlich gut verlaufen», sagte Nadeschdin der Nachrichtenagentur AP in Moskau. «Das hatten wir, um ehrlich zu sein, nicht erwartet.»

Der Putin-Gegner tritt als Kandidat der Partei Bürgerinitiative an. Weil diese nicht im Parlament vertreten ist, braucht er zunächst mindestens 100'000 Unterschriften, um sich einen Platz auf den Stimmzetteln zu sichern. Und diese Unterschriften dürfen nicht allesamt etwa aus den grösseren, meist progressiveren Städten stammen – in jeder der Dutzenden Regionen des Landes müssen es mehr als 2500 sein.

In einer der Warteschlangen, in Sankt Petersburg, sagt Alexander Rakitjanski der AP, er habe eine Phase der Apathie durchlaufen, in der er das Gefühl gehabt habe, nichts tun zu können. Die Kandidatur von Nadeschdin sehe er nun als eine Chance, seine Bürgerrechte wahrzunehmen. Er stamme ursprünglich aus dem nahe der ukrainischen Grenze gelegenen Belgorod und unterstütze Nadeschdin auch in der Hoffnung, dass die Angriffe auf seine Heimatstadt aufhörten, fügt er hinzu.

Lange Schlangen auch in der Provinz

Online-Videos zeigen lange Schlangen von Anhängern des Oppositionspolitikers nicht nur in den Metropolen Moskau und Sankt Petersburg, sondern auch etwa im südlichen Krasnodar, in Saratow und Woronesch im Südwesten und östlich des Urals in Jekaterinburg. Sogar in Jakutsk, weit östlich in Sibirien, trotzten laut Angaben des Teams von Nadeschdin pro Tag bis zu 400 Menschen der Kälte von etwa minus 40 Grad Celsius, um die Petition für den Putin-Gegner zu unterzeichnen.

«Die Wetterbedingungen sind nicht perfekt. Und man weiss, dass es allgemein schwierig ist, die Menschen im Norden zu irgendeiner Art von Aktivität zu motivieren, aber es kommen jeden Tag Menschen», sagt Alexej Popow, der Leiter des Wahlkampfteams von Nadeschdin in Jakutsk. Er und seine Mitstreiter hätten eigentlich nur mit insgesamt etwa 500 Unterschriften in der ganzen Region gerechnet.

«Die Leute werden ärmer»

Bei einer Unterschriftensammlung in Moskau sagt der 48-jährige Kirill Sawenkow, er unterstütze Nadeschdin wegen seiner Haltung zur Ukraine und zu Friedensverhandlungen. Andere sagen, sie wünschten sich eine echte Alternative zu Putin, der das Land in eine Sackgasse geführt habe. «Mit der Wirtschaft geht es wirklich bergab. Die Leute werden ärmer und die Preise steigen», sagt die 21-jährige Anna aus Sankt Petersburg, die aus Sorge um ihre Sicherheit nicht ihren vollen Namen nennen will. Putin habe dem Land nichts Gutes getan.

Auftrieb erhielt die Kandidatur von Nadeschdin auch dadurch, dass im Exil lebende Kreml-Kritiker wie der frühere Oligarch Michail Chodorkowski sowie Anhänger des inhaftierten Alexej Nawalny ihre Landsleute aufriefen, jeden zu unterstützen, der Putin einen Anteil der Stimmen streitig machen könnte. Die Kandidatur Nadeschdins zeige, dass Debatten über gesellschaftliche Apathie in Russland realitätsfern seien, sagte der oppositionelle Aktivist Maxim Katz, der sich ebenfalls im Ausland aufhält, in einem YouTube-Video. «Was wir hier sehen, ist nicht gesellschaftliche Apathie, sondern gesellschaftlicher Hunger – ein enormes verstecktes Potenzial.»

Wahlkommission muss Kandidaten zulassen

Nach Einschätzung einiger Beobachter könnte die grosse Unterstützung für Nadeschdin selbst den Kreml überrascht haben. Der Putin-Sprecher Dmitri Peskow betonte am Donnerstag allerdings, dass dieser nicht als ein Rivale betrachtet werde. Ohnehin gilt es vielen als ausgemachte Sache, dass Putin die Wahl gewinnen und für weitere sechs Jahre an der Macht bleiben wird. Trotzdem liegt in der Wahl für den Kreml, der eine Aura der Legitimität zu wahren versucht, durchaus ein politisches Risiko.

Bislang hat die russische Wahlkommission neben Putin nur Kandidaten zugelassen, die weitgehend als Unterstützer von dessen Politik gelten. Im Dezember wurde die Journalistin und ehemalige regionale Abgeordnete Jekaterina Dunzowa, die Frieden in der Ukraine gefordert hatte, von der Kommission abgelehnt. Begründet wurde dies mit formalen Fehlern in den eingereichten Dokumenten.

In Wahrheit sei Dunzowa aber wohl abgelehnt worden, weil sie den Behörden ein zu grosses Risiko gewesen sei, sagt Ekaterina Schulmann vom Carnegie Russia Eurasia Center in Berlin. «Sie kennen sie nicht. Und in ihren Augen ist sie damit unberechenbar. Und wenn sie eines nicht mögen, dann sind es unberechenbare Dinge», betont die Politikwissenschaftlerin.

Nadeschdin sagt der AP, dass seine eigene Kandidatur bislang wohl deswegen nicht verhindert worden sei, weil er eine relativ bekannte Persönlichkeit sei und weil er Putin nicht direkt kritisiert habe. Nach Einschätzung von Schulmann wäre es für den Kreml aber zumindest ein «gefährliches Spiel», Nadeschdin am Ende wirklich antreten zu lassen. «Ich denke, sie werden ihn im nächsten Schritt ausschalten, wenn er die Unterschriften einreicht», sagt sie.