Schelte von Nationalisten Darum dürfen gewisse Russen Putin ungestraft kritisieren

mmi

4.1.2023

Russlands «Selbstzerstörung»: Putin verliert an Rückhalt

Russlands «Selbstzerstörung»: Putin verliert an Rückhalt

Viele Russen fragen sich in ihren Neujahrsferien, wie es in dem von Niederlagen überschatteten Krieg gegen die Ukraine weiter geht. Dabei geht es auch um Schuldfragen, eine mögliche Lösung – und immer wieder die Zukunft des Landes und auch um Kremlchef Putin.

03.01.2023

Nach der wohl blutigsten Nacht für die russische Armee werden der Kreml und dessen Kriegsführung harsch kritisiert – bestimmte Kritiker in den eigenen Reihen. 

mmi

Nach den wohl tödlichsten Angriffen auf die russische Armee zu Beginn des Jahres, weht Kremlchef Putin ein rauer Wind entgegen, selbst aus den eigenen Reihen. 

Abgeordnete des Kremls wie auch kremelnahe Kriegsblogger werfen der russischen Militärführung Versagen vor. 

In einem Fernsehinterview mit einem russischen Unternehmehr, das auf Youtube veröffentlicht wurde, holt der Nationalist Girkin, besser bekannt unter dem Kampfnamen Strelkow, zu einem Frontalangriff aus, meldet SRF. Der Militärblogger machte Aussagen wie: «Wenn die Regierung so weitermacht wie jetzt, gibt es Revolten», «Die Regierung richtet sich selbst zugrunde und mit ihr das ganze Land» oder «Der Kopf des Fisches ist völlig verrottet».

Auch einige russische Abgeordnete äusserten sich via Telegram. Laut Andrei Medwedew sei es «gefährlich und kriminell», im zehnten Monat des Krieges den Gegner für einen Narren zu halten, meldet der «Tages-Anzeiger».

Damit bezieht er sich auf das Debakel in der Silvesternacht, bei dem nach russischen Angaben 63 Soldaten durch vier ukrainische Raketen getötet worden seien. Auch für weitere Armeeangehörige sei es ein grober und fahrlässiger Fehler gewesen, offenbar Hunderte Armeeangehörige im selben Gebäude zu platzieren, direkt neben einem Munitionslager. 

Solch harsche Kritik an der sogenannten Spezialoperation in der Ukraine enden meist im Gefängnis oder im Exil.

Viele denken so wie Girkin

Doch im Falle des ehemaligen Geheimdienstlers und Militärbloggers Igor Girkin, dürfte es wohl anders ausgehen, schätzen Experten.

Die russische Regierung sei zwar daran interessiert, nationalistische Blogger wie Girkin mundtot zu machen, ordnet der Politologe und Kenner des russischen Geheimdiensts Mark Galeotti auf Anfrage von SRF ein.

Putin gehe aber vorerst nicht gegen diese Szene vor, weil viele im Militär und im Geheimdienst dasselbe denken würden, erklärt Galeotti. Mit der Beseitigung Girkins wolle der Kreml diese Leute nicht verägern. Denn: «Ausgerechnet auf ebendiese verlässt sich der Kreml, um an der Macht zu bleiben», sagt Galeotti.

Den Kritikern geht Putin nicht weit genug

Igor Girkin ist ein Bewunderer sowohl des stalinistischen Terrors wie auch des Zaren-Imperiums. Der Ukraine spricht er das Existenzrecht ab, weshalb er den Angriffskrieg nicht kritisiert. Jedoch geht ihm die Regierung nicht weit genug. Diese Denkweise soll im russischen Geheimdienst (KGB) tief verankert sein, schätzen Expert*innen.

Und genau deshalb dürften die jüngsten Ereignisse für Putin ein Problem darstellen. Denn mit Kriegserfolgen hoffe Putin, Leute wie Girkin wieder hinter sich zu wissen. Das Versagen der russischen Militärführung gebe Girkin Anlass für seine vielbeachtete Kritik, die wiederum die Regierung antreibe, radikaler in der Ukraine vorzugehen.

Ob und wie stark sich Girkin und Gleichgesinnte wieder hinter Putin stellen, wird sich wohl an der Frontlinie entscheiden.