Raketentest mit FolgenMoskau jagt Satelliten in die Luft, und Washington explodiert
Von Philipp Dahm
17.11.2021
Trümmer im All: Gefahr durch Weltraumschrott
Trümmer im All: Gefahr durch Weltraumschrott
16.11.2021
Während Russlands Truppen-Konzentration an der Grenze zur Ukraine die Nato nervös macht, sind die USA nach Wladimir Putins neuestem Streich richtig wütend: Moskau hat eine Anti-Satelliten-Rakete getestet.
Von Philipp Dahm
17.11.2021, 06:47
17.11.2021, 07:00
Philipp Dahm
Man kann Donald Trump einiges vorwerfen. Doch was der Ex-Präsident 2019 gemacht hat, gehört nicht dazu: die Gründung der US Space Force im Dezember vor zwei Jahren.
Der Grund? Weil das Weltall beim nächsten grösseren Konflikt ein entscheidendes Schlachtfeld sein wird: Je mehr Satelliten des Gegners ausgeschaltet werden können, desto weniger kann sich der Feind organisieren, kommunizieren oder observieren.
Ohne die Maschinen halten Flugzeuge oder Marschflugkörper keinen Kurs und was der Feind macht, bleibt verborgen. Das Pentagon selbst steckt deshalb viel Effort in die Eroberung des Alls. Ein schönes Beispiel dafür ist ein Space-Shuttle des US-Militärs, das unter dem öffentlichen Radar fliegt: Die X-37 bringt seit elf Jahren militärisches Material ins All, das top secret ist.
Kein Wunder, dass neben den USA auch China und Russland nach den Sternen greifen. Peking holt in diesem Rennen schnell auf, warnte gerade «National Defense». Der technisch noch deutlich potentere Widersacher Washingtons sitzt jedoch woanders: in Moskau.
«Ich bin ausser mir»
Schon seit den 50ern testet die damalige Sowjetunion Waffen, die auch im Weltraum funktionieren, und seit 1963 arbeitet Moskau an Raketen, die gegen Satelliten eingesetzt werden können. Gestern hat der Kreml mal wieder einen solchen Flugkörper getestet – und damit Washington gegen sich aufgebracht.
Mobil: Seit 1985 können auch Raketen, die von Flugzeugen abgefeuert werden, Satelliten zerstören.
Russlands Militär hat am Montag «erfolgreich einen Test durchgeführt, infolgedessen der ausgediente Raumflugkörper Zelina-D getroffen wurde, der sich seit 1982 im All befindet», bestätigt Moskau heute, was gestern bereits im Westen vermeldet wurde. Und Washington ist sauer.
«Ich bin ausser mir», hat dazu Nasa-Boss Bill Nelson erklärt. «Das ist unerhört.» Der Grund: Der Abschuss des Satelliten hat Trümmerteile in den Orbit geblasen, der die Internationale Raumstation ISS bedroht, so der Vorwurf. Die Astronauten, unter ihnen zwei Russen, mussten nach dem Abschuss eine Zeit in den Rettungskapseln der Raumstation verbringen.
«Einfach unverantwortlich»
«Es ist unglaublich, dass die russische Regierung so einen Test durchführt und nicht nur das Leben der internationalen Astronauten, sondern auch das ihrer eigenen Kosmonauten gefährdet», wütet Nelson. Die ISS passiert nun alle 90 Minuten eine Wolke aus 1500 Teilen, moniert der Nasa-Mann.
Ein arte-Video zum Dilemma mit dem Weltraummüll.
Weltraum-Müll, der mit enorm hoher Geschwindigkeit durch den erdnahen Orbit rast, wird selbst in kleinsten Teilen für die ISS oder Satelliten immer mehr zu einem grossen Problem, das das Aus bedeuten kann.
Space-Force-General James Dickinson sagt deshalb: «Russland hat eine bewusste Missachtung für die Sicherheit, Stabilität und langfristige Nachhaltigkeit des Weltraums für alle Nationen an den Tag gelegt. Diese Art von Verhalten ist einfach unverantwortlich.»
Zweierlei amerikanische Ellen
Die Reaktion der USA lässt tief blicken – denn gerade ist etwas ganz Ähnliches passiert, und gejuckt hat es keinen. Letzte Woche musste die ISS ebenfalls eine Kurskorrektur vornehmen, weil Trümmerteile unterwegs waren. Und auch in diesem Fall stammen sie von einem abgeschossenen Satelliten, nur diesmal waren es Chinesen, die den Abzug zogen.
Das zeigt, wie angespannt derzeit die Beziehung zwischen Washington und Moskau ist. Ein Pulverfass ist nach wie vor die Grenze zur Ukraine, an der Russland grosse Truppenkontingente stationiert hat. Erst gestern warnte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg deshalb auch, die «ungewöhnliche» Konzentration von Soldaten könnte der Auftakt deutlich aggressiverer Vorstösse sein.
Die USA beraten demnach auch mit der EU über das weitere Vorgehen, doch Frankreich griff dem Ergebnis schonmal vorweg. In einem 105-minütigen Telefonat mit Wladimir Putin will Emmanuel Macron dem Russen beschieden haben, die Franzosen seien gewillt, die «territoriale Integrität der Ukraine zu verteidigen».
Moskau streitet alles ab
Und was sagt der Kreml? Der sagt, die ukrainischen Behörden würden Verhandlungen «erschweren», verbittet sich Einmischungen in nationale Truppenbewegungen – und will auch von Weltraum-Trümmern nichts wissen: Es gebe «keine Bedrohungen für Raumstationen, Raumflugkörper und Weltraumaktivitäten», hiess es aus Moskau.
Den Vorwurf, Moskau gefährde die friedliche Nutzung des Weltraums, nannte Russlands Aussenminister «Heuchelei». Es existierten dafür keinerlei Belege. Stattdessen treibe das Pentagon selbst «auf aktivste Art und Weise» ein Wettrüsten im All voran, kritisierte Sergej Lawrow – etwa durch Tests von Angriffswaffen.
Abgerundet wird das internationale Geplänkel durch zwei weitere Themen: Die Krise an den Grenzen von Belarus und die Energie-Frage, was die Förderung und Lieferung von Öl und Gas betrifft. Mit dem Streit um den Satelliten-Abschuss hat die Gegnerschaft zwischen den USA und Russland – das darf man konstatieren – eine neue Dimension erreicht: das All.