USA auf Abstand halten Putin und Erdogan: Wie gefährlich ist die Nähe der autoritären Herrscher?

Von Zeynep Bilginsoy, AP, gusi

30.8.2018

Erdogan und Putin beim Russland-Iran-Türkei-Gipfel im April.
Erdogan und Putin beim Russland-Iran-Türkei-Gipfel im April.
Bild: Keystone

Wegen des Streits mit Washington wendet Ankara den Blick Richtung Norden. Konkret rücken Erdogan und Putin immer näher. Wie gefährlich ist diese Verbindung? Oder sucht der türkische Präsident zunehmend nach «À-la-Carte-Allianzen»?

Die Annäherung zwischen Türkei und Russland hat im Westen Ängste vor einem möglichen Bruch in der Nato geweckt. US-Präsident Donald Trump schrieb kürzlich auf Twitter, die Beziehungen zu Ankara seien «im Moment nicht sehr gut». Die von ihm angeordneten Strafzölle schickten die türkische Lira auf Talfahrt. Ob Zufall oder nicht: Präsident Recep Tayyip Erdogan telefonierte etwa zur gleichen Zeit mit dem russischen Staatschef Wladimir Putin. Ergebnis: Die beiden kündigten eine engere Zusammenarbeit in den Bereichen Verteidigung, Energie und Handel an.

Die neue Nähe zu Moskau ist nicht ohne Risiko. Der flexible Partnerwechsel wird in Ankara aber immer mehr zum festen Muster. Hintergrund ist sicherlich auch die geografische Lage - an der Schwelle zwischen Europa und Asien, zwischen Westen und Nahem Osten. Im konkreten Fall ist es aber wohl vor allem ein Mangel an Alternativen. Anders als mit der unterschwelligen Andeutung eines Bruchs der Allianz hat Erdogan in der aktuellen Krise kaum noch Chancen, sich bei Trump Gehör zu verschaffen.

Zwischen Erdogan und Putin kam es seit 2016 zu elf Treffen. Die autoritären Herrscher rücken näher.
Zwischen Erdogan und Putin kam es seit 2016 zu elf Treffen. Die autoritären Herrscher rücken näher.
Bild: Keystone

Die USA auf Abstand halten

Aus Sicht der Türkei seien «die USA inzwischen eine grössere Bedrohung als Russland», sagt der Politikwissenschaftler Sener Aktürk von der Universität Koc in Istanbul. Die aktuellen Spannungen machten Washington zu einem «Partner, der paradoxerweise auf Abstand gehalten werden muss». Auch die Kooperationen mit Russland seien Teil dieses Balanceakts.

Offiziell begründet werden die Strafzölle der USA mit dem Festhalten des amerikanischen Pastors Andrew Brunson durch die türkischen Behörden. Dies ist aber keineswegs der einzige Punkt, der die Beziehungen der beiden Staaten derzeit belastet. In Syrien unterstützt Washington kurdische Rebellen, die von Ankara als Terroristen bezeichnet werden. Zugleich fordert Erdogan schon seit längerer Zeit die Auslieferung des in den USA lebenden muslimischen Predigers Fethullah Gülen, den er für den gescheiterten Putsch von 2016 verantwortlich macht.

In diesem diplomatischen Kontext dürfte zu bewerten sein, dass das Nato-Land Türkei bei der Bestellung eines neuen Raketenabwehrsystems ausgerechnet das russische Modell vom Typ S-400 wählte. Die Auslieferung ist für das kommende Jahr geplant. Von Seiten der Bündnispartner heisst es, das russische System sei nicht mit der Ausrüstung der Nato kompatibel und könne ausserdem Sicherheitslücken verursachen. Wegen der Unstimmigkeiten unterzeichnete Trump in diesem Monat ein Gesetz, das die Lieferung amerikanischer Kampfjets vom Typ F-35 an die Türkei auf Eis legt.

Sie stehen im Syrien-Konflikt eigentlich auf unterschiedlichen Seiten. Doch auch hier zeigen sich inzwischen Ansätze der Kooperation.
Sie stehen im Syrien-Konflikt eigentlich auf unterschiedlichen Seiten. Doch auch hier zeigen sich inzwischen Ansätze der Kooperation.
Bild: Keystone

Elf Treffen zwischen Putin und Erdogan

Die Beziehungen zwischen Ankara und Moskau haben sich derweil seit 2015, als die türkischen Streitkräfte an der syrisch-türkischen Grenze ein russisches Militärflugzeug abschossen, erheblich verbessert. Erdogan und Putin haben sich seit August 2016 mindestens elfmal persönlich getroffen. Der regelmässige Kontakt führte unter anderem zur Wiederaufnahme eines Deals für eine Erdgas-Pipeline durch die Türkei und zu Plänen für den Bau eines russischen Atomreaktors in der Türkei.

Die Annäherung «demonstriert ein erhebliches Ausmass an Pragmatismus in diesem Verhältnis», sagt Anna Arutunjan, die im Moskauer Büro der Organisation International Crisis Group arbeitet. «Die Aussicht auf ein freundlich gesonnenes Nato-Mitglied ist für Moskau sehr bedeutsam», betont sie. Auch im Rahmen der Strategie zur Steigerung des eigenen Einflusses im Nahen Osten spiele die Türkei eine wichtige Rolle.

In Syrien stehen die beiden Länder eigentlich auf unterschiedlichen Seiten. Russland ist dort, gemeinsam mit dem Iran, der wichtigste Verbündete des Regimes von Präsident Baschar al-Assad. Die Türkei hingegen unterstützt einige Rebellengruppen, die Assad bekämpfen. Doch auch hier zeigen sich inzwischen Ansätze der Kooperation. Die Türkei hat ihre Forderung nach einem sofortigen Rücktritt Assads zurückgenommen; Russland akzeptiert Einsätze der türkischen Streitkräfte auf syrischem Boden gegen kurdische Extremisten.

Mal mit dem Westen, mal mit Russland

Ankara hat Moskau ausserdem gebeten, Assad von einer grossangelegten Militäroffensive in der Provinz Idlib abzuhalten, die direkt an der türkischen Grenze liegt. «Im syrischen Kontext sind Russland und die Türkei aufeinander angewiesen», sagt Aaron Stein von dem US-Institut Atlantic Council. Er gehe aber davon aus, dass Russland hier am Ende die Oberhand bewahren und die Türkei im Rahmen der Annäherung von der Unterstützung der Rebellen abbringen werde.

Weitere Interessenkonflikte bestehen etwas weiter nördlich, am Schwarzen Meer. Der Krieg zwischen Russland und Georgien vor zehn Jahren, die Annexion der Krim im Jahr 2014 und die anhaltenden Militäroperationen im Osten der Ukraine haben den türkischen Einfluss in der Region geschwächt. Als Reaktion hat die Nato inzwischen ihre Präsenz im Bereich des Schwarzen Meeres verstärkt.

«Am Schwarzen Meer macht die russische Expansion das Nato-Bündnis für die Türkei immer wichtiger», hiess es im Juni in einem Bericht der Crisis Group. Betont wurde darin, dass Ankara sogar den jahrzehntealten Grundsatz, die westlichen Verbündeten aus der Region fernzuhalten, aufgegeben habe.

Gerade an diesem Beispiel zeigt sich das, was der Politikwissenschaftler Aktürk als Ko-Existenz von «À-la-carte-Allianzen» beschrieben hat - eine Strategie, bei der sich Ankara mal an den Westen und mal an Russland wendet, je nachdem, was gerade auf der Tagesordnung steht. Insofern ist kaum abzusehen, ob Erdogans Kuschelkurs mit Putin von Dauer sein wird. Womöglich werden ihn die globalen und regionalen Entwicklungen schon bald zu einem erneuten Umschwenken bewegen.

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