Corona-Pandemie Run auf Impfstoffe lässt ärmere Länder aussen vor

AP/toko

21.6.2020

Forschung zu einem zukünftigen Corona-Impfstoff – hier in einem deutschen Labor.
Forschung zu einem zukünftigen Corona-Impfstoff – hier in einem deutschen Labor.
Sebastian Gollnow/dpa

Die Produkte existieren noch gar nicht. Trotzdem liegen schon millionenfach Bestellungen vor. Denn reiche Staaten wollen gewährleisten, dass die eigenen Bürger als erste zum Zuge kommen. Die globale Pandemie-Bekämpfung wird dadurch nicht einfacher.

Selbst wenn es bald einen Durchbruch gibt: Der Bedarf an Impfdosen dürfte das Angebot auf absehbare Zeit weit überschreiten. Mehrere Regierungen haben deswegen Verträge mit Pharmakonzernen abgeschlossen. Damit sollen Produktionskapazitäten für die jeweiligen Länder reserviert werden. Aber das Coronavirus kennt keine Grenzen. Experten warnen, dass in den ärmeren Weltregionen weiter viele Menschen sterben könnten, wenn es keine international koordinierte Strategie gibt.

Die Vereinten Nationen und Hilfsorganisationen wie die Internationale Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung erklärten Anfang dieses Monats, angesichts der globalen Ausbreitung des Virus sei es ein «Gebot der Moral», dass jeder auf der Welt Zugang zum «Volksimpfstoff» erhalte. In der Praxis dürfte es allerdings schwierig werden, ein solches Ideal umzusetzen — auch dann, wenn die Hilfsorganisationen bei den Regierungen Gehör finden würden.



«Wir haben diese schöne Vorstellung, dass jeder den Impfstoff bekommt. Aber es gibt keinen Plan, wie das zu bewerkstelligen wäre», sagt Yuan Qiong Hu von Ärzte ohne Grenzen. Bislang sei wenig getan worden, um Hindernisse bezüglich einer gerechten Verteilung aus dem Weg zu räumen. In der Vergangenheit hätten Unternehmen oft für fast jeden Schritt in der Entwicklung und Herstellung von Impfstoffen Patente angemeldet. «Wir können es uns nicht erlauben, uns mit diesen zahlreichen Rechtsebenen auseinanderzusetzen, wenn wir einen «Volksimpfstoff» schaffen wollen», sagt sie.

In den Labors der Pharmabranche wird fieberhaft nach einem Impfstoff gesucht, mit dem das Coronavirus bekämpft werden kann. 
In den Labors der Pharmabranche wird fieberhaft nach einem Impfstoff gesucht, mit dem das Coronavirus bekämpft werden kann. 
Bild: KEYSTONE/EPA/RONALD WITTEK (Archivbild)

Der chinesische Präsident Xi Jinping versprach am Mittwoch bei einem Gipfel mit afrikanischen Staats- und Regierungschefs, die Länder Afrikas würden «unter den ersten sein, die profitieren», sobald in China ein Impfstoff gegen Covid-19 entwickelt und verfügbar gemacht sei. Es wurden jedoch keine konkreten Vereinbarungen verkündet, die das Versprechen hätten stützen können.

Insgesamt befinden sich derzeit etwa ein Dutzend potenzielle Impfstoffe gegen Covid-19 in frühen Testphasen. In einigen Fällen gelten die Entwicklungen als vielversprechend. Trotzdem ist nicht zu erwarten, dass eines der Mittel noch in diesem Jahr eine Zulassung erhält — im besten Fall könnte es wohl Anfang 2021 so weit sein. Das hält Regierungen aber nicht von Bestellungen ab. Zum Teil ist sogar eine Lieferung noch vor der Marktzulassung vereinbart.

Bevorzugte Behandlung wird erwartet

Grossbritannien und die USA haben mehrere der «Kandidaten» mit Millionen Dollar unterstützt, darunter ein an der Universität Oxford entwickeltes Mittel, das von dem Unternehmen AstraZeneca hergestellt werden soll. Im Gegenzug wird eine bevorzugte Behandlung erwartet: Die Regierung in London erklärte, falls sich der Impfstoff als wirksam erweise, seien die ersten 30 Millionen Dosen für Briten reserviert.

Mit Washington hat AstraZeneca vereinbart, mindestens 300 Millionen Dosen speziell für die USA herzustellen — eine erste Teillieferung ist bereits für Oktober geplant. Zuletzt legte die EU nach: Der Pharmakonzern sicherte einer von Deutschland, Frankreich, Italien und den Niederlanden initiierten Gruppe vertraglich zu, bis Ende des Jahres 400 Millionen Dosen zur Verfügung zu stellen.



Aus Sicht von Kritikern führen derlei Verträge nicht nur zu globaler Ungerechtigkeit. Wenn einige Länder ausreichend Impfstoff erhielten, es an anderen Orten aber erneut zu schweren Ausbrüchen komme, dann würde dies weiter «die Welt und eine Rückkehr zur Normalität gefährden», sagt Seth Berkley, Chef der internationalen Impfallianz Gavi. Gemeinsam mit Partnern hat derweil auch Gavi einen Vertrag im Wert von 750 Millionen Dollar (668 Millionen Euro) mit dem britisch-schwedischen AstraZeneca geschlossen.

Die Weltgesundheitsorganisation und andere Akteure haben angesichts des immensen Bedarfs vorgeschlagen, einen «Patent-Pool» ins Leben zu rufen. Dies würde bedeuten, dass Wissenschaftler und Unternehmen geistige Eigentumsrechte aufgegeben würden, damit Daten und Informationen frei ausgetauscht werden können. In einigen Ländern bemüht man sich schon, Gesetze so zu ändern, dass sich Lizenzrechte einschränken liessen, wenn die Behörden dies in der Pandemie für notwendig erachten würden.

WHO arbeitet an «Zuteilungsrahmen»

Die Pharma-Industrie steht solchen Initiativen skeptisch gegenüber. Experten bezweifeln zudem, dass diese für eine gerechte weltweite Verteilung von Impfstoff-Vorräten sorgen würden. «Wir können uns nicht einfach auf guten Willen verlassen, um Zugang zu gewährleisten», sagt Arzoo Ahmed von der britischen Organisation Nuffield Council on Bioethics. «Bei HIV/Aids hat es zehn Jahre gedauert, bis die Medikamente bei Menschen in einkommensschwachen Ländern ankamen.»

Andere Experten betonen, dass die Entwicklung von Impfstoffen mit Milliarden an Steuergeldern unterstützt werde, während nur in begrenztem Masse kontrollierbar sei, wie die Mittel im Einzelnen verwendet würden und ob die Schutzimpfungen am Ende wirklich bei denjenigen ankämen, die sie am dringendsten benötigten. «Wir wissen nicht, wie der Prozess aussehen wird oder wie transparent er sein wird», sagt Suerie Moon vom Global Health Centre des Graduate Institute in Genf.

Die WHO arbeite derzeit an einem «Zuteilungsrahmen» dafür, wie künftige Corona-Impfstoffe verteilt werden sollten, sagt Soumya Swaminathan, leitende Wissenschaftlerin der UN-Organisation. Eine solche Leitlinie wäre allerdings nicht bindend. «Die Länder müssen sich einig sein und einen Konsens finden», betont Swaminathan. Nur so könne es funktionieren.

Zurück zur Startseite