Mörder gegen politische GefangeneNach Gefangenenaustausch mit Moskau ist Maschine mit drei Freigelassenen in USA gelandet
dpa/dor
2.8.2024 - 05:57
Nach Gefangenen-Deal: Freigelassene in Deutschland gelandet
Köln, 01.08.24: Ein spektakulärer und beispielloser Gefangenenaustausch! Einige der aus Russland Freigelassenen sind inzwischen in Deutschland angekommen.
Russland, Belarus und mehrere westliche Länder haben unter Beteiligung des türkischen Geheimdienstes insgesamt 26 Gefangene ausgetauscht.
Im Gegenzug liessen Deutschland, die USA und Partnerländer einen verurteilten Mörder und unter Spionageverdacht stehende Akteure aus Russland gehen.
Belarus liess den zunächst zum Tode verurteilten und später begnadigten Deutschen Rico K. frei. Auch der Deutsche Patrick S., der wegen Cannabis-Gummibärchen im Gepäck in Russland festgenommen worden war, wurde an Deutschland übergeben.
02.08.2024
Russland und der Westen machen einen beispiellosen Deal: Ein verurteilter Mörder und Spione kommen im Austausch für politische Gefangene frei. Bei aller Freude bleibt ein bitterer Beigeschmack.
DPA, dpa/dor
02.08.2024, 05:57
02.08.2024, 08:26
dpa
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
Nach dem historischen Gefangenenaustausch zwischen Russland, Belarus und mehreren westlichen Ländern ist eine Maschine mit freigelassenen Amerikanern in den Vereinigten Staaten gelandet.
An Bord befanden sich der wegen Spionage verurteilte «Wall Street Journal»-Korrespondent Evan Gershkovich, der ehemalige US-Soldat Paul Whelan und die amerikanische Journalistin Alsu Kurmasheva.
Sie wurden am Flughafen von US-Präsident Joe Biden und Vizepräsidentin Kamala Harris begrüsst.
Der deutsche Kanzler Olaf Scholz empfing wenige Stunden davor 13 Freigelassene in Deutschland.
Nach dem historischen Gefangenenaustausch zwischen Russland, Belarus und mehreren westlichen Ländern ist eine Maschine mit freigelassenen Amerikanern in den Vereinigten Staaten gelandet. Die Maschine aus Ankara erreichte den Militärflughafen Joint Base Andrews unweit der US-Hauptstadt Washington am späten Donnerstagabend (Ortszeit) nach mehr als neun Stunden Flug.
An Bord befanden sich der wegen Spionage verurteilte «Wall Street Journal»-Korrespondent Evan Gershkovich, der ehemalige US-Soldat Paul Whelan und die amerikanische Journalistin Alsu Kurmasheva. US-Präsident Joe Biden und Vizepräsidentin Kamala Harris umarmten Gershkovich und Kurmasheva nach dem Verlassen der Maschine. «Es ist ein wunderbares Gefühl», sagte Biden vor Journalisten auf dem Militärflughafen. «Ich war absolut überzeugt, dass wir das schaffen können.»
«Das ist ein unglaublicher Tag», sagte Harris – das könne man an den Freudentränen der Familienangehörigen sehen. Der Gefangenenaustausch sei ein «ausserordentlicher Beweis dafür, wie wichtig es ist, einen Präsidenten zu haben, der die Macht der Diplomatie versteht».
Deutscher Kanzler empfängt Freigelassene in Deutschland
Der deutsche Kanzler Olaf Scholz empfing wenige Stunden davor 13 Freigelassene in Deutschland. «Das war sehr bewegend», sagte er anschliessend am Flughafen Köln/Bonn. «Viele haben um ihre Gesundheit und auch um ihr Leben gefürchtet, das muss sehr klar gesagt werden und deshalb ist es auch wichtig, dass wir ihnen diesen Schutz jetzt hier ermöglicht haben.»
Bei der beispiellosen Aktion unter Beteiligung des türkischen Geheimdienstes MIT wurden insgesamt 26 Gefangene ausgetauscht. Im Gegenzug für die Freilassung politischer Gefangener und Kremlkritiker liessen Deutschland, die USA und Partnerländer einen verurteilten Mörder und unter Spionageverdacht stehende Häftlinge aus Russland gehen. So überstellte Deutschland bei der Übergabe auf dem Flughafen der türkischen Hauptstadt Ankara Wadim K., den sogenannten Tiergartenmörder. Russland liess unter anderem den wegen Spionage verurteilten «Wall Street Journal»-Korrespondenten Evan Gershkovich sowie prominente Oppositionelle wie Wladimir Kara-Mursa und Ilja Jaschin frei.
Herzlicher Empfang durch Putin auf dem Rollfeld
Auch der russische Präsident Wladimir Putin nahm die vom Westen freigelassenen Russen persönlich in Empfang. Der Kremlchef umarmte mindestens einen der Männer noch auf dem Rollfeld, wo die Präsidentengarde Spalier stand. «Ihr seid zu Hause, Ihr seid in der Heimat», begrüsste Putin die Freigelassenen und kündigte an, dass sie für staatliche Auszeichnungen vorgeschlagen würden.
In den USA wollen Präsident Joe Biden und Vizepräsidentin Kamala Harris neben Gershkovich auch ihre aus der Haft frei gekommenen Landsleute Paul Whelan und Alsu Kurmasheva am späten Donnerstagabend (Ortszeit) an einem Militärflughafen nahe Washington empfangen. Nach Angaben des Weissen Hauses sollen die drei um 05.30 Uhr (MESZ) ankommen.
Vor allem die Freilassung des «Tiergartenmörders» Wadim K. sorgte bei aller Freude über die Freilassung der politischen Gefangenen für einen bitteren Beigeschmack. «Niemand hat sich diese Entscheidung einfach gemacht, einen zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilten Mörder nur nach wenigen Jahren der Haft abzuschieben», sagte Scholz. Die schwierige Entscheidung sei von der Koalition nach sorgfältiger Beratung und Abwägung gemeinsam getroffen worden, der Oppositionsführer – Unionsfraktionschef Friedrich Merz (CDU) – frühzeitig informiert und nach eigenem Bekunden einverstanden gewesen.
Nach dem Treffen mit den Freigelassenen bezeichnete Scholz den Austausch als richtige Entscheidung. «Und wenn man da irgendwelche Zweifel hatte, dann verliert man die nach dem Gespräch mit denjenigen, die jetzt in Freiheit sind.»
Der SPD-Aussenpolitiker Michael Roth schrieb auf X, manchmal müsse man «aus Gründen der Menschlichkeit mit dem Teufel einen Deal machen». Justizminister Marco Buschmann räumte ein, für die Freiheit der Gefangenen habe man schmerzhafte Zugeständnisse machen müssen. Mit Blick auf die Ausweisung des verurteilten Mörders Wadim K. sagte er: «Ein besonders bitteres Zugeständnis verantworte ich als Justizminister.»
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International begrüsste den Gefangenenaustausch, warnte aber vor den Folgen solcher Deals. «Die russische Regierung könnte sich so zu weiteren politischen Verhaftungen und Menschenrechtsverletzungen ermutigt fühlen, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen», sagte der stellvertretende Generalsekretär in Deutschland, Christian Mihr.
Unter den deutschen Staatsbürgern, die frei kamen, war der in Belarus zunächst zum Tode verurteilte und später begnadigte Rico K. Auch Patrick S., der nach Behördenangaben wegen Cannabis-Gummibärchen im Gepäck am Flughafen in Sankt Petersburg festgenommen worden war, wurde an Deutschland übergeben.
Angehörige von Opfer des «Tiergartenmörders» enttäuscht
Der nun an Russland überstellte Wadim K. hatte laut Urteil am 23. August 2019 in der Berliner Parkanlage Kleiner Tiergarten im Auftrag staatlicher russischer Stellen einen Georgier tschetschenischer Abstammung heimtückisch erschossen. Dafür habe der frühere Oberst einer Spezialeinheit des russischen Geheimdienstes FSB eine Alias-Identität erhalten. Das Berliner Kammergericht verurteilte ihn 2021 zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Zudem stellte es die besondere Schwere der Schuld fest, was normalerweise eine Haftentlassung nach 15 Jahren nahezu ausschliesst. Die Angehörigen des von Wadim K. ermordeten Georgiers waren im Prozess als Nebenkläger aufgetreten.
Das Opfer hatte in Deutschland Schutz gesucht. Der Mann hatte während des zweiten Tschetschenien-Krieges mehrere Jahre lang eine Miliz im Kampf gegen Russland angeführt. Nach Moskauer Darstellung war er für Dutzende Tote unter russischen Sicherheitskräften verantwortlich. Russische Behörden hatten ihn als tschetschenischen Terroristen eingestuft.
Kremlchef Putin nahm den Mörder öffentlich in Schutz, weil er aus russischer Sicht einen Staatsfeind beseitigt hatte. Russische Behörden hatten den Georgier als tschetschenischen Terroristen eingestuft.
Das vorzeitige Ende der Haft für den «Tiergartenmörder» sorgt bei den Angehörigen des Opfers für Enttäuschung. «Das war eine niederschmetternde Nachricht für uns Angehörige», teilten diese über ihre Anwältin Inga Schulz der Deutschen Presse-Agentur in Berlin mit. «Einerseits sind wir froh, dass jemandes Leben gerettet wurde. Gleichzeitig sind wir sehr enttäuscht darüber, dass es in der Welt anscheinend kein Gesetz gibt, selbst in Ländern, in denen das Gesetz als oberste Instanz gilt», teilten sie mit.