Trumps Corona-Krise Sehenden Auges in den Abgrund: «Fauci sagt viele Dinge»

Von Philipp Dahm

8.7.2020

Verheerende Rekorde: Trotz brutaler Corona-Zahlen beharrt Donald Trump auf die Öffnung des Landes. Nun fürchten Forscher, dass es bis zum Herbst mehr als 200'000 Tote geben könnte.

Die neuesten Corona-Zahlen aus den USA sind verheerend. Knapp drei Millionen Corona-Fälle, erstmals über 60'000 Neuinfektionen und über 1'100 Tote innert 24 Stunden.

Kein Wunder, dass der bekannte US-Immunologe Anthony Fauci am Montag gewarnt hatte, die Lage sei angesichts des raschen Anstiegs der Corona-Neuinfektionen im Süden und Westen des Landes «wirklich nicht gut», sondern vielmehr «ernst» und erfordere ein «sofortiges Handeln».

Die USA hätten die Pandemie nie unter Kontrolle gebracht und steckten daher immer noch in der ersten Welle des Virus. Doch auch wenn Fauci zur Corona-Arbeitsgruppe des Weissen Hauses gehört, ficht das den US-Präsidenten nicht an.

In Ungnade gefallen: Immunologe Anthony Fauci (rechts) schwant Böses, was den Verlauf der Pandemie in den USA angeht.
In Ungnade gefallen: Immunologe Anthony Fauci (rechts) schwant Böses, was den Verlauf der Pandemie in den USA angeht.
Bilkd: Keystone

Nur einen Tag später betont Donald Trump, einen erneuten Lockdown werde es mit ihm nicht geben. «Wir bleiben offen, wir schliessen nicht», beharrte er am Dienstag trotzig bei einem Runden Tisch zum Thema in seinem Amtssitz in Washington.

Öffnung um jeden Preis

Ins Konzept passte ihm auch nicht, dass die US-Eliteuniversität Harvard ihre Vorlesungen im Wintersemester nur noch online abhalten will. «Ich denke, dass sie es sich leicht machen, und ich denke, sie sollten sich schämen.» Zumindest gibt ihm das die Gelegenheit, ausländische Studenten auszuweisen.

Vizepräsident Mike Pence und Donald Trump (rechts) am Dienstag im Weissen Haus.
Vizepräsident Mike Pence und Donald Trump (rechts) am Dienstag im Weissen Haus.
Bild: Keystone

Gleichzeitig erhöht der 74-Jährige den Druck auf die Bundesstaaten. «Wir wollen, dass unsere Schulen im Herbst geöffnet sind», betonte Trump mit Blick auf demokratische Gouverneure, die sich anders geäussert hatten. Und noch in seiner Rede zum Tag der Unabhängigkeit am Samstag versicherte der US-Präsident seiner Nation, «99 Prozent» der Infektionen würden «total harmlos» verlaufen.

Davon ist an den Hotspots der Pandemie nichts zu bemerken. In der ersten Juliwoche mussten 18 Bundesstaaten einen Anstieg der Infektionen vermelden, berichtet «Reuters»: In Texas verdoppelte sich in den letzten zwei Wochen die Zahl der Intensivpatienten. In Arizona sind inzwischen 90 Prozent der Intensivbetten belegt.

Trump: «Habe nicht auf meine Experten gehört»

Selbst Milliardär und Sänger Kanye West, dem selbst Ambitionen auf das Präsidentenamt nachgesagt werden, bekundet, das Coronavirus gehabt zu haben – und dass er sich von Trump abgewandt habe, meldet «CNN». Der wiederum legte am Dienstag in einer TV-Show nochmal nach. «Nun, ich denke, wir stehen gut da», wird Trump zitiert.

Eigenwillig: Donald Trump hört nicht auf Experten.
Eigenwillig: Donald Trump hört nicht auf Experten.
Bild: Keystone

Und mit Blick auf Faucis Aussage vom Vortag: «Ich stimme ihm nicht zu. Fauci sagt ‹Tragt keine Masken›, und jetzt sagt er: ‹Tragt Masken›. Und er sagt viele Dinge. ‹Riegelt China nicht ab. Schliesst China nicht aus›. Ich habe es trotzdem getan. Ich habe nicht auf meine Experten gehört und ich habe China ausgeschlossen. Wir wären sonst in viel schlechterer Verfassung.»

National-Feierlichkeiten am 4. Juli in Washington: Wie viele Amerikaner sich am Tag der Unabhängigkeit angesteckt haben, werden die kommenden zehn Tage zeigen.
National-Feierlichkeiten am 4. Juli in Washington: Wie viele Amerikaner sich am Tag der Unabhängigkeit angesteckt haben, werden die kommenden zehn Tage zeigen.
Bild: Keystone

Trump attestierte seiner Administration und sich weiter, «gute Arbeit» geleistet zu haben: Dass Land werde in «zwei, drei, vier Wochen wieder in sehr guter Verfassung sein». Allerdings hatte Trump am Runden Tisch im Weissen Haus auch berichtet, dass die Sterblichkeitsrate in den USA «die niedrigste auf der Welt» sei.

Über 200'000 Tote im November?

Das ist nach Daten der Johns-Hopkins-Universität nicht korrekt: Unter den 20 am schwersten von der Pandemie betroffenen Ländern haben 13 Staaten eine niedrigere Sterblichkeitsrate pro 100 bestätigter Corona-Infektionen.

Am 8. Juli um 16:30 Uhr haben die USA laut Johns-Hopkins-University 2'998'177 bestätigte Infektionen. 131'486 Todesopfer sind zu beklagen.
Am 8. Juli um 16:30 Uhr haben die USA laut Johns-Hopkins-University 2'998'177 bestätigte Infektionen. 131'486 Todesopfer sind zu beklagen.

Die neueste Hiobsbotschaft: Im September und Oktober sei zu Beginn der Grippesaison mit einem deutlichen Anstieg der Corona-Todeszahlen zu rechnen, erklärten die Forscher des Instituts IHME der Universität Washington in Seattle. Bis November könnte die Zahl der Todesopfer ihrem weithin beachteten Modell zufolge auf bis zu 208’000 steigen.

Wenn 95 Prozent der Menschen in der Öffentlichkeit stets Masken trügen, könnte die Zahl der Opfer bis November aber mit rund 163’000 deutlich geringer ausfallen. Zuletzt hatten die Forscher rund 175’000 Tote prognostiziert. Die erneute Erhöhung der Prognose war demnach dem starken Anstieg der Neuinfektionen im Süden der USA und dem Ausblick auf die Herbstmonate geschuldet, hiess es.

Astronauten tragen ja auch Risiken

Doch wenn es nach der Trump-Administration geht, gehört ein gewisses Risiko dazu. Anders ist es nicht zu deuten, was Bildungsministerin Betsy DeVos am Dienstag in einer Videokonferenz den Gouverneuren erklärt hat:

«[Dozierende] müssen die richtigen Daten auswerten und die Risiken abwägen. Sie tragen bereits im täglichen Leben ein Risiko. Wir wissen, dass es Risiken bei allem gibt, was wir tun – vom Risiko, wenn wir lernen, Velo zu fahren, bis zum Risiko, in eine Raumkapsel zu steigen und auf den Mond geschossen zu werden.»

Und das notabene in einem Land, in dem es keine allgemeine Krankenversicherung gibt und das Anfang November eine Präsidentschaftswahl abhalten will. Der Herbst in den Vereinigten Staaten dürfte heiss werden – und wenn die Befürchtungen eintreffen, wir es auch ein schwarzer Herbst werden.

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