Selenskyj und sein Siegesplan Das quälende Warten auf die Antwort aus Amerika

AP/toko

3.10.2024 - 00:00

Präsident Joe Biden und der ukrainische Präsidenten Volodymyr Selenskyj bei einem früheren Treffen im Oval Office des Weissen Hauses in Washington.
Präsident Joe Biden und der ukrainische Präsidenten Volodymyr Selenskyj bei einem früheren Treffen im Oval Office des Weissen Hauses in Washington.
Susan Walsh/AP/Keystone

Der ukrainische Präsident hat auch bei seinem jüngsten USA-Besuch keine Erlaubnis erhalten, weitreichende Waffen gegen Russland einzusetzen. Aber das ist ein wichtiges Element seines Vorhabens. Wie geht es weiter?

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  • Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat während seines Besuchs in den USA versucht, seinen Verbündeten von seinem Siegesplan zu überzeugen.
  • Dessen unmittelbarstes Element ist die Erlaubnis, weitreichende westliche Waffen gegen Russland einzusetzen.
  • Die USA sperren sich bislang dagegen, befürchten, dass eine solche Verwendung von ihnen gelieferter Waffen von Russland als direkte US-Kriegsbeteiligung interpretiert werden und zu einer Eskalation führen könnte.
  • Viele ukrainische Vertreter haben die Hoffnung, dass Biden vor seinem Ausscheiden aus dem Amt noch einlenkt.

Präsident Wolodymyr Selenskyj ist zurück in der Ukraine – nach einer US-Visite mit gemischtem Erfolg. Die Regierung dort sagte ihm mehr als acht Milliarden Dollar an weiterer Unterstützung zu, was ihm andauernde US-Militärhilfe im Kampf gegen die russischen Invasoren garantiert, bis die nächste amerikanische Regierung im Amt ist. Und er traf mit beiden Präsidentschaftskandidaten – Kamala Harris und Donald Trump – zusammen, stimmte sie darauf ein, was sich sein Land vom künftigen US-Staatsoberhaupt erhofft.

Aber seinem längerfristigen strategischen Ziel kam Selenskyj offenbar nicht näher: seine Verbündeten davon zu überzeugen, einen Siegesplan anzunehmen, für den er wirbt – und dessen unmittelbarstes Element die Erlaubnis ist, weitreichende westliche Waffen gegen Russland einzusetzen. Die USA sperren sich bislang dagegen, befürchten, dass eine solche Verwendung von ihnen gelieferter Waffen von Russland als direkte US-Kriegsbeteiligung interpretiert werden und zu einer Eskalation führen könnte.

Und da die Zeit knapp ist, in der Biden noch möglicherweise entscheidende Weichen stellen kann, kam Selenskyj auch mit beiden potenziellen Nachfolgern zusammen – und geriet dabei kurz in den Sumpf dieses Wahlkampfes. Sein Besuch in einer Munitionsfabrik im besonders heiss umkämpften Staat Pennsylvania brachte Republikaner auf die Palme, der Vorsitzende des Repräsentantenhauses, Mike Johnson, prangerte die Visite in einem offenen Brief als eine parteiische Aktion zur Unterstützung der Demokraten an und forderte Selenskyj auf, seine Botschafterin den USA zu feuern – was nicht geschah.

Vance «zu radikal»

Es war dann die Rede davon, dass das geplante Treffen zwischen Selenskyj und Trump abgeblasen werden könnte, aber die beiden kamen dann am vergangenen Freitag in New York zusammen. Selenskyj irritierte auch einige Republikaner mit einer Äusserung über Trumps Vizekandidaten JD Vance: Er sei «zu radikal», sagte er dem Magazin «The New Yorker».

Aber mit den Treffen habe die Ukraine öffentlich gezeigt, dass sie den Kontakt mit beiden Kandidaten gleichermassen suche, sagt Oleksandr Krajew vom aussenpolitischen Analysezentrum Ukrainian Prism in Kiew. «Die Ukraine hat keine Favoriten und hält sich für offene, normale Beziehungen zu jedweder künftiger Regierung bereit.» 

So hat Selenskyj denn auch Trump persönlich seine Vision von einem Sieg erläutert. Er glaubt, dass der Einsatz von Waffen, die Ziele tief in Russland erreichen können, ein Schritt in der Richtung wäre, den Krieg zu beenden, wie Präsidentenberater Mychailo Podoljak sagte.  «Natürlich würde das nicht zu einem unmittelbaren Ende von allem führen», fügte er hinzu. «Aber wir wollen Licht am Ende des Tunnels sehen, und wir wollen verstehen, wie und wann dieser Krieg abgeschlossen wird.»

Die Führung in Kiew wartet auf das nächste Treffen der Kontaktgruppe zur Verteidigung der Ukraine am 12. Oktober in Ramstein. Das ist ein Gremium mit Vertretern aus mehr als 50 Partnerländern, das regelmässig zusammentritt, um Hilfen zu koordinieren. Die Ukraine verspricht sich von der nächsten Konferenz einen Hinweis darauf, wie Selenskyjs Siegesplan ankommt. Er hat ihn nicht öffentlich vorgelegt, aber die US-Botschafterin bei den UN, Linda Thomas-Greenfield, sagte Mitte September, dass sie Teile davon gesehen habe und dass er eine Strategie darlege, die funktionieren könne.

Selenskyj: Krieg könnte nächstes Jahr vorbei sein

Selenskyj: Krieg könnte nächstes Jahr vorbei sein

New York, 24.09.2024: Wolodymyr Selenskyj auf dem Wegzum UN-Gipfel. Dort wirbt für seinen «Siegesplan» und weckt hohe Erwartungen. Der ukrainische Präsident geht davon aus, dass der Krieg in seinem Land gegen den Angreifer Russland im kommenden Jahr beendet werden kann. «Entschlossenes Handeln jetzt kann ein faires Ende der russischen Aggression gegen die Ukraine im nächsten Jahr beschleunigen», schreibt Selenskyj auf der Plattform X nach einem Treffen mit einer überparteilichen Delegation des US-Kongresses. «Unser Siegesplan wird dazu beitragen, Russland praktisch zum Frieden zu zwingen.» Selenskyj will sein Vorhaben rund um den UN-Gipfel in New York in Gesprächen und möglicherweise auch öffentlichen Reden vorstellen. Damit will er sich zusätzliche politische und militärische Unterstützung der Verbündeten sichern.

25.09.2024

«Wir müssen einfach ein bisschen warten»

Podoljak zufolge hat die Ukraine in Washington zuletzt klargemacht, welche Ressourcen notwendig seien, um die Verteidigung im gegenwärtigen und potenziell entscheidenden Stadium des Krieges aufrecht zu erhalten. Es gab keine öffentlichen Zusagen bezüglich der ukrainischen Vorstellungen, aber nach Podoljaks Angaben hält die Führung in Kiew eine Antwort beim Treffen am 12. Oktober in Ramstein für wahrscheinlich. «Wir müssen einfach ein bisschen warten, während unsere Partner jetzt interne Diskussionen führen», sagte er.

Selenskyj sagte am Ende seiner jüngsten USA-Visite, dass alles, was die Ukraine für einen Sieg über Russland benötige, «auf dem Tisch des Partners» liege – ein Hinweis darauf, dass die Führung in Kiew keine andere Option hat, als auf die Washingtoner Entscheidung zu warten. «Der Siegesplan ist Amerika präsentiert worden, und wir haben jeden Punkt erklärt.»

Aber Beobachter und Parlamentarier sagen, dass die Ukraine beide Präsidentschaftskandidaten als potenziell problematisch betrachtet. Viele sind besorgt über Trumps Behauptung, dass der Krieg im Fall seines Wahlsieges schnell beendet werden könnte. Sie befürchten, dass das Verhandlungen auf der Basis russischer Bedingungen bedeuten und die Ukraine dazu zwingen könnte, territoriale Zugeständnisse zu machen.

Erlaubnis nach der Wahl?

Andere wiederum haben Bedenken, dass Harris Bidens Aussenpolitik fortsetzen würde, die nach Ansicht vieler Ukrainer hauptsächlich von der Furcht vor einem erweiterten Krieg bestimmt wird statt von einer durchdachten Strategie, wie Russland zu schlagen ist.

Aber viele ukrainische Vertreter haben die Hoffnung, dass Biden vor seinem Ausscheiden aus dem Amt noch einlenkt. «Biden ist zu vorsichtig, vor der Wahl diese Erlaubnis zu geben», sagte ein Angehöriger des aussenpolitischen Parlamentsausschusses, der anonym bleiben wollte. «Aber wenn die Wahl vorbei ist, gibt er vielleicht die Erlaubnis.»