Senioren an der MachtDie US-Politik leidet an Überalterung
Von Christiane Jacke, dpa
28.12.2021 - 10:20
Politik bis zum bitteren Ende? In den USA arbeiten viele Politiker bis weit über das übliche Rentenalter hinaus – das hat Folgen.
DPA, Von Christiane Jacke, dpa
28.12.2021, 10:20
Der jüngste Gesundheitscheck des US-Präsidenten las sich wenig schmeichelhaft. Ausführlich wurde darin der «steife Gang» des mächtigsten Mannes der Welt thematisiert. Von allgemeinem «Verschleiss» war die Rede und davon, dass orthopädische Einlagen für ihn ratsam seien.
Joe Biden ist 79, im kommenden Jahr wird er 80. Der Demokrat zog als ältester Präsident aller Zeiten ins Weisse Haus ein.
Das fortgeschrittene Alter von Biden wird immer wieder thematisiert – nur: Er steht in der US-Politik nicht allein da. Die Nummer drei im Staat, die demokratische Vorsitzende des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, ist 81 Jahre alt. Und in beiden Kammern des Kongresses ist das Durchschnittsalter derzeit so hoch wie nie zuvor.
Mit fast 90 zur Wiederwahl antreten
Don Young ist derzeit der älteste und dienstälteste Abgeordnete im Repräsentantenhaus. Der Republikaner ist 88, er sitzt seit 1973 in der Kammer, seit fast einem halben Jahrhundert. Und Young denkt nicht ans Aufhören: Bei der Kongresswahl 2022 will er wieder antreten.
Im Senat ist Dianne Feinstein aktuell das älteste Mitglied. Auch die Demokratin ist 88, für sie steht eine mögliche Wiederwahl erst 2024 an. Ob sie dann noch mal antreten wird, ist unklar. Die nötigen Unterlagen dafür hat sie vorsichtshalber schon mal eingereicht.
Feinsteins Senatskollege Chuck Grassley, das zweitälteste Mitglied in der Kammer, hat jüngst schon seine erneute Kandidatur bei der Wahl im kommenden Jahr angekündigt. Der Republikaner ist ebenfalls 88, nur drei Monate jünger als Feinstein. Er zog 1981 in den Senat ein. Der Altersdurchschnitt dort lag Anfang 2021 bei 64,3 Jahren.
In den beiden Kammern des US-Kongresses gibt es diverse andere, die weit über das übliche Rentenalter hinaus sind: zum Beispiel die Senatoren Richard Shelby (87), James Inhofe (87), Patrick Leahy (81) und Bernie Sanders (80) oder die Abgeordneten Bernice Johnson (86), Grace Napolitano (85), Bill Pascrell (84) und Hal Rogers (83). Die Liste liesse sich fortsetzen. Und manche der älteren Riege sind Gegenstand von Geraune.
Ein Beispiel: Bei einer Anhörung im Justizausschuss des Senats im November 2020 mit dem damaligen Twitter-Chef Jack Dorsey erlebte Feinstein einen peinlichen Moment. Sie stellte Dorsey eine Frage zu einem Warnhinweis, mit dem das Unternehmen einen Tweet des damaligen Präsidenten Donald Trump versehen hatte. Die Demokratin las die Frage vom Blatt ab, wirkte dabei konzentriert. Dorsey antwortete. Doch nur etwa eine Minute später stellte Feinstein exakt die gleiche Frage noch einmal – ohne es zu merken. Dorsey antwortete erneut und sah galant über den Lapsus hinweg. Andere zeigten weniger Verständnis.
Aussetzer geben zu Reden
Es folgten Schlagzeilen über Feinsteins angeblichen mentalen Verfall. Das Magazin «New Yorker» schrieb, der Fraktionschef der Demokraten im Senat, Chuck Schumer, habe Feinstein nahegelegt, beiseitezutreten und ihren Führungsposten im wichtigen Justizausschuss aufzugeben. Nur: Feinstein habe sich wegen Gedächtnisproblemen schon kurz darauf nicht mehr an die schwierigen Gespräche erinnern können – so habe Schumer die schmerzhafte Botschaft gleich mehrfach überbringen müssen. Feinstein entgegnete, es gehe ihr «ziemlich offensichtlich» gut.
Es gibt in den USA ein Mindestalter für Senatoren und Abgeordnete, auch für Präsidenten und deren Vizes – nicht aber ein Höchstalter. Ein Präsident darf nur zwei Amtszeiten im Weissen Haus bleiben, für Kongressmitglieder dagegen gibt es keine Begrenzung.
Der Republikaner Strom Thurmond aus South Carolina schied 2003 sogar erst im Alter von 100 Jahren aus dem Senat aus – nach fast 48 Jahren in der Kammer. Die «Washington Post» schrieb, es sei quasi ein offenes Geheimnis gewesen, dass Thurmonds Mitarbeiter in dessen letzter Legislaturperiode bis auf die eigentlichen Abstimmungen absolut alle Aufgaben hätten übernehmen müssen.
Robert Byrd ging als dienstältester Senator aller Zeiten in die US-Geschichte ein: Der demokratische Senator aus West Virginia verbrachte 51 Jahre, 5 Monate und 26 Tage in der Kammer – bis zu seinem Tod 2010, im Alter von 92 Jahren. Er galt als Institution im Senat. Bei Redeauftritten in seinen letzten Jahren aber sprach er extrem langsam, nicht immer ganz verständlich, gestikulierte mit zitternden Händen, nutzte Redemanuskripte in extra grosser Schrift.
Amtszeitbeschränkung bisher chancenlos
Kongressmitglieder erarbeiten sich über die Jahrzehnte mächtige Posten in Ausschüssen, Kenntnis parlamentarischer Kniffe und ein nationales Profil. Sie werden zu effizienten Spendensammlern und oft zu verlässlichen Kandidaten, um einen Wahlkreis zu verteidigen. Das macht sie für ihre Parteien extrem kostbar.
Gleichzeitig verhindern sie das Nachrücken jüngerer Kollegen mit Schwung und einer anderen Sicht auf die Dinge. Und so kommt es, dass Kongressmitglieder, die ihre politische Karriere starteten, als es noch Telefone mit Wählscheibe gab, teils dafür zuständig sind, Chefs von Tech-Konzernen oder Social-Media-Plattformen ins Kreuzverhör zu nehmen.
Vorstösse, die Mandatszeiten im US-Kongress zu begrenzen, blieben bislang erfolglos. Schon Harry Truman – US-Präsident von 1945 bis 1953 – plädierte dafür, eine Beschränkung der Amtszeit auch für Senatoren und Abgeordnete einzuführen. Er mahnte: «Wir würden dazu beitragen, Senilität und Überalterung zu heilen – beides schreckliche Krankheiten der Gesetzgebung.»