RusslandStimmungstest in Russland: Millionen Menschen zur Wahl aufgerufen
SDA
13.9.2020 - 14:05
Inmitten einer wachsenden Proteststimmung in Russland werden an diesem Sonntag neue Gouverneure und Regionalparlamente gewählt. Die Abstimmung gilt als wichtiger Stimmungstest – auch mit Blick auf die Vergiftung des Kremlkritikers Alexej Nawalny, einem der bekannten Oppositionspolitiker Russlands. Millionen Menschen sind am Hauptabstimmungstag in nahezu allen Gebieten des flächenmässig grössten Landes der Erde zur Stimmabgabe aufgerufen. Mehr als 9000 verschiedene Wahlen gibt es. Mit Spannung wird dabei erwartet, wie die Kremlpartei Geeintes Russland von Präsident Wladimir Putin abschneidet.
Wenngleich es bei dieser Wahl um Entscheidungsträger auf lokaler oder regionaler Ebene geht, so kann das Ergebnis doch Einfluss auf die künftige Politik in Moskau haben. Für den Kreml besonders wichtig sind die neuen Gouverneure, die in 18 Regionen gewählt werden. In elf weiteren Regionen stimmen die Menschen über eine neue Zusammensetzung lokaler Parlamente ab. In 22 Städten stehen Stadtratswahlen an. In anderen Gebieten stellen sich Abgeordnete der Staatsduma zur Wahl.
Bereits bei der Regionalwahl vor einem Jahr musste die Kremlpartei Verluste hinnehmen, konnte aber in den meisten Regionen ihre Mehrheit der Abgeordnetenmandate verteidigen. Hart umkämpft war die Wahl zum Stadtparlament in Moskau. Im Vorfeld gab es damals Massenproteste.
Aus Sicht von Experten ist angesichts schwerer wirtschaftlicher Probleme wie der gestiegenen Arbeitslosigkeit infolge der Corona-Krise die Unzufriedenheit gross. Im Osten Russlands gehen seit Wochen Tausende Menschen gegen eine Bevormundung aus Moskau auf die Strasse. In anderen Regionen ist etwa der Unmut über Umweltprobleme gross.
Die Wahl gilt auch als Test für die Parlamentswahl im nächsten Jahr. Es ist die erste Abstimmung seit dem umstrittenen Referendum über die neue Verfassung im Juni, die Putin deutlich mehr Machtbefugnisse gibt und ihm den Verbleib an der Macht bis 2036 ermöglicht, sollte er 2024 und 2030 zur Präsidentenwahl antreten.
Nicht ausgeschlossen ist, dass es in einigen Regionen zu einer Stichwahl kommen wird – weil die Menschen entweder aus Protest die Opposition wählen oder der Kreml-Kandidat als schwach gilt. So hält bei der Wahl des Gouverneurs für das Gebiet Irkutsk am Baikalsee selbst der Kreml einen zweiten Urnengang für nicht ausgeschlossen. «Daran ist nichts auszusetzen», meinte Kremlsprecher Dmitri Peskow.
Die Abstimmung begann bereits am Freitag. Die Wahlkommission wollte so laut eigenen Angaben das Risiko einer Ansteckung mit dem Coronavirus verringern. Kritiker befürchten aber erneut Manipulationen, weil eine Kontrolle der Wahl über drei Tage schwierig sei. Wahllokale wurden zum Beispiel in Bushaltestellen oder im Kofferraum von Autos eingerichtet, wie Bilder in sozialen Netzwerken zeigten.
Die Wahl steht stark unter dem Eindruck der Vergiftung Nawalnys. Der auch international bekannte Putin-Kritiker wird bereits seit drei Wochen in der Berliner Universitätsklinik Charité behandelt. Nach einer Untersuchung in einem Speziallabor steht für die Bundesregierung fest, dass der 44-Jährige mit einem Nervengift der vom internationalen Chemiewaffenverbot betroffenen Nowitschok-Gruppe vergiftet wurde. Russische Ärzte sähen dagegen bislang keine Anhaltspunkte für eine Vergiftung, hiess es aus Moskau.
Bevor Nawalny auf einem Inlandsflug nach Moskau zusammengebrochen war, hatte er sich in Sibirien aufgehalten, um die Wahlen vorzubereiten. Sein Team will mit der Strategie einer «klugen Abstimmung» die Dominanz der Kremlpartei brechen. Dabei sollen die Wähler für irgendjemanden stimmen – nur unter keinen Umständen für Geeintes Russland. Diese Methode war zuletzt schon erfolgreich.
Doch das Team des Regierungskritikers geht fest davon aus, dass Putins Partei «mit Fälschungen» ihre Dominanz verteidigen werde: «Die Gauner sind sich der Gefahr bewusst, die die Protestabstimmung für sie darstellt», hiess es. Nawalnys Stab hat nach eigenen Angaben Empfehlungen für mehr als 1100 Kandidaten abgegeben. Zuletzt wurden mehrfach Mitstreiter des Oppositionellen Opfer von Attacken.
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