Geopolitik Wie China vom Streit zwischen den USA und einem Inselstaat profitiert

AP/toko

27.11.2021 - 16:54

Die Beziehungen zwischen den Marshallinseln und den USA verschlechtern sich. Der lachende Dritte könnte China sein. 
Die Beziehungen zwischen den Marshallinseln und den USA verschlechtern sich. Der lachende Dritte könnte China sein. 
AP Photo/Rob Griffith/Keystone (Archivbild)

Die Existenz des kleinen Staates inmitten des Ozeans ist stark vom Klimawandel bedroht. Zugleich leidet er bis heute unter den Folgen von einstigen Atomtests. Die Regierung fordert mehr Geld von Washington, das um seinen geopolitischen Einfluss in der Region fürchten muss.

27.11.2021 - 16:54

Seit Jahrzehnten gelten die Marshallinseln als treuer Verbündeter der USA. Grundlage für die Beziehungen ist ein Assoziierungsabkommen, doch das läuft bald aus. Bei der Neuverhandlung will der Pazifikstaat zusätzliche Zahlungen wegen der von Atomtests verursachten Schäden für die Umwelt und die Gesundheit der Bewohner durchsetzen. Die USA lehnen dies bislang ab – und riskieren damit ein weiteres Vorpreschen Pekings in der Region.

Seit dem Zweiten Weltkrieg behandelt Washington die Marshallinseln, ebenso wie die Staaten Mikronesien und Palau, fast wie eigenes Hoheitsgebiet. In den 40er und 50er Jahren dienten die Inseln und Atolle als Testgebiet für amerikanische Nuklearwaffen. Bis heute unterhalten die US-Streitkräfte auf den Marshallinseln einen strategischen Aussenposten. Davon profitiert auch die örtliche Wirtschaft. Tausende Marshaller machen zudem von der Möglichkeit Gebrauch, in den USA leben und arbeiten zu dürfen.



Anstieg des Meeresspiegels bedroht Inselstaaten

Doch die gegenseitige Loyalität könnte durch den aktuellen Streit auf die Probe gestellt werden. Zehn demokratische und republikanische Mitglieder des US-Repräsentantenhauses haben sich wegen der anstehenden Vertragsverhandlungen mit Mikronesien, Palau und den Marshallinseln gerade in einem Brief an Präsident Joe Biden und den Nationalen Sicherheitsberater Jake Sullivan gewandt.

«Es ist beunruhigend, dass diese Verhandlungen offenbar keine hohe Priorität geniessen», schrieben die Abgeordneten. Seit dem Antritt der Biden-Regierung habe es keine formalen Treffen gegeben, kritisierten sie – obwohl sich der internationale Fokus der USA zunehmend auf den indopazifischen Raum verlagere. Die Verzögerung schwäche die eigene Position, zumal China nur darauf warte, die von den Inselstaaten «dringend benötigten Investitionen in Infrastruktur und Klimaresilienz» zur Verfügung zu stellen – akut sind die Inselstaaten besonders von dem vom Klimawandel ausgelösten Anstieg des Meeresspiegels bedroht.

China will die Lücke füllen

Das Aussenministerium in Peking erklärte, die USA müssten ihrer Verantwortung nachkommen, die von den Atomtests verursachten Umweltschäden zu beheben. China sei bereit, auf der Basis von gegenseitigem Respekt sowie der Anerkennung des Ein-China-Prinzips mit den Marshallinseln und anderen pazifischen Inselstaaten zusammenzuarbeiten. «Wir begrüssen Initiativen, mit denen die wirtschaftlichen Beziehungen gefördert und die Lebensbedingungen für beide Seiten verbessert werden», hiess es in einer Stellungnahme des Ministeriums.



Das Ein-China-Prinzip ist die von Peking vertretene Haltung, dass Taiwan kein souveräner Staat, sondern Teil der chinesischen Volksrepublik sei. Seit Jahren nutzt die Kommunistische Führung ihren zunehmenden globalen Einfluss, um bisherige Verbündete Taiwans auf die eigene Seite zu ziehen. Erst 2019 hatten im Pazifikraum die Salomonen und Kiribati diplomatische Beziehungen mit Peking aufgenommen und die mit Taiwan beendet. Auf den Salomonen kam es diese Woche zu Unruhen, bei denen auch die zunehmende Einflussnahme Chinas im Land eine Rolle spielte.

In den 40er und 50er Jahren dienten die Inseln und Atolle als Testgebiet für amerikanische Nuklearwaffen, wie hier am 1. November 1952 die erste Wasserstoffbombe. 
In den 40er und 50er Jahren dienten die Inseln und Atolle als Testgebiet für amerikanische Nuklearwaffen, wie hier am 1. November 1952 die erste Wasserstoffbombe. 
EPA PHOTO/US Department Of Energy/Str/KEYSTONE (Archivbild)

Auf den Marshallinseln beklagt James Matayoshi, Bürgermeister des Rongelap-Atolls, dass er und Hunderte andere Menschen seit den amerikanischen Atomtests noch immer Vertriebene seien. Um das Atoll wieder bewohnbar zu machen, hätten die Behörden mit potenziellen Investoren aus Asien gesprochen. «Es würde sich um eine geschäftliche Transaktion handeln», betont Matayoshi. «Aber wir wollen wieder in der Lage sein, in unserem Hinterhof zu wohnen und unser Leben hier zu geniessen.»

«Jeder weiss, dass die Verhandlungen damals nicht fair waren»

So wie viele Bewohner der Marshallinseln ist Matayoshi der Ansicht, dass eine in den 80er Jahren mit den USA vereinbarte Entschädigungszahlung in Höhe von 150 Millionen Dollar viel zu gering war. Die Position der USA ist seit den letzten Verhandlungen vor mehr als 20 Jahren unverändert. Die Entschädigung für die Atomtests sei «vollständig und endgültig» geregelt worden und könne nicht erneut aufgegriffen werden, heisst es aus Washington.

«Jeder weiss, dass die Verhandlungen damals nicht fair oder gerecht waren», sagt hingegen der marshallische Senator David Paul, der das Kwajalein-Atoll vertritt, auf dem die US-Streitkräfte einen grösseren Stützpunkt haben. «Wenn man sich die gesamten Kosten für Sachschäden und die anhaltenden Gesundheitsprobleme anschaut, dann ist es ein Tropfen auf den heissen Stein. Es ist eine Beleidigung.» Mehrere Schätzungen gehen davon aus, dass es etwa drei Milliarden Dollar kosten würde, die von den Atomtests verursachten Schäden tatsächlich zu beheben.



Das US-Aussenministerium versichert, dass der indopazifische Raum für die amerikanische Politik von grosser Bedeutung sei. Ein Erfolg der Verhandlungen mit den «frei assoziierten Staaten» werde als ein wichtiges Ziel der regionalen Aussenpolitik betrachtet, teilte das Ministerium mit. Doch auf der Gegenseite fühlen sich viele Politiker offenbar trotzdem nicht hinreichend ernst genommen.

Der Frust der Marshaller zeigte sich im vergangenen Monat in einem Brief des Aussenministers Casten Nemra an die US-Demokratin Katie Porter, die im Repräsentantenhaus den Staat Kalifornien vertritt. «Die zuständigen Beamten im Aussenministerium und im Innenministerium waren nicht bereit, eine Tagesordnung für die Gespräche abzustimmen und bemühten sich um eine Begrenzung der Debatte auf die eigenen limitierten Vorschläge», schrieb Nemra. Alle von den Marshallinseln aufgeworfenen Fragen seien unberücksichtigt geblieben.

Der marshallische Senator Paul sagt, die Herangehensweise der Amerikaner müsse sich ändern. «Aus meiner Sicht haben die USA eine rechtliche und moralische Verpflichtung, dafür zu sorgen, dass diese Trümmer beseitigt werden», betont er. «Wir wollen sichergehen, dass wir diesmal einen besseren Deal bekommen.»

AP/toko