Machtkampf in den USA «Das wäre alles sehr lustig, wenn es nicht so ernst wäre»

SDA/gbi

23.11.2020 - 10:26

Das Bemühen von Rudy Giuliani und anderer Handlanger des abgewählten US-Präsidenten den Wahlausgang zu kippen, mag stümperhaft wirken. Doch sollte man nicht die Bedeutung für das Land und den demokratischen Prozess unterschätzen.

Ihr Vater sei die «persönliche Bulldogge» von Donald Trump: Das sagt Caroline Rose Giuliani, die Tochter von Trumps Anwalt Rudy Giuliani. Und sie warnte bereits vor den Wahlen im November vor einer zweiten Amtszeit des US-Präsidenten.

Mittlerweile sitzt Trump als abgewählter Präsident im Weissen Haus. Doch geschlagen gibt er sich immer noch nicht: Stattdessen lässt der US-Präsident seinen treuen Kampfhund auf die Wahlergebnisse los, die ihm nicht gefallen.

«Ich kenne mich mit Verbrechen aus, ich kann sie riechen», sagte der 76-jährige Guiliani zuletzt. Er behauptet, beweisen zu können, dass Trump aufgrund eines von der Demokratischen Partei organisierten Stimmenraubs um den Sieg über Joe Biden gebracht worden sei.

Giuliani galt nach seiner Zeit als Bürgermeister von New York City als Held, wird mittlerweile aber von vielen als nicht oftmals glückloser Handlanger des Präsidenten belächelt. Je unwahrscheinlicher das derzeitige Unterfangen auch angesichts ablaufender Fristen und abgewiesener Klagen, desto ungezügelter poltern Trumps Anwälte – und tauchen immer tiefer in Verschwörungstheorien ab.

Irrwitzige Theorien

In einem rund 40-minütigen Monolog redete sich Giuliani vergangenen Donnerstag bei einer Pressekonferenz in Rage über den massiven Wahlbetrug, für den er noch immer keine stichhaltigen Beweise vorgelegt hat. Die Juristinnen Jenna Ellis und Sidney Powell legten mit bereits widerlegten Anschuldigungen und inkohärenten Theorien nach.

Zusammengefasst geht ihre Erklärung für Trumps Niederlage so: Stimmzettel für Biden seien mehrfach eingescannt worden, weswegen Millionen Stimmen für ihn ungültig seien. Mit verwickelt in den Betrug seien Kuba, Venezuela, China, grosse Städte in den USA, die Antifa, Tech-Unternehmen und sogar ein Internetserver in Deutschland.

Giuliani schwitzte im Licht der Scheinwerfer. Als ihm links und rechts des Haaransatzes an den Ohren dunkle Farbe herunterlief – vermutlich Spuren eines Färbemittels oder Mascara –, war die Parallele zum Horrorfilm schnell gezogen. Auf Twitter regnete es nicht nur Spott und Häme, sondern auch Warnungen. «Bei dieser Pressekonferenz hat es sich um die gefährlichsten 1:45 Stunden TV in der Geschichte Amerikas gehandelt. Und vermutlich die verrücktesten», schrieb Christopher Krebs, den Trump gerade erst gefeuert hat. Er war als Chef der Agentur für Cyber- und Infrastruktursicherheit auch für die Absicherung der Wahlen zuständig.



Zwar schmettert ein Gericht nach dem nächsten Klagen des Trump-Lagers wegen mangelnder Beweise ab – am Wochenende etwa im Bundesstaat Pennsylvania, wo Trump offenbar Millionen Briefwahlstimmen für ungültig erklären und die für diesen Montag anstehende Beglaubigung der Endergebnisse stoppen lassen wollte. Doch schrieb der zuständige Richter, die Argumente von Trumps Anwälten hätten nicht mal dafür gereicht, die Stimme «eines einzigen Wählers» für ungültig zu erklären.

Das scheinbar amateurhafte Vorgehen von Giuliani & Co. kann leicht darüber hinwegtäuschen, worum es eigentlich geht: Das Ergebnis einer Wahl zu kippen, die US-Behörden bereits als die sicherste in der amerikanischen Geschichte bezeichnet haben.

«Das wäre alles sehr lustig, wenn es nicht so ernst wäre», sagte Justin Levitt, ein Rechtsprofessor aus Los Angeles, der «New York Times». Trump attackiert mit seinem Verhalten nicht nur den demokratischen Prozess, sondern gefährdet auch die nationale Sicherheit auf beispiellose Weise.

Da Trump seine Niederlage nicht einräumt, lässt seine Regierung bislang auch keine geordnete Übergabe der Amtsgeschäfte an Wahlsieger Biden zu. Der zeigt sich zunehmend erschüttert angesichts von Trumps Weigerung, das Ergebnis anzuerkennen. Es schade dem Ansehen der amerikanischen Demokratie, sagte Biden am Donnerstag. Trump werde als der «unverantwortlichste Präsident» Amerikas in die Geschichtsbücher eingehen.

Kopfschütteln über Giuliani

Bei Verbündeten des Präsidenten sorgt Giuliani für Kopfzerbrechen. «Es wundert mich, dass das der wichtigste Rechtsstreit in der Geschichte des Landes ist und sie nicht die berühmtesten Wahlanwälte einsetzen», sagte Trumps ehemaliger Stabschef im Weissen Haus, Mick Mulvaney, vergangene Woche beim Sender Fox Business.

Giuliani hat Trump bereits mehrfach in Schwierigkeiten gebracht. Er war eine zentrale Figur in der Ukraine-Affäre, die ein Amtsenthebungsverfahren gegen Trump ins Rollen brachte. Giuliani hatte sich aktiv darum bemüht, die Ukraine zu Ermittlungen gegen Biden zu bewegen. Im Endspurt des Wahlkampfs hatte der 76-Jährige vergeblich versucht, einen Skandal rund um Bidens Sohn Hunter auszulösen. Selbst konservative Medien liessen wegen der fragwürdigen Quellenlage die Finger von der Geschichte.

Eine verfängliche Geste während eines ungewollten Auftritts im neuen «Borat»-Film des Komikers Sacha Baron Cohen brachte Giuliani in Erklärungsnot. Er wies eine sexuelle Absicht von sich, nachdem er dabei gefilmt worden war, wie er nach einem Interview mit einer jungen Frau in einem Hotelzimmer seine Hand in seine Hose geschoben hatte, um – wie Giuliani erklärte – sein Hemd hineinzustecken.



Am Tag, an dem Biden von US-Medien als Wahlsieger ausgerufen wurde, sorgte eine Pressekonferenz Giulianis für Spott, die vor einer Landschaftsgärtnerei namens «Four Seasons» stattfand und nicht – wie ein Trump-Tweet annehmen liess – im gleichnamigen Luxushotel.

Einige Trump-Verbündete befürchten offenbar, dass Giuliani seinen Freund im Weissen Haus ermuntert, den Rechtsstreit gegen das Wahlergebnis fortzusetzen, weil er darin finanzielle Vorteile sieht. 20'000 Dollar pro Tag soll er nach Informationen der «New York Times» für das Engagement verlangt haben – was Giuliani bestreitet.

Trotz der rund 30 Rückschläge, die Trump und die Republikaner dem Sender CNN zufolge inzwischen kassiert haben, gibt sich Giuliani unbeirrt. Der frühere Gouverneur von New Jersey, Chris Christie, wurde am Sonntag deutlich. «Offen gesagt ist das Verhalten des Rechtsteams des Präsidenten eine nationale Peinlichkeit», sagte der Republikaner beim Sender ABC. Er sei ein Unterstützer Trumps gewesen und habe zweimal für ihn gestimmt. Doch Wahlen hätten Konsequenzen. Wenn die Anwälte keine Beweise für Wahlbetrug vorlegen, könne das nur eines bedeuten: «Dass die Beweise nicht existieren.»

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