KriseTunesiens Präsident entlässt zwei weitere Minister
SDA
26.7.2021 - 16:31
Tunesiens Präsident Kais Saied hat nach Regierungschef Hichem Mechichi auch die Minister für Justiz und Verteidigung entlassen. Präsident Saied beruft sich auf die Verfassung, der Parlamentspräsident spricht von einem Putsch.
Keystone-SDA
26.07.2021, 16:31
SDA, DPA, lpe
Der tunesische Präsident Kais Saied hat offenbar unter dem Druck der Straße Regierungschef Hichem Mechichi entlassen und das Parlament suspendiert.
Damit stürzte am Sonntag das von Armut, Wirtschaftskrise und Corona-Pandemie gebeutelte nordafrikanische Land in eine seiner schwersten politischen Krisen seit dem Arabischen Frühling vor zehneinhalb Jahren. Saied sagte in einer Fernsehansprache: «Wir mussten diese Entscheidungen treffen ... bis sozialer Frieden in Tunesien zurückkehrt und wir den Staat retten».
Saied stationiert Soldaten um das Parlamentsgebäude
An diesem Montag folgten bereits die nächste Entlassungen: Verteidigungsminister Ibrahim Bartaji und die amtierende Justizministerin Hasna Ben Slimane müssen ihren Posten räumen. Saied habe am Montag einen entsprechenden Erlass verabschiedet, teilte das Präsidialamt mit.
Saied warnte vor Störungen der öffentlichen Ordnung, die hart bestraft würden. Soldaten umstellten am Montag das Parlament und verwehrten es Parlamentspräsident Rached Ghannouchi von der islamistischen Partei Ennahdha, es zu betreten. Ghannouchi bezeichnete Saieds Vorgehen als «Putsch gegen die Verfassung und die Revolution» des Arabischen Frühlings 2011.
Der Verfassungsartikel, auf den Saied sich berufe, schreibe vor der Übernahme von Exekutivvollmachten und der Suspendierung des Parlaments des Präsidenten in einem staatlichen Notfall Konsultationen mit Minister- und Parlamentspräsident vor. Das sei nicht geschehen. Das Parlament werde seine Arbeit fortsetzen, sagte Ghannouchi.
Junge Demonstranten forderten Auflösung
Tunesien steckt seit Jahren in schweren wirtschaftlichen Problemen, die sich durch die Corona-Pandemie noch verschärft haben. Zwischen den politischen Führern des Landes tobt ein Machtkampf. Weil die Corona-Fallzahlen zuletzt dramatisch angestiegen waren, gelten seit kurzem wieder strenge Beschränkungen.
Tausende überwiegend junge Demonstranten gingen dagegen am Sonntag trotz sengender Hitze auf die Strasse und forderten die Auflösung des Parlaments und Neuwahlen. Vielerorts kam es zu Ausschreitungen.
Rufe richten sich direkt gegen Ennahda
Nachdem Saied am Sonntagabend die Arbeit des Parlaments zumindest zeitweise aussetzte, zogen viele der Demonstranten jubelnd und fahnenschwenkend durch die Strassen. Saied hob auch die Immunität aller Abgeordneten auf. Das Büro des katarischen Fernsehnetzwerks Al-Dschasira wurde von der Polizei am Montag geschlossen, wie der Sender mitteilte.
Zu hören gewesen waren bei den Protesten am Sonntag auch Parolen gegen die Ennahda, der stärksten Kraft im Parlament. Demonstranten stürmten deren Büros, im Internet kursierende Videobilder zeigten aus dem Ennahda-Gebäude aufsteigenden schwarzen Rauch.
Angreifer beschädigten Computer sowie andere Geräte in den Büros und warfen Dokumente auf die Strasse. Die Partei verurteilte den Überfall und machte «kriminelle Banden» im In- und Ausland dafür verantwortlich.
Wirtschaftliche Probleme beenden die Erfolgsgeschichte
Tunesien, in dem 2011 der Arabischen Frühlings begann, galt lange als einzige Erfolgsgeschichte der Bewegung gegen autoritäre Regime in der arabischen Welt. Doch wirtschaftlich ging es für das Land auch nach dem Machtwechsel bergab, die Arbeitslosigkeit erreichte bereits vor der Corona-Pandemie 18 Prozent.
Anfang des Jahres forderten junge Leute bei Demonstrationen Arbeit und ein Ende von Polizeibrutalität. Neue Protest gab es, nachdem die Regierung kürzlich Kürzungen von Lebensmittel- und Treibstoffsubventionen verkündete, weil sie vom Internationalen Währungsfonds den vierten Kredit in zehn Jahren beantragen will.
Der frühere tunesische Präsident Moncef Marzouki rief in einem Facebook-Video alle Parteien zum Dialog auf. «Wir haben heute Nacht einen gewaltigen Schritt zurück getan, wir sind zurück in der Diktatur.»
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