Pakistan Nach der Flutkatastrophe droht der Hunger

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27.9.2022 - 21:27

Viele Menschen in Pakistan haben durch die Überschwemmungen alles verloren.
Viele Menschen in Pakistan haben durch die Überschwemmungen alles verloren.
Zahid Hussain/AP/dpa

Die Fluten haben Häuser, Strassen, Felder zerstört und Ernten vernichtet. Und noch immer stehen viele Flächen in Pakistan unter Wasser, auf denen nun eigentlich wieder angesät werden müsste.

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Wie jedes Jahr hat Arz Mohammed auch diesmal seine Baumwolle angebaut. Der Ertrag von dem kleinen Stück Land im Süden Pakistan würde reichen, seine fünfköpfige Familie durchzubringen – dachte er. Dann kamen die Wassermassen. Die verheerenden Überschwemmungen in Pakistan in diesem Sommer haben alles vernichtet. Sie brachten Mohammeds Haus zum Einsturz und zerstörten seine vier Morgen Baumwollanbau.

Noch immer – drei Monate nach dem Ende der heftigsten Regenfälle – steht Mohammeds Land und das seiner Nachbarn unter Wasser. Das bedeutet, dass er womöglich auch nicht wie nun geplant Weizen anbauen kann. Und das wiederum verheisst nichts Gutes für die Versorgung in der Region.

«Diese Regenfälle haben uns alles kaputtgemacht», sagt Mohammed. Mit seiner Frau und den Kindern hat er notdürftig Unterschlupf in einem Zelt in der Nähe seines zerstörten Hauses in Khairpur gefunden, einer der am stärksten betroffenen Regionen des Landes. Was die Lage für die Familie besonders schlimm macht: «Wir haben nicht einmal etwas zu essen», erklärt Mohammed.

Zahlreiche Vorratsspeicher zerstört

Grosse Teile der Ernte sind vernichtet. Ohnehin schon arme Familien trifft dies ins Mark. Fast 15 Prozent der Reis- und 40 Prozent der Baumwollernte in Pakistan sind nach offiziellen Angaben schon verloren. Zahlreiche Vorratsspeicher der pakistanischen Bevölkerung sind ebenso zerstört. Dazu kommt das grosse Leid der Menschen: Die riesigen Überschwemmungen, für die auch der Klimawandel verantwortlich gemacht wird, kosteten fast 1 600 Menschen das Leben. Fast zwei Millionen Häuser wurden zerstört oder beschädigt. Der Gesamtschaden wird auf mehr als 30 Milliarden Dollar  geschätzt.

Für Pakistan ist das drückend – bei flauer Kassenlage und steigenden Lebensmittelpreisen auf dem Weltmarkt. Am Rande seines Besuchs bei den Vereinten Nationen in New York sagte Ministerpräsident Shehbaz Sharif in der vergangenen Woche: «Wir brauchen Geld, um unsere Bevölkerung zu ernähren. Wir brauchen Geld, um die Ernteverluste aufzufangen.»

Gleichzeitig betont die Regierung aber, dass keine unmittelbare Sorge um die Nahrungssicherheit bestehe. In einer Mail an die AP erklärte die Katastrophenschutzbehörde, die Weizenvorräte seien gross genug, um durch die nächste Erntesaison zu tragen.

Dennoch: Wie stark die nächste Weizenernte beim Auffüllen helfen kann, steht in den Sternen. Normalerweise beginnt die Aussaat im Oktober. In der Provinz Punjab, dem wichtigsten Weizenproduzenten des Landes, haben die Felder weniger Schaden erlitten, sodass der Zeitplan dort vermutlich eingehalten werden kann. In der Provinz Sindh im Süden des Landes, dem zweitgrössten Weizenanbaugebiet, stehen jedoch nach Behördenangaben rund die Hälfte der Felder noch immer unter Wasser.

Luftaufnahmen von Sindh zeigen die überschwemmten Flächen. Hier wurden in den Fluten 80 Prozent der Reis- und mehr als zwei Drittel der Baumwollernte zerstört. Und damit die Lebensgrundlage vieler Kleinbauern.

Sonst gebe er Weizen an Freunde und Familie weiter, sagt Altaf Hussain Marri, der grössere Flächen in Khairpur bewirtschaftet und damit zu den Reicheren zählt. Jetzt aber müsse er sich Sorgen machen, ob er überhaupt genug für seine Kinder haben wird. «Wenn wir es nicht schaffen, Weizen anzubauen, haben wir nächstes Jahr vielleicht nicht einmal mehr Weizen zu essen», sagt Marri. «Das wird zu einer unsicheren Ernährungslage im Land führen. Die Armen werden sehr leiden.»

«Werden Lebensmittel importieren müssen»

Während Pakistan in den vergangenen Jahren Weizen und Reis exportieren konnte, muss es jetzt um seine eigene Versorgung bangen. «Jetzt werden wir Weizen und andere Lebensmittel importieren müssen», sagt der pakistanische Planungsminister Ahsan Iqbal der AP. Ministerpräsident Sharif hat angekündigt, dass sein Land möglicherweise eine Million Tonnen Weizen einführen müsse, vielleicht auch aus Russland.

Schon vor den Überschwemmungen war die Ernährungssicherheit für etwa 38 Millionen Menschen in dem 220-Millionen-Einwohner-Land nach Zahlen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) nicht gegeben. Fast 18 Prozent der Kinder waren akut mangelernährt. Jetzt werde der Hunger noch zunehmen, warnen UN-Organisationen.

In Sukkur in der Nähe von Khairpur befürchtet der dortige Leiter der Landwirtschaftsbehörde, Rasool Bux Junejo, das Schlimmste. Die Bauern seien nicht in der Lage, Weizen oder andere wichtige Erzeugnisse wie Sonnenblumen oder Senf anzubauen, sagt er. «Das wird in den nächsten Monaten ein grosser Verlust sein», erklärt er. «Wenn Sie mich als Landwirtschaftsmann fragen, sehe ich eine Hungersnot auf uns zukommen, Gott bewahre.»