Nach Erdbeben Unwetter verschärft Not und Elend in Haiti

Von Mark Stevenson und Evens Sanon, AP

19.8.2021 - 23:54

Fast 2000 Tote sind in Haiti zu beklagen, die Krankenhäuser kommen mit der Versorgung der nahezu 10'000 Verletzten kaum nach. Hilfe trifft nur langsam in dem ärmsten Land der westlichen Hemisphäre ein.

DPA, Von Mark Stevenson und Evens Sanon, AP

Fünf Tage nach dem folgenschweren Erdbeben in Haiti hängt in der tropischen Hitze Verwesungsgeruch über der schwer getroffenen Stadt Les Cayes. Obdachlose Menschen waren am Montag und Dienstag schutzlos dem Regen des Tropensturms «Grace» ausgeliefert. An zerstörten Häusern versammelten sich aufgebrachte Menschenmengen und forderten die Ausgabe von Planen.

Bis Dienstagabend wurden von der Katastrophenschutzbehörde 1941 Tote gezählt, 9900 Menschen wurden verletzt. Viele warten draussen vor den Krankenhäusern auf die Behandlung ihrer Wunden. Aber nicht nur der Platz in den Ambulanzen und Gesundheitszentren, auch das Personal und das Material sind knapp. Hilfe aus dem Ausland trifft ein, aber nur langsam. Die Hubschrauberbesatzungen der US-Küstenwache konzentrieren sich auf die dringlichste Aufgabe, dem Transport von Verletzten in medizinische Zentren, die am Samstag weniger hart und direkt von dem Erdbeben der Stärke 7,2 getroffen wurden.



Regierungsbeamten zufolge stürzten mehr als 7000 Häuser ein, fast 5000 wurden beschädigt. Rund 30'000 Familien wurden obdachlos. Zerstört oder schwer beschädigt wurden auch Krankenhäuser, Schulen, Kirchen, Behörden- und Bürogebäude. Das ist ein schwerer Schlag für die Infrastruktur im ärmsten Land der westlichen Hemisphäre, das zudem mit einer politischen Krise seit der Ermordung von Präsident Jovenel Moïse am 7. Juli, Bandenkriminalität und Corona-Pandemie geschlagen ist.

Zerstörte Infrastruktur und landwirtschaftliche Betriebe

Darüber hinaus wurden viele landwirtschaftliche Betriebe zerstört, oft die wichtigste Versorgungsquelle armer Menschen für Lebensmittel. «Wir haben nichts. Selbst die Tiere sind verloren. Sie wurden vom Steinschlag getötet», sagt ein 30-jähriger Bauer im Dorf Fleurant, das in der Nähe des Epizentrums liegt.

Im Krankenhaus von L'Asile im Südwesten treffen Tage nach dem Beben noch Menschen mit Arm- und Beinbrüchen aus entlegenen Dörfern ein. Am Dienstag waren es fünf, sagte Krankenhausdirektor Sonel Fevry. Armut, schlechte Strassen und der Glaube an Naturmedizin verschärften oft noch die Probleme. «Wir tun was wir können, entfernen nekrotisches Gewebe, geben ihnen Antibiotika und versuchen, sie (Brüche) zu schienen», sagt er. Aber die Strassen seien so schlecht, dass es nicht jeder bis zum Krankenhaus schaffe.

Menschen bergen Habseligkeiten aus den Trümmern ihres Hauses, das durch das Erdbeben in Fleurant zerstört wurde. 
Menschen bergen Habseligkeiten aus den Trümmern ihres Hauses, das durch das Erdbeben in Fleurant zerstört wurde. 
Bild: Fernando Llano/AP/dpa

2010 kostete ein Erdbeben 300'000 Menschenleben

Nach Angaben der US-Hilfsorganisation Mercy Corps wurde in L'Asile rund die Hälfte der Wohnhäuser zerstört. Auf einem 16 Kilometer langen Streifen stehe kein einziges Haus, keine Kirche, kein Geschäft oder Schule mehr.

Die Erdstösse am Samstag hatten eine Stärke von 7,2 und lösten Hunderte von Erdrutschen aus, wie die US-Erdbebenwarte anhand von Satellitenfotos feststellte. Das Epizentrum lag etwa 125 Kilometer westlich der Hauptstadt Port-au-Prince.

Haiti hatte bereits 2010 ein ähnlich schweres Erdbeben erlebt, bei dem im dicht besiedelten Grossraum der Hauptstadt und anderswo bis zu 300'000 Menschen ums Leben kamen. Es folgten Wirbelstürme wie Hurrikan «Matthew» 2016.