USA US-Richterin Ginsburg verstorben — Streit um Nachfolge entbrannt

sda/toko

19.9.2020 - 09:14

Die berühmte Richterin vom US Supreme Court, Ruth Bader Ginsburg, ist am Freitag nach längerer Krankheit verstorben. 
Die berühmte Richterin vom US Supreme Court, Ruth Bader Ginsburg, ist am Freitag nach längerer Krankheit verstorben. 
Source: KEYSTONE/AP/J. Scott Applewhite (Archivbild)

Die US-Richterin Ruth Bader Ginsburg ist gestorben. Kaum war die Nachricht verkündet, zeigten sich die Republikaner im US-Senat sich bereit dazu, über einen Kandidaten Trumps abzustimmen.

Die US-amerikanische Justiz-Ikone Ruth Bader Ginsburg ist tot. Die älteste Richterin am höchsten Gericht der Vereinigten Staaten, dem Supreme Court, starb am Freitag im Alter von 87 Jahren an den Folgen einer Krebserkrankung, wie das Gericht in Washington mitteilte.

Sie starb demnach im Kreis ihrer Familie. Der Supreme Court hat eine prägende Rolle für die Gesellschaft und Politik in den USA. Das Gericht verhandelt hoch umstrittene Themen wie Abtreibung, Waffenrecht, Gleichberechtigung und Einwanderung. Nicht selten haben die neun Richter das letzte Wort in Auseinandersetzungen um weichenstellende Gesetze und Verfügungen. Die gefällten Entscheidungen sind häufig von landesweiter Bedeutung und prägen die Auslegung von Gesetzen an unteren Gerichten über Jahre, teils Jahrzehnte.

Lange Krankheitsgeschichte

Ginsburg übte ihr Amt an dem hochpolitischen Gericht bis zuletzt aus und galt als prominenteste Vertreterin des liberalen Flügels. Sie war in diesem Jahr mehrfach kurzzeitig im Spital behandelt worden.

Sollte US-Präsident Donald Trump zum dritten Mal in seiner Amtszeit die Chance bekommen, einen Supreme-Court-Richter zu ernennen, könnte er damit das politisch äusserst wichtige Gericht auf Jahre beeinflussen. Der Republikaner hat sich bereits entschlossen gezeigt zu dem Versuch, den Richterposten auch noch in den letzten Monaten seiner aktuellen Amtszeit nachzubesetzen. «Ich würde es machen. Absolut. Ganz sicher», sagte Trump vergangenen Monat in einem Radio-Interview.

Frau in Männerdomäne

Ginsburg war im Jahr 1993 vom damaligen demokratischen US-Präsidenten Bill Clinton für den Supreme Court nominiert worden. Die damals 60-Jährige war die zweite Frau überhaupt an dem Gericht. Auch in ihrer Studienzeit war sie eine der wenigen Frauen in einer Männerdomäne.

Einen Namen machte sich Ginsburg mit ihrer scharfen Argumentationsweise. Bekannt war sie auch als Vorreiterin für Frauen- und Bürgerrechte. Ihr Leben und Wirken ist Gegenstand mehrerer Filme und Bücher. Viele Liberale feiern sie als Ikone. Ihr Gesicht findet sich auf Souvenirs und als Graffiti an Hausfassaden.

Ginsburg hatte sich im August 2019 wegen eines bösartigen Tumors in der Bauchspeicheldrüse einer Strahlentherapie unterziehen müssen. Bereits im Jahr davor war sie an der Lunge operiert worden, nachdem Ärzte zwei bösartige Knoten gefunden hatten. Nach mehreren Spitalaufenthalten teilte sie im Juli 2020 mit, dass sie erneut an Krebs erkrankt sei und sich einer Chemotherapie unterziehe. Konsequenzen für ihren Posten am Supreme Court zog sie keine: «Ich habe oft gesagt, dass ich Mitglied des Gerichts bleiben werde, so lange ich die Arbeit mit voller Kraft erledigen kann», hatte sie bei Bekanntgabe der Erkrankung erklärt.

Die Besetzung eines Richterpostens am Supreme Court ist ein grosses Politikum. Mit der Ernennung kann der Präsident die Linie des obersten Gerichts mit seinen neun Richterstellen auf viele Jahre hinaus beeinflussen, denn die Richter werden auf Lebenszeit gewählt. Schon jetzt hat das oberste Gericht ein konservatives Übergewicht. Mit dem Tod Ginsburgs könnte sich dieses womöglich für lange Zeit festigen.

Streit um Nachfolge

Derzeit gelten fünf Richter als konservativ, nach Ginsburgs Tod verbleiben noch drei im liberalen Block. Trump ernannte während seiner Amtszeit Neil Gorsuch und Brett Kavanaugh. Die Berufung Kavanaughs war wegen Vorwürfen sexueller Übergriffe in den 1980er Jahren heftig umstritten.

Trump würdigte die verstorbene Richterin umgehend als «Titanin des Rechts». Mit ihren Urteilen unter anderem zur Gleichberechtigung von Frauen und Menschen mit Behinderungen habe sie «alle Amerikaner und Generationen grossartiger juristischer Denker inspiriert», erklärte Trump in der Nacht zum Samstag bei Twitter.

Der US-Präsident äusserte sich wie schon in einer ersten knappen Reaktion vor Fernsehkameras nicht dazu, ob er noch in seiner im Januar ablaufenden aktuellen Amtszeit oder gar vor der US-Präsidentschaftswahl am 3. November jemanden für Ginsburgs Position nominieren werde. Die Republikaner im US-Senat zeigten sich unabhängig davon bereits bereit dazu, über einen Kandidaten Trumps abzustimmen.

Die Demokraten forderten mit Nachdruck, die Nachfolge Ginsburgs erst in der nächsten Präsidenten-Amtszeit zu regeln. «Ohne Zweifel sollten die Wähler den Präsidenten aussuchen, und der Präsident sollte den Richter dem Senat vorschlagen», sagte Trumps Herausforderer Joe Biden. Die Präsidentenwahl ist am 3. November, die Vereidigung des Siegers am 20. Januar 2021.

Im Jahr 2016 hatten die Republikaner unter McConnells Führung einen vom damaligen demokratischen Präsidenten Barack Obama nominierten Supreme-Court-Kandidaten im Senat blockiert - auch unter Hinweis auf die anstehende Präsidentenwahl. Mit Blick darauf rief nun der demokratische Minderheitsführer im Senat, Chuck Schumer, die Republikaner auf, erst unter dem nächsten Präsidenten über die Nachbesetzung zu entscheiden. Er wiederholte dabei exakt McConnells Worte von 2016. McConnell argumentierte, anders als damals gehörten der Präsident und die Mehrheit der Senatoren diesmal einer Partei an.

Auch Ginsburg, die sich — für eine Richterin ungewöhnlich — deutlich als Kritikerin Trumps zu erkennen gab, wollte offenbar keine rasche Entscheidung in der zu Ende gehenden Amtszeit des Republikaners. «Mein inbrünstigster Wunsch ist, dass ich nicht ersetzt werde, bis ein neuer Präsident im Amt ist», habe Ginsburg wenige Tage vor ihrem Tod gesagt, berichtete der Rundfunksender NPR unter Berufung auf ihre Enkelin Clara Spera.

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