Truppenabzug USA wollen bis 11. September weg aus Afghanistan – Nato geht mit

SDA

15.4.2021 - 02:20

Joe Biden, Präsident der USA, nimmt im Treaty Room des Weißen Hauses seine Schutzmaske ab, um über den Abzug der restlichen US-Truppen aus Afghanistan zu reden. Foto: Andrew Harnik/AP Pool/dpa
Joe Biden, Präsident der USA, nimmt im Treaty Room des Weißen Hauses seine Schutzmaske ab, um über den Abzug der restlichen US-Truppen aus Afghanistan zu reden. Foto: Andrew Harnik/AP Pool/dpa
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Nach fast 20 Jahren des internationalen Militäreinsatzes in Afghanistan wollen die USA und die Nato ihre Truppen aus dem Land abziehen.

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US-Präsident Joe Biden kündigte am Mittwoch im Weissen Haus an, der Abzug amerikanischer Soldaten solle am 1. Mai beginnen und bis zum 11. September abgeschlossen werden. Das Datum markiert den 20. Jahrestag der Terroranschläge von 2001, die der Anlass für den Einsatz waren. Die Nato verkündete in Brüssel nach Beratungen der Aussen- und Verteidigungsminister ihrer Mitgliedsstaaten, das Bündnis werde bis zum 1. Mai insgesamt den Abzug seiner Truppen aus Afghanistan einleiten.

Für das geschundene Land selbst und seine 38 Millionen Menschen brechen damit einmal mehr ungewisse Zeiten an. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg räumte ein, Afghanistan zu verlassen sei keine einfache Entscheidung, «und es birgt Risiken». Er sagte zum Zeitplan für den Abzug der Nato-Truppen lediglich, dieser solle «innerhalb weniger Monate» abgeschlossen werden. Konkreter wurde er nicht.

Die Anschläge vom 11. September 2001, für die das Terrornetz Al-Kaida verantwortlich gemacht wurde, hatten damals den Einmarsch der US-geführten Truppen in Afghanistan ausgelöst. Der Militäreinsatz führte binnen weniger Wochen zum Sturz des Taliban-Regimes, das sich geweigert hatte, Al-Kaida-Chef Osama bin Laden auszuliefern.

«Wir sind nach Afghanistan gegangen wegen eines schrecklichen Angriffs, der vor 20 Jahren geschah», sagte Biden. «Das kann nicht erklären, warum wir 2021 dort bleiben sollten.» Die USA müssten sich auf aktuelle Herausforderungen konzentrieren, statt mit den Taliban Krieg zu führen. «Es ist Zeit, Amerikas längsten Krieg zu beenden. Es ist Zeit für die amerikanischen Truppen, nach Hause zu kommen.»

Man könne die Militärpräsenz nicht immer wieder in der Erwartung verlängern oder vergrössern, die «idealen Bedingungen» für einen Abzug zu schaffen. Ziel des Einsatzes sei gewesen, sicherzustellen, dass Terroristen von Afghanistan nicht wieder die USA angreifen könnten. «Wir haben das Ziel erreicht.» Bin Laden sei bereits vor zehn Jahren zur Rechenschaft gezogen worden. US-Spezialkräfte hatten den Al-Kaida-Chef im Mai 2011 in Pakistan getötet.

Der US-Präsident betonte zugleich: «Obwohl wir in Afghanistan nicht weiter militärisch involviert sein werden, wird unsere diplomatische und humanitäre Arbeit weitergehen.» Die USA würden Afghanistans Regierung, die Sicherheitskräfte und auch die Friedensverhandlungen mit den Taliban nach einem Abzug weiter unterstützen. Das versprachen auch US-Aussenminister Antony Blinken und US-Verteidigungsminister Lloyd Austin in Brüssel. Sie waren persönlich nach Brüssel gereist, um dort mit den Nato-Partnern über das weitere Vorgehen zu beraten.

Unter Bidens Vorgänger Donald Trump hatte die US-Regierung mit den Taliban einen Abzug aller internationalen Truppen bis zum 1. Mai vereinbart. Biden bricht diese Zusage nun. Die Aufständischen hatten zuletzt neue Gewalt gegen Nato-Truppen angedroht, sollte die Frist bis zum 1. Mai nicht eingehalten werden. Biden wie auch Stoltenberg und Austin warnten die Taliban, bei etwaigen Attacken auf Soldaten der USA oder anderer Nato-Staaten während der Abzugsphase müssten sie mit einer kraftvollen Antwort rechnen.

Nach offiziellen Angaben befinden sich derzeit rund 2500 US-Soldaten in Afghanistan. Zum Höhepunkt vor zehn Jahren waren es etwa 100 000 gewesen. Inklusive der US-Truppen sind aktuell noch etwa 10 000 Soldaten aus Nato-Ländern und Partnernationen in Afghanistan, um dort die Regierung durch Ausbildung und Beratung von Sicherheitskräften zu unterstützen. Darunter sind etwa 1000 deutsche Soldaten.

Austin räumte ein, das Gewaltniveau in Afghanistan sei weiterhin zu hoch. «Es gibt sicherlich immer noch zu viel Gewalt», sagte er in Brüssel. Er wisse auch, dass die Taliban versuchen würden, einige der Errungenschaften in Afghanistan zurückzudrehen. Austin betonte aber, er unterstütze Bidens Entscheidung für einen Truppenabzug vollkommen.

Trotz der anhaltenden Gewalt in Afghanistan will die US-Regierung den Abzug nicht an Bedingungen knüpfen. «Der Präsident hat entschieden, dass ein auf Bedingungen basierender Ansatz, der der Ansatz der vergangenen zwei Jahrzehnte war, ein Rezept für einen ewigen Verbleib in Afghanistan ist», sagte ein Regierungsvertreter.

Der afghanische Präsident Aschraf Ghani teilte nach einem Telefonat mit Biden am Mittwoch auf Twitter mit, die Islamische Republik Afghanistan respektiere die US-Entscheidung. Man werde mit den US-Partnern zusammenarbeiten, um einen reibungslosen Übergang zu gewährleisten. Zudem werde man weiter mit den USA und der Nato an den laufenden Friedensbemühungen arbeiten. Ghani versicherte gleichzeitig, dass die Sicherheitskräfte des Landes in der Lage seien, das Land und die Bevölkerung zu verteidigen.

In Afghanistan löste die Entscheidung dennoch Enttäuschung aus. Ein Verhandler der Regierung bei den Friedensgesprächen mit den Taliban in Doha, der namentlich nicht genannt werden wollte, nannte den Beschluss das «Verantwortungsloseste und Egoistischste», was Amerika seinen afghanischen Partnern zufügen könne.

Die militant-islamistischen Taliban bestehen hingegen auf dem ursprünglich vereinbarten Termin für einen Rückzug bis zum 1. Mai. Als Reaktion auf die neuen Pläne der USA schlossen sie eine Teilnahme an einer für Ende April geplanten Friedenskonferenz in Istanbul aus.

Mit Spannung wird nun erwartet, welche Konsequenzen die Entscheidung für die laufenden Friedensverhandlungen zwischen afghanischer Regierung und Taliban hat. Als Risiko gilt, dass die Taliban kurz nach einem Truppenabzug mit Waffengewalt die Macht übernehmen könnten. Für die junge Demokratie in Afghanistan und Fortschritte bei Frauenrechten oder Medienfreiheit wäre dies wohl der Todesstoss.