Drei Mal in einer Woche Venedig steht wieder unter Wasser – Italien erlebt sein «Notre-Dame»

dpa/SDA/tafi

17.11.2019

Venedig wird zum dritten Mal innert einer Woche überflutet. Am Sonntag steigt das Wasser auf 150 Zentimenter über den normalen Meeresspiegel. Rund 70 Prozent der Unesco-Welterbestadt stehen unter Wasser – und damit auch zahlreiche Kulturschätze.

Der Markusplatz als tiefster Punkt der Stadt wurde am Sonntag erneut geflutet und aus Sicherheitsgründen gesperrt. Städtische Museen waren geschlossen. Der öffentliche Verkehr war stark eingeschränkt.

Bürgermeister Brugnaro hatte zur «maximalen Vorsicht» aufgerufen. Die Lage sei aber unter Kontrolle. Die Menschen würden sich nicht entmutigen lassen. «Die Venezianer gehen nur zum Beten in die Knie», erklärte er.
Venedig ist freilich nicht nur der Markusdom.

Venedig ist ein Gesamtkunstwerk. Unzählige Kunstschätze sind bisher in den Fluten zerstört worden. Aber die Ideen, das einzigartige Kulturerbe zu schützen, sind bestenfalls schwammig. So hat die Buchhandlung «Acqua Alta» in Venedig dieser Tage nicht nur einen symbolischen Namen, sondern auch schon vorher einiges mitgemacht.

Flut zerstört ein Gesamtkunstwerk

Weil Hochwasser hier regelmässig eindringt, liegen unzählige Bücher zum Schutz in Badewannen oder in einer Gondel. Doch so etwas wie in den vergangenen Tagen haben die Mitarbeiter noch nie erlebt. Die Flut schwappte auch in Wannen und Schiffe, Bücher segelten im Wasser davon. «Wir müssen Hunderte wegwerfen», sagte Mitarbeiterin Chiara am Telefon. Helfer versuchten zu retten, was zu retten ist. «Es sind schwere Tage, aber wir machen weiter.»

Es sind nicht nur Bücher, die ihr Ende in der Mischung aus Meer-, Regen- und Schmutzwasser gefunden haben. Es sind Instrumente, wertvolle Schriften, Mosaiksteine, Karnevalsmasken, Gemälde, Gondeln, historische Möbel und Holzböden, Marmorböden und Gemäuer.

Der Verlust lässt sich nicht an einzelnen Kulturgütern festmachen. Es sind nicht die einzelnen Museen, Galerien, Paläste, Kirchen und Handwerksläden, die diese Stadt ausmachen. Venedig ist ein Gesamtkunstwerk, ein von der Unesco geschütztes Kulturerbe der Menschheit. Jedes Haus im historischen Zentrum ist ein Kunstwerk.

«Unser Notre-Dame»

Der Kulturbeauftragte des Vatikans, Kardinal Gianfranco Ravasi, verglich nun die Zerstörung mit dem Brand von Notre-Dame in Paris. Es habe nach dem Feuer nicht nur eine «technische Diskussion» gegeben, sagte er laut Nachrichtenagentur Ansa. «Es gab Leute, die weinten, weil sie ein grosses Symbol sterben sahen. Ich würde sagen, diese kulturelle Sensibilität müssten wir wiederholen.»

Natürlich nutzen die Politiker nun symbolisch den Markusplatz mit dem Markusdom für ihre Besuche in Gummistiefeln. Sie machen ernste Minen, posten Bilder von sich selbst in dunkelgrünen Wasserhosen und geloben, alles für den Schutz der «schönsten Stadt der Welt» zu tun. Selbst Spieler der italienische Fussballnationalmannschaft schauten am Wochenende am Markusdom vorbei. Die Krypta wurde komplett geflutet. Die ganze Kathedrale habe Schaden erlitten, aber keine «irreparablen», wie Kulturminister Dario Franceschini erläuterte.

Aber auch weniger bekannte Kirchen waren betroffen. «Mindestens 60 bis 70 von insgesamt 120 standen unter Wasser», erklärte die Denkmalschutzbeauftragte der Stadt, Emanuela Carpani. Jede zweite Kirche ist also beschädigt.

In der Basilika dei Santi Maria e Donato auf der Insel Murano putzten freiwillige Helfer das byzantinische Mosaik aus dem 12. Jahrhundert. Denn das Gift ist das Meerwasser. Zieht sich das Wasser zurück, bleibt das Salz und zerfrisst langsam Marmor und Mosaike. «Das Risiko der Zersetzung ist gross», sagte Carpani. Hinzu kommen giftige Schmutzpartikel im Wasser, die von Kreuzfahrtschiffen stammen.

«Mose» muss die Stadt schnell retten

Venedig braucht eine allumfassende Lösung, wie mit den Folgen des Klimawandels und dem steigenenden Meeresspiegel umzugehen ist. Obwohl seit Jahrzehnten um einen Flutschutz gestritten wird, gibt es ihn bisher immer noch nicht. 2021 soll es nun wirklich soweit sein, dass das System namens «Mose» in Betrieb geht. Ausfahrbare Barrieren sollen die Stadt dabei an drei Laguneneingängen schützen.

Es müsse endlich Klarheit geschafft werden, ob das Flutschutzprojekt «Mose» überhaupt noch zeitgemäss und fertigzustellen sei – nach all den Skandalen der vergangenen Jahre, sagte der italienische Kunsthistoriker Salvatore Settis, der das Buch «Wenn Venedig stirbt» geschrieben hat. «Wenn sich der Berliner Pannen-Flughafen zehn Jahre verzögert, geht Berlin nicht unter. Wenn sich ‹Mose› zehn Jahre verzögert, geht Venedig unter.»

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