Sturm aufs Kapitol Warum Trump trotz Enthüllungen davonkommen könnte

Von Gil Bieler

22.7.2022

«Trump hat es nicht einfach nur versäumt zu handeln» – Anhörung zur Erstürmung des US-Kapitols

«Trump hat es nicht einfach nur versäumt zu handeln» – Anhörung zur Erstürmung des US-Kapitols

In einer Anhörung schilderten sieben Mitglieder des Repräsentantenhauses detailliert Donald Trumps Untätigkeit in den Stunden nach der Erstürmung des Kapitols.

22.07.2022

Die wochenlangen Anhörungen zum Sturm aufs US-Kapitol werfen kein gutes Licht auf Donald Trump. Ist der Weg frei für eine Anklage gegen den früheren US-Präsidenten? Nicht unbedingt, erklärt ein Staatsanwalt. 

Von Gil Bieler

22.7.2022

Es sieht nicht gut aus für Donald Trump. Die wochenlangen Anhörungen des Untersuchungsausschusses zum Sturm aufs Kapitol zeichnen ein sehr unschmeichelhaftes Bild des damaligen US-Präsidenten. Ein Choleriker, der frustriert einen Hamburger an die Wand klatscht, ist noch die harmlose Variante. Als regelrecht erschreckend schilderten die angehörten Zeuginnen und Zeugen sein Verhalten am 6. Januar 2021.

In den dramatischen Stunden, als zum Teil bewaffnete Trump-Anhänger gewaltsam in das Kapitolgebäude eindrangen und die dort versammelten Politiker*innen in Sicherheit gebracht werden mussten, hätte der Amtsinhaber die Gewalt jederzeit stoppen können, lautete der Tenor. Doch Trump habe sich bewusst dagegen entschieden und stattdessen noch «Öl ins Feuer gegossen», wie es der damalige stellvertretende Nationale Sicherheitsberater Matthew Pottinger sagte.

Bis Trump seine Anhänger*innen dazu aufrief, nach Hause zu gehen, vergingen geschlagene 187 Minuten.

Erst nach 187 Minuten fordert Donald Trump den Mob beim Kapitol auf, nach Hause zu gehen.
Erst nach 187 Minuten fordert Donald Trump den Mob beim Kapitol auf, nach Hause zu gehen.
EPA

Die Anhörungen gehen vorerst in die Sommerpause – gleichwohl steht für den Vorsitzenden des Ausschusses, Bennie Thompson, bereits heute fest: «Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass er einem Mob befahl – einem Mob, von dem er wusste, dass er schwer bewaffnet, gewalttätig und wütend war – zum Kapitol zu marschieren und zu versuchen, die friedliche Machtübergabe zu verhindern.»

Ruf nach Konsequenzen

Thompson fordert harte Konsequenzen für Trump und den Kapitol-Mob: «Wenn für den 6. Januar keine Verantwortung übernommen wird, für jeden Teil dieses Plans, fürchte ich, dass wir die anhaltende Bedrohung für unsere Demokratie nicht überwinden werden.»

Der Ausschuss selber kann keine strafrechtlichen Schritte einleiten – das obliegt dem Justizministerium. Doch auch wenn die Anhörungen haufenweise eindrückliche Bilder und Schilderungen hervorbrachten, ist es bis zur Einleitung eines Strafverfahrens noch ein weiter Weg. Das erklärt Andrew Goldstein, ein Staatsanwalt, der an den Ermittlungen zum sogenannten Mueller-Report gegen Donald Trump mitgearbeitet hatte.

Im Podcast «The Daily» der «New York Times» bringt Goldstein Licht ins für Laien so schwer zu durchschauende juristische System. Die zentralen Fragen lauten: Für welche Straftaten könnte Trump überhaupt angeklagt werden? Und wie schwierig ist es, einen Anfangsverdacht zu belegen? Der Experte sieht hier drei mögliche Anklagepunkte: Behinderung eines Verfahrens im Kongress, Verschwörung zum Betrug an den Vereinigten Staaten und sogenannte «böswillige Verschwörung».

Was ist eine «böswillige Verschwörung»?

Zum letztgenannten Punkt gehöre, dass jemand mit einem oder mehreren Verbündeten die Anwendung des Rechts gewaltsam stoppen möchte. Im konkreten Fall wäre das die Bestätigung von Bidens Wahlsieg, die an jenem Tag im Kapitol vollzogen wurde.

Für einen Prozess müsste Trump nicht zwangsläufig selber gewalttätig geworden sein. Er müsste lediglich mit anderen darüber übereingestimmt haben, dass der Einsatz von Gewalt notwendig sei. Dennoch: Dies zu beweisen, sei schwierig – und anhand der öffentlich gewordenen Aufnahmen dürfte es kaum für eine Anklage reichen, glaubt Goldstein.

Auch bei der Verschwörung zum Betrug an den Vereinigten Staaten sind die Hürden laut Goldstein hoch. Der Gesetzesparagraf sei zwar keineswegs neu, aber noch nie in einem vergleichbaren Szenario angewendet worden. Es wäre also juristisches Neuland – das wolle ein Ankläger auf keinen Fall betreten.

«Er muss sich seines Fehlverhaltens bewusst gewesen sein»

Weniger riskant wäre dagegen eine Anklage aufgrund des ersten Punkts: Behinderung eines Verfahrens im Kongress. Am schwierigsten sei es für die Anklage jeweils zu beweisen, dass jemand mit korrupter Absicht gehandelt habe: «Er muss sich seines Fehlverhaltens bewusst gewesen sein», fasst Goldstein zusammen.

Im Falle von Trump gibt es mittlerweile viele Belege dafür, dass ihm Vertraute klargemacht habe, dass es keinen Beweis für angeblichen Betrug bei den Präsidentschaftswahlen gebe. Die Mär vom «gestohlenen Wahlsieg» ist bis heute Trumps zentrales Argument.

Auch sei er darüber informiert worden, dass sein Vizepräsident Mike Pence gar nicht die Macht habe, die Auszählung im Kongress zu stoppen. Dennoch habe Trump an seinen Behauptungen festgehalten und Pence dazu gedrängt, den Prozess zu stoppen. Hinzu komme all das, was Trump getan oder bewusst unterlassen habe, während ein bewaffneter Mob das Kapitolgebäude gestürmt habe.

Die Krux mit den Beweisen

«All das kann dazu dienen, Trumps Absichten zu belegen», so Goldstein. Die Absicht ist das eine – für eine Anklage brauche es aber auch Belege für konkrete Handlungen.

Das sei schwierig – selbst für Aktionen, die einem Laien als belastend erscheinen müssten: Wie Trumps Entscheidung, die Metalldetektoren bei seiner nachmittags in Washington gehaltenen Rede zu deaktivieren. Trumps Begründung: Die Menschen seien zwar bewaffnet, aber wollten ja ihm keinen Schaden zufügen.

Donald Trump am 6. Januar 2021 in Washington: «Das sind Dinge, die Politiker nun einmal sagen.»
Donald Trump am 6. Januar 2021 in Washington: «Das sind Dinge, die Politiker nun einmal sagen.»
EPA

Klingt problematisch? Nicht unbedingt, sagt Goldstein: «Man könnte auch argumentieren, dass er die Detektoren nur abschalten liess, um die Ränge zu füllen – ohne die Absicht, dass diese bewaffneten Menschen später zum Kapitol gelangen könnten.»

Auch Trumps Aufruf an die Menge, zum Kapitol zu marschieren, könne man als rein politisches Instrument auslegen. «Das sind Dinge, die Politiker nun einmal sagen.»

Zwei Arten von Justizsystem?

Zusammenfassend hält Goldstein fest: Es sei enorm schwierig, diese Anschuldigungen wasserfest zu untermauern. Gelangten die Staatsanwälte dennoch zur Überzeugung, dass sie genügend Beweise gesammelt hätten, landet der Fall auf dem Pult von Merrick Garland, dem Justizminister der Regierung Biden.

«Ihm stellen sich dann eine ganze Reihe von weiteren Fragen», sagt Goldstein. Etwa, ob ein Verfahren im öffentlichen Interesse wäre. Das sei – mit den absehbaren weitreichenden Folgen – keine Entscheidung, die leichtfertig gefällt werden könne.

Immerhin spreche man von einem ehemaligen Präsidenten der Vereinigten Staaten, dem Anführer einer politischen Partei und einem möglichen Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen 2024. Obschon eine erneute Kandidatur von Trump erwartet wird, hat er noch nicht offiziell seinen Hut in den Ring geworfen.

Vieles könne also gegen eine Anklage sprechen – aber vieles auch dafür, sofern die Beweislast erdrückend wäre. «Ansonsten hätte die Bevölkerung das Gefühl, dass es zwei Arten von Justizsystem gibt, und das wäre problematisch.»

Sturm aufs Kapitol: Trump setzte Pence unter Druck

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