Sicherheitsexperte ordnet ein Was ist wirklich dran an Russlands Drohkulisse?

Von Andreas Fischer

23.4.2022

Putin ordnet Belagerung von Stahlwerk in Mariupol an

Putin ordnet Belagerung von Stahlwerk in Mariupol an

Der russische Präsident Wladimir Putin hat angeordnet, das Stahlwerk von Mariupol nicht zu stürmen, sondern zu belagern. Die Stadt selbst erklärte er für «erfolgreich befreit».

21.04.2022

Offene Drohungen und ein eindrücklicher Raketentest: Moskau verschärft in der zweiten Kriegsphase den Ton gegenüber dem Westen. Das aggressive Gebaren ist Teil einer Inszenierung, sagt ein ETH-Forscher.

Von Andreas Fischer

Ein Kreml-treuer Fernsehmoderator mahnt: Sollten westliche Staaten die Ukraine weiterhin mit schweren Waffen beliefern, könnte der Krieg «gegen Europa und die Welt» ausgeweitet werden. «Es wird keine Gnade geben», drohte Wladimir Solowjow an die Adresse der Nato.

Mit der zweiten Kriegsphase in der Ukraine hat sich auch der Ton, den die russische Führung anschlägt, deutlich verschärft. Und nichts deutet auf Entspannung hin: «Man sollte nicht davon ausgehen, dass sich Russland von vermeintlichen Tabus eingeschränkt sieht», sagt Sicherheitsexperte Niklas Masuhr von der ETH Zürich im Gespräch mit blue News.

Zu dieser Einschätzung passen die Bilder des neuesten russischen Testflugs der neuen Interkontinentalrakete vom Typ Sarmat, die Russland am Mittwoch um die Welt geschickt hat. Offizielle Reichweite: 18'000 Kilometer. Keine andere Waffe könne es damit aufnehmen, prahlte Präsident Wladimir Putin. Die Rakete zwinge «jene zum Nachdenken, die im Feuereifer einer abgebrühten, aggressiven Rhetorik versuchen, unser Land zu bedrohen».

Nicht zu vergessen die Worte des früheren Präsidenten Dmitri Medwedew, bei einem Nato-Beitritt von Schweden oder Finnland werde Russland Atomwaffen im Baltikum stationieren. «Womöglich wird die Welt dann schon bald, also bis zum Sommer dieses Jahres, noch unsicherer.»

Kann Russland wirklich die ganze Südukraine einnehmen?

Neben unverblümten, aber ziemlich allgemeinen Drohungen gegen den Westen hat der amtierende Befehlshaber des zentralen Militärdistrikts, Rustam Minnekajew, am Freitag der Ukraine ganz konkret gedroht.

Die russische Armee wolle in der zweiten Phase ihres Krieges in der Ukraine nicht nur den Donbass, sondern auch den ganzen Süden des Landes einnehmen. Die Ukraine könnte so im Süden den Zugang zum Schwarzen Meer und damit zu den Weltmeeren insgesamt verlieren.

Diese Aussage würde Sicherheitsexperte Masuhr «nicht besonders hochhängen». Es wäre absurd, dass die russische Armee umschwenkt, um nach Westen vorzurücken, kurz nachdem sie ihre Kräfte am Donbass konzentriert hat: «Militärisch ist Russland dazu aktuell nicht in der Lage.»

Russland habe erst vor wenigen Wochen versucht, von Cherson im Süden aus nach Westen und Nordwesten vorzudringen und sei recht schnell bei Wosnessensk und Mykolajiw gestoppt worden. Dass Russland die Offensive dort wieder aufnimmt, hält Masuhr für unwahrscheinlich.

«Die Kampfkraft, die Russland zur Verfügung steht, ist zurzeit am Donbass konzentriert. Zudem gibt es Berichte über heftige Kämpfe in Cherson, auf der Westseite des Dnipro. Seitdem die Schlacht um Kiew für die Russen verloren ist, haben die Ukrainer durchaus das Potenzial, die russische Armee zu stören», erklärt der Militärexperte.

Wichtige Entscheide werden als «Chefsache» inszeniert

Die russische Bevölkerung bekommt davon nichts mit. Dort treffen sich Wladimir Putin und Verteidigungsminister Sergej Schoigu, um an einem kleinen Tisch live im Fernsehen das weitere Vorgehen in Mariupol zu besprechen. Ukrainische Soldaten, die sich ergeben, würden gut behandelt, verspricht der Kreml-Chef. 

«Inszenierte Bilder sind schon vor dem Krieg fester Bestandteil der Kommunikationskultur des Kremls gewesen», erklärt Niklas Masuhr. «Die Inszenierung, dass ein Minister zu Putin ins Büro kommt, man über ein Thema redet und der Präsident dann sagt: ‹So wird es gemacht! › – das ist üblich. Nicht nur in militärischen Fragen, sondern auch bei operativen Alltagsentscheidungen.»

Damit solle suggeriert werden, dass gewisse Dinge Chefsache seien und Putin selbst entscheidet. «Glaubhaft ist das natürlich nicht», findet Masuhr.

«Welchen Einfluss der Kreml direkt auf die Kriegsführung hat und wie viel vor Ort gemanagt wird, ist nicht ganz klar», räumt Masuhr allerdings ein. «Im Westen wusste man lange nicht, wer diesen Krieg überhaupt leitet, bis sich die Anzeichen verdichteten, dass zwei unterschiedliche Militärdistrikte verantwortlich waren.» Das habe man auch gemerkt. «Mittlerweile liegt die Entscheidungsgewalt allein beim südlichen Militärdistrikt in Rostow. In welcher Frequenz man dort Befehle aus dem Kreml bekommt, ist aber nicht bekannt.»

Mit Material der Nachrichtenagentur AFP.