Wahlsieg von China-KritikerWas Taiwans neuer Präsident für die Insel und die Welt bedeutet
AP / tmxh
16.1.2024 - 23:12
Der künftige Präsident von Taiwan hat politische Kontinuität auf der de facto unabhängigen Insel angekündigt. Aber die Frage ist, was das konkret heissen wird – insbesondere für die Beziehungen zu China und den USA.
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16.01.2024, 23:12
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Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
Der neu gewählte Präsident von Taiwan will den Kurs seiner Vorgängerin Tsai Ing-wen fortsetzen.
Auf William Lai All wartet ein politischer Balanceakt zwischen China und den USA sowie wirtschaftliche Herausforderungen.
Die DPP ist in Peking verhasst, so auch Lai, den China im Wahlkampf als einen «Zerstörer von Frieden» verteufelt hat.
Die USA haben keine offiziellen diplomatischen Beziehungen zu Taiwan, aber sie sind die Hauptquelle der Insel für militärische Ausrüstung und Zusammenarbeit.
Taiwan hat einen neuen Präsidenten. Aber was genau heisst das für die Insel und die Weltpolitik? William Lai, auch bekannt als Lai Ching-te, hat versprochen, den Kurs seiner Vorgängerin Tsai Ing-wen fortzusetzen. Die hatte – trotz zunehmender militärischer Drohgebärden Chinas – auf der De-Facto-Unabhängigkeit von Peking beharrt, das Militär ausgebaut und die Verbindungen mit dem Verbündeten USA sowie anderen wohlwollenden Ländern verstärkt.
Innenpolitisch hat Lai, der für die seit fast acht Jahren regierende Demokratische Volkspartei (DPP) angetreten ist, unter anderem zugesagt, mehr für die Erschwinglichkeit von Wohnraum und gegen wirtschaftliche Ungleichheit zu tun.
All das – der politische Balanceakt zwischen China und den USA sowie wirtschaftliche Herausforderungen – muss die neue Regierung vor dem Hintergrund eines Parlaments meistern, in dem sie künftig keine Mehrheit mehr hat. Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Welche Folgen hat die Wahl für das Verhältnis zu China?
Die DPP ist in Peking verhasst, so auch Lai, den China im Wahlkampf als einen «Zerstörer von Frieden» verteufelt hat. Aber er gewann, also was wird China jetzt tun? Analysten erwarten, dass Peking sein Missfallen auf irgendeine Weise zum Ausdruck bringen wird, aber sie glauben, dass das stärkste Signal nicht vor Mai kommt, wenn Lai sein Amt antritt. Es könnte eine Art Militärmanöver rund um die Insel sein, möglich seien aber auch Restriktionen bei Importen aus Taiwan. Oder vielleicht beides, wie China es in der Vergangenheit getan hat.
Es hat 2022 grössere Militärübungen im Gefolge des Taiwan-Besuches der damaligen Vorsitzenden des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, abgehalten. Fast täglich donnern Kampfjets am Himmel und kreuzen Kriegsschiffe im Wasser um Taiwan – eine ständige Erinnerung an die Pekinger Drohung, die Insel notfalls mit Militärgewalt unter seine Kontrolle zu bringen.
Peking hat erklärt, dass es eine «friedliche Wiedervereinigung» bevorzugen würde. Aber dass es dazu kommt, erscheint zunehmend unwahrscheinlich, da Chinas Beschneidung demokratischer Freiheitsrechte in Hongkong im Gefolge massiver Proteste die Taiwanesen eher noch darin bestärkt hat, ihre Unabhängigkeit zu bewahren.
Danny Russel, ein ehemaliger auf Ostasien und den Pazifik spezialisierter Experte in der Obama-Regierung, glaubt indes, dass Chinas Drang zur Bestrafung Taiwans durch zwei Aspekte gedrosselt werden dürfte. Einer sei, dass Peking Lai im Zaum halten und nicht provozieren wolle.
«Der andere Faktor ist Pekings Abneigung, Washington zu provozieren, just zu einem Zeitpunkt, da die USA in eine turbulente Wahlkampfsaison ziehen», so der jetzige Vizevorsitzende des Asia Society Policy Institute, einer globalen Denkfabrik mit Zentren in verschiedenen Teilen der Welt.
Taiwans Militär simuliert chinesische Invasion
Taiwans Streitkräfte haben sich bei fünftägigen Militärübungen auf mögliche Angriffe durch China vorbereitet. Bei der jährlich stattfindenden Übung «Han Glory» spielten die Streitkräfte unterschiedliche Szenarien durch.
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Was bedeutet der Wahlsieg für die Beziehungen zu den USA?
US-Präsident Joe Biden hat eine inoffizielle Delegation ehemaliger hoher Regierungsbeamter zu direkten Gesprächen mit der künftigen Regierung nach Taiwan geschickt, was andauernde Unterstützung signalisiert. Analysten erwarten, dass Lais DPP auf dem in den vergangenen acht Jahren zunehmend enger gewordenen Freundschaftsverhältnis mit Washington aufbauen wird, die Beziehungen weiter vertieft, so in den Bereichen Handel, Investitionen und Militär.
«Das Personal auf beiden Seiten kennt sich», sagt Wen-Ti Sung von der Denkfabrik Atlantic Council in Washington. Er sagt voraus, dass sich die Erwärmung der Beziehungen zwischen den USA und Taiwan in den Tsai-Jahren unter Lai wahrscheinlich in raschem Tempo fortsetzen wird.
Die USA haben keine offiziellen diplomatischen Beziehungen zu Taiwan, aber sie sind die Hauptquelle der Insel für militärische Ausrüstung und Zusammenarbeit. Laut US-Gesetzen ist Washington gehalten, Bedrohungen für Taiwan als Angelegenheiten von «ernster Besorgnis» zu behandeln.
Lai wird wahrscheinlich die Suche nach neuen Partnern und inoffiziellen diplomatischen Verbindungen fortsetzen, trotz Chinas Bemühungen, die Insel zu isolieren. Während Tsais zwei vierjährigen Amtszeiten – nach denen sie nicht erneut kandidieren konnte – haben sich zehn frühere diplomatische Verbündete Taiwans Peking zugewendet, im Zuge einer Scheckbuchdiplomatie, die auf zunehmende Macht durch finanzielle Unterstützung setzt.
Als jüngstes Zeichen für den wachsenden Druck und Einfluss Chinas in der Pazifikregion hat der kleine Inselstaat Nauru am Montag seine diplomatischen Beziehungen zu Taiwan gekappt und will sich nun auf China verlegen.
China und Taiwan befinden sich seit ihrer Aufspaltung 1949 im Zuge eines Bürgerkrieges in einem Kampf um diplomatische Verbündete. Peking gibt Milliarden aus, um Anerkennung für seine «Ein-China»-Politik zu finden.
Welche Innenpolitik strebt der neue Präsident an?
Die DPP hat bei der Wahl ihre absolute Mehrheit im 113-köpfigen taiwanischen Parlament verloren, sie kam auf nur 51 Sitze, nachdem sie vor vier Jahren noch mehr als 60 errungen hatte. Die chinafreundlichere nationalistische Kuomintang, oder KMT, gewann 52 Mandate und ist damit die stärkste Partei im künftigen Parlament.
Da keine Seite die absolute Mehrheit erreichte, könnte nun die kleine taiwanische Volkspartei – eine relativ neue Kraft – mit ihren acht Sitzen als mögliches Zünglein an der Waage Gewicht erhalten. Das wiederum könnte eine Menge mehr Verhandlungen über Gesetzesvorhaben erfordern und die künftige Regierungsführung komplizierter machen, meint Sung vom Atlantic Council.
Die neue Führung hat es mit einer Reihe innenpolitischer Probleme zu tun, zumal sich die Wirtschaft verlangsamt hat. Neben mehr erschwinglichen Wohnungen, dem Kampf gegen wirtschaftliche Ungleichheit und Arbeitslosigkeit gilt es für Lai auch, die finanzielle Basis der Krankenversicherung zu verbessern und einen reibungslosen Übergang zu sauberen Energien zu gewährleisten – Prioritäten, die er in seiner Siegesrede nannte.
Die beiden grösseren Parteien haben unterschiedliche Ansätze in Sachen Förderung des Wirtschaftswachstums, die KMT ist für engere wirtschaftliche Verbindungen mit China. Lai hat zugesagt, dass er sich um Konsensbildung bemühen wird.