Protokoll eines Rückzugs Wie Joe Biden seinen schwersten Entschluss fasste

toko / AP

24.7.2024 - 00:00

Bidens Entscheidung aus dem US-Präsidentschaftsrennen auszusteigen, stand am Sonntag unumstösslich fest. Hochrangige Mitarbeiter erfuhren gerade mal eine Minute vor der Öffentlichkeit davon.

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Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • US-Präsident Joe Biden zog sich am Sonntag aus dem Rennen für die nächste Präsidentschaft zurück.
  • Selbst enge Mitarbeiter erfuhren erst denkbar kurz vor der öffentlichen Verkündung von der Entscheidung.
  • Der US-Präsident hat sich die Entscheidung nicht leicht gemacht. «Ich glaube, er hat mit sich gerungen, was das Beste für das Land ist», sagte Senator Chris Coons, Bidens engster Verbündeter im Kongress.
  • Die Entscheidung, aus dem Ring zu steigen, reifte erst am Samstagabend. Biden und seine Frau Jill hielten sich mit einigen ihrer engsten Mitarbeiter im Ferienhaus auf.

Um 13.45 Uhr am Sonntag (Ortszeit) wurden Präsident Joe Bidens höherrangige Mitarbeiter darüber informiert, dass er sich nicht länger zur Wiederwahl stellt. Um 13.46 Uhr erfuhr die Öffentlichkeit von seiner Entscheidung.

Biden hat diese Entscheidung in aller Stille getroffen, während sein Wahlkampfteam weiter Spendensammelaktionen und andere Events plante und Reisetermine für die nächsten Wochen ausarbeitete. Schliesslich hatte der Präsident zuvor beharrlich erklärt, dass er im Rennen bleiben werde. Noch am Sonntagvormittag versicherten führende Teammitglieder in den Fernseh-Talkshows, es bleibe dabei: «Präsident Biden ist unser voraussichtlicher Spitzenkandidat».

Es wurde Zeit: US-Präsident Joe Biden hat am Sonntag seinen Rückzug aus dem Präsidentschaftsrennen angekündigt. 
Es wurde Zeit: US-Präsident Joe Biden hat am Sonntag seinen Rückzug aus dem Präsidentschaftsrennen angekündigt. 
Bild: Keystone/AP/Evan Vucci

Der Entschluss

Doch währenddessen dachte der an Covid-19 erkrankte 81-jährige Demokrat in seinem Ferienhaus in Rehoboth Beach im US-Staat Delaware über das Desaster der vergangenen Wochen nach. Mit seiner Frau Jill an seiner Seite beriet er sich mit einem kleinen Kreis aus langjährigen Mitarbeitern. Dazu zählen der Chefstratege Mike Donilon, die stellvertretende Stabschefin im Weissen Haus, Annie Tomasini und Anthony Bernal, der leitende Berater der First Lady.

«Das muss eine der schwersten Entscheidungen gewesen sein, die er jemals getroffen hat», sagte Senator Chris Coons, Bidens engster Verbündeter im Kongress, am Sonntag der Nachrichtenagentur AP, nachdem er mit dem Präsidenten telefoniert hatte. «Ich glaube, er hat mit sich gerungen, was das Beste für das Land ist.»

AP hat zudem mit mehr als einem Dutzend Leuten gesprochen, die mit Bidens Denkweise in den Wochen, Tagen und Stunden vor seinem Entschluss vertraut sind. Die folgenden Schilderungen basieren auf ihren Angaben.

Die Erkenntnis tropft langsam ins Bewusstsein

Die Entscheidung, aus dem Ring zu steigen, reifte bei Biden erst am Samstagabend. Er war schon seit mehreren Tagen wegen Covid-19 zu einer Wahlkampfpause gezwungen und begann, alles sacken zu lassen. Die Chancen, Donald Trump im November zu schlagen, verschlechtern sich zusehends. Teile seiner eigenen Partei rebellieren offen gegen seinen Verbleib im Rennen. Und nicht zu vergessen: Viele Wählerinnen und Wähler sind besorgt angesichts seines Alters, verstärkt durch seinen desaströsen Auftritt in der Fernsehdebatte mit Trump.

Biden fing an, einen Brief an das amerikanische Volk zu verfassen.

Als der Sonntag anbrach, stand Bidens Entscheidung unumstösslich fest. Er sprach mehrere Male mit Vizepräsidentin Kamala Harris, informierte den Stabschef im Weissen Haus, Jeff Zients, sowie seine Wahlkampfleiterin Jen O'Malley Dillon.

Eine kleine Gruppe von hochrangigen Beratern im Weissen Haus und im Wahlkampfteam wurde um 13.45 Uhr per Telefonschalte informiert. Der Wahlkampfstab veröffentlichte eine Minute später die Social-Media-Mitteilung. Eine weitere halbe Stunde später machte Biden dann seine Unterstützung für eine Spitzenkandidatur von Harris publik.

Es war eine sorgfältig choreographierte Strategie, dazu gedacht, der ursprünglichen Rückzugserklärung Bidens volles Gewicht zu geben und dann, nach einer Pause den Blick auf den nächsten Schritt zu richten.

Bei seiner Entscheidung hat Joe Biden die volle Rückendeckung seiner Frau Jill gehabt habe, sagt deren Kommunikationsdirektorin Elizabeth Alexander. Ganz gleich, «welchen Weg er auch immer wählen würde».

Das unselige Fernsehduell

Schon vor der Fernsehdebatte am 27. Juni lief für Biden längst nicht alles rund. In einer gemeinsamen Umfrage von AP und dem Meinungsforschungszentrum Norc im August 2023 unter US-Erwachsenen sagten 77 Prozent, dass Biden zu alt sei, um weitere vier Jahre effektiv arbeiten zu können. Nicht nur 89 Prozent der Republikaner urteilten so, sondern auch 69 Prozent der Demokraten. Im April äusserten mehr als die Hälfte der befragten Erwachsenen in den USA die Ansicht, dass Bidens Präsidentschaft dem Land in Bereichen wie Immigration und Lebenshaltungskosten schade.

Aber Biden beharrte darauf, dass er in der Lage sei, Wähler auf seine Seite zu ziehen, wenn er die Menschen draussen direkt anspreche, ihnen seine Errungenschaften erkläre, mit ihnen spreche, ihnen in die Augen blicke. Er hatte ja eine lebenslange Erfahrung, die ihm sagte, dass er es schaffen würde, wenn er dran bliebe.

Sein Wahlkampfteam war so zuversichtlich, dass es das für das Arrangement von Präsidentschaftsdebatten zuständige Gremium umging und zwei Fernsehduelle mit Trump unter neuen Regeln vereinbarte. Das führte zu jener Debatte am 27. Juni, die Bidens Untergang auslöste. Er gab Antworten, die keinen Sinn machten, brach mitten im Satz ab, starrte manchmal leer vor sich hin und liess diverse Unwahrheiten von Donald Trump unwidersprochen stehen.

Die langsame Akzeptanz

Öffentlich und privat kämpfte Biden um den Verbleib im Rennen, arbeitete daran, Wähler zu überzeugen, dass er fit für eine zweite Amtsperiode sei. Er war frustriert über das öffentliche Vorgehen von Demokraten gegen ihn.

Ein paar Male sah es tatsächlich so aus, als ob er die Lawine stoppen könnte. Biden hielt mehrere kraftvolle Wahlkampfreden, gab einige Fernsehinterviews, die «so lala» waren, und eine lange Pressekonferenz, in der er nuancierte politische Kenntnisse an den Tag legte, aber auch ein paar Schnitzer machte. Doch die Zweifel verschwanden nicht.

Der demokratische Mehrheitsführer im Senat, Chuck Schumer, lud am 11. Juli Biden-Mitarbeiter zu einem Treffen ein. Dabei äusserten Senatoren ihre Sorgen, und fast keiner bekundete Vertrauen in den Präsidenten. Danach bat Schumer Biden um ein persönliches Gespräch.

Bei dem Treffen am 13. Juli in Rehoboth sagte er dem Präsidenten, er sei aus Zuneigung gekommen und richtete einen persönlichen Appell an Biden. Darin ging es um das Vermächtnis des Präsidenten, die Zukunft des Landes und Befürchtungen, dass Demokraten bei den ebenfalls anstehenden Kongresswahlen in einen Abwärtssog gezogen werden könnten. Es war derselbe Tag, an dem ein Attentäter versuchte, Trump zu erschiessen.

Schumer sagte Biden, er erwarte keine unmittelbare Entscheidung, aber hoffe, dass der Präsident über seine Worte nachdenken werde, wie eine mit dem Inhalt des Gespräches vertraute Person schilderte. Biden antwortete: «Ich brauche eine weitere Woche.» Die beiden Männer umarmten sich. Acht Tage später verzichtete Biden.

Biden will sich nicht um zweite Amtszeit bewerben

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STORY: US-Präsident Joe Biden tritt nach wachsenden Zweifeln seiner Parteifreunde an seiner geistigen Leistungsfähigkeit und seinen Wahlchancen gegen Donald Trump als Präsidentschaftskandidat der Demokraten zurück. Das teilte Biden am Sonntag auf der Plattform X mit. Er werde sich darauf konzentrieren, seine Pflichten in seiner verbleibenden Amtszeit zu erfüllen, die noch bis Januar 2025 dauert, erklärte der 81-Jährige. Er wolle sich im Laufe der Woche an die Nation wenden, um seine Entscheidung zu erklären. «Es war die grösste Ehre meines Lebens, als Ihr Präsident zu dienen», schrieb Biden. Mit dem Rückzug macht Biden den Weg frei für Vizepräsidentin Kamala Harris, in den Wahlkampf gegen Donald Trump zu ziehen. Sie wäre die erste schwarze Frau, die sich um das Amt bewirbt. Biden sagte, er unterstütze Harris als Kandidatin. Der republikanische Präsidentschaftskandidat Donald Trump sagt dem US-Sender CNN, seiner Ansicht nach sei es leichter, Kamala Harris in den US-Präsidentschaftswahlen im November zu schlagen als Joe Biden. Nach einem schwachen Auftritt in einem TV-Duell gegen Trump Ende Juni und einigen sprachlichen Ausrutschern war Biden auch in den eigenen Reihen zunehmend unter Druck geraten, Platz für einen neuen Kandidaten zu machen.

21.07.2024