Vergewaltigungsfall in Frankreich Wie lebt frau nach einem solch schweren Missbrauch weiter?

Von Lea Oetiker

10.9.2024

Gisèle Pélicot wurde neun Jahre lang von ihrem Mann betäubt und vergewaltigt. Am Montag begann der Prozess gegen ihn und 50 Mittätern.
Gisèle Pélicot wurde neun Jahre lang von ihrem Mann betäubt und vergewaltigt. Am Montag begann der Prozess gegen ihn und 50 Mittätern.
Bild: Keystone

Eine Frau in Frankreich wird hundertfach vergewaltigt. Wie macht man nach solch einem Trauma weiter? Eine Frauenberaterin schätzt den Fall ein.

Von Lea Oetiker

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Dominique Pélicot steht vor Gericht, weil er jahrelang seine Frau betäubt und vergewaltigt hat. 
  • Auf Bildern und Videos hat er festgehalten, wie über 90 weitere Männer sich an ihr vergangen haben. 
  • Der Ehemann und 50 Mittäter stehen nun vor Gericht. Der Prozess ist öffentlich.
  • Die Frauenberatung sexuelle Gewalt erklärt, warum die Entscheidung von Gisèle Pélicot so wichtig ist.

Gisèle Pélicot ist aktuell wohl die mutigste Frau Frankreichs. Seit letzten Montag steht sie als Klägerin vor Gericht. Der Angeklagte: Ihr Ehemann und 50 weitere Männer. Der Grund: Zwischen den Jahren 2011 und 2020, also neun Jahre lang, wurde die heute 72-jährige Gisèle Pélicot von ihrem Ehemann Dominique Pélicot betäubt und zigfach vergewaltigt.

Der ehemalige Makler mischte seiner Frau narkotisierende Medikamente ins Abendessen. Als die bewusstlos war, lud er wildfremde Männer ein, die er übers Internet rekrutiert hatte, die sich schliesslich ebenfalls an seiner Lebenspartnerin vergingen.

Missbrauch wurde auf Videos und Bilder festgehalten

Der Missbrauch hat er in Bildern und Videos auf seinem Computer festgehalten. Rund 200 Vergewaltigungen an seiner Ehepartnerin Gisèle Pélicot sind dokumentiert. Die meisten beging er selbst. Mindestens 92-mal wurde die Frau aber auch von fremden Tätern missbraucht. Von 72 Männern konnten 54 identifiziert werden. Ihnen und Dominique Pélicot drohen bis zu 20 Jahre Haft. Der Prozess soll bis im Dezember dauern.

Gisèle Pélicot, die mit ihren drei Kindern im Gerichtssaal erschienen ist, hat sich bewusst dazu entschieden, den Prozess öffentlich zu machen. Sie möchte dem Angeklagten in die Augen sehen, erklärt ihre Anwältin dem Sender TF1.

«Die Betroffene hat einen Ohnmachtsanfall überlebt»

Aber ist es möglich, ein solches Trauma zu überwinden? «Ja», findet Brigitte Kämpf. Sie ist Sozialarbeiterin und Geschäftsleiterin der Frauenberatung: sexuelle Gewalt. «Die Betroffene hat in diesem Fall absolute Ohnmacht erlebt. Für sie geht es nun darum, wieder handlungsfähig zu werden», so Kämpf.

Ob es helfen kann, den Tätern gegenüberzustehen, ist bei jeder Betroffenen unterschiedlich. «Einigen hilft ein Strafverfahren, weil sie sich dort wieder Grenzen setzen können», so Kämpf. Dass Gisèle Pélicot sich dazu entschieden hat, den Fall öffentlich zu machen, findet sie sehr stark: «Nach solch einem Ohnmachtsanfall ist es wichtig, dass Betroffene viel selber entscheiden können.» Denn: Entscheidungen zu treffen, sei ein wichtiger Teil des Heilungsprozesses. «Man nimmt sich dadurch die Handlungsmacht und Steuerungsfähigkeit wieder zurück», erklärt Kämpf. Mit ihrer Entscheidung würde Gisèle Pélicot auch klar zeigen, dass die Schande nicht bei ihr, sondern bei den Tätern liegt.

In diesem Fall gibt es umfangreiches Beweismaterial: «Die Betroffene muss also nicht erst beweisen, dass ihr das wirklich passiert ist. Sie muss nicht mit einer Anzweiflung ihrer Glaubwürdigkeit rechnen. Das macht sehr viel aus», erklärt Kämpf. Weiter sagt sie: «Muss man vor Gericht um die eigene Glaubwürdigkeit kämpfen, kann die Gefahr einer Retraumatisierung höher sein.»

Vertrauen in Menschen muss neu aufgebaut werden

«Das Vertrauen in Menschen wiederzugewinnen, ist die Arbeit, die nun ansteht», so Kämpf. Es brauche einen therapeutischen Prozess. Wie das genau gelingt, hängt ebenfalls von der Person ab: «Es gibt kein Schema, das perfekt auf jede Person passt.» Kämpf betont: «Es gibt kein Schwarz-Weiss-Denken. Man muss immer schauen, was die Betroffene braucht und was ihr Sicherheit gibt.»

Dominique Pélicot wurde 2020 festgenommen, als er in einem Einkaufszentrum dabei erwischt wurde, wie er Frauen unter die Röcke filmte. Die Polizei nahm in daraufhin fest, verhörte ihn und kontrollierte seinen Computer. Dort fanden sie Tausende Bilder und Videos vom Missbrauch. Darunter auch Nacktfotos der eigenen Tochter.

Mann wird weiterer schwerer Verbrechen verdächtigt

Gegen Dominique Pélicot stehen neben dem Missbrauch an seiner Frau weitere Vorwürfe im Raum. So soll er 1999 versucht haben, eine junge Immobilienmaklerin zu betäuben und zu vergewaltigen. Bei dieser Tat wurde seine DNA sichergestellt.

Auch im Fall eines unaufgelösten Mordes an einer Maklerin in Paris aus dem Jahr 1991 wird gegen Pélicot ermittelt.