Trump: «Biden ist ein Staatsfeind»
Ex-Präsident Trump nutzte seinen ersten öffentlichen Auftritt seit der FBI-Razzia, um gegen Präsident Biden auszuteilen. Dieser sei der Staatsfeind, nicht er, liess er seine Anhänger wissen. Trump sprach im «Swing State» Pennsylvania.
04.09.2022
Die Ermittler in der Geheimakten-Affäre präsentieren nicht nur täglich neue Beweise gegen Trump. Sie liefern ihm auch neuen Inhalt für seine Kampagne.
Donald Trump hat sie wieder: die Opferrolle. In der Vergangenheit inszenierte sich der Republikaner ständig als Ziel von Komplotten seiner politischen Gegner, zuletzt als angebliches Opfer gross angelegter Wahlmanipulation.
Es ist das System Trump: jeden Skandal, jeden Vorwurf, jede Niederlage umzudrehen als vermeintlichen Versuch des «Establishments», ihn von der Macht fernzuhalten. Die Durchsuchung der Villa des ehemaligen US-Präsidenten durch die Bundespolizei FBI gibt Trump neues Futter für dieses Narrativ, und seine Anhänger nehmen es bereitwillig an.
Samstagabend in Wilkes-Barre im Bundesstaat Pennsylvania: Trumps erster Wahlkampfauftritt seit der FBI-Durchsuchung Anfang August. Der 76-Jährige ist in seinem Element und hat ein neues Thema im Repertoire: die «schändliche Razzia» in seinem Zuhause.
Razzia bei einem Ex-Präsidenten ist ein Novum
Trump stellt die Durchsuchung seines Anwesens Mar-a-Lago als Intrige der Regierung dar, um seine Rückkehr ins Weisse Haus zu verhindern. «Sie versuchen, mich zum Schweigen zu bringen, und was noch wichtiger ist: Sie versuchen, euch zum Schweigen zu bringen», ruft er seinen Anhängern zu. «Aber wir werden uns nicht zum Schweigen bringen lassen.»
Trump bemüht, wie so oft, gleich mehrere Superlative: Der Einsatz sei «einer der schockierendsten Machtmissbräuche einer Regierung in der amerikanischen Geschichte», das anschaulichste Beispiel für die «Bedrohung der amerikanischen Freiheit». Dies werde «eine Gegenreaktion hervorrufen, wie sie noch niemand zuvor gesehen hat».
Tatsächlich ist es ein Novum in der US-Geschichte, dass Ermittler das Privathaus eines Ex-Präsidenten durchkämmen. Das FBI wurde bei dem Einsatz fündig und beschlagnahmte diverse Verschlusssachen, bis hin zur höchsten Geheimhaltungsstufe.
Nach und nach kommt heraus, in welchem Umfang Trump auch vorher schon geheime Regierungsdokumente in seiner Villa aufbewahrte, lange nach seinem Abschied aus dem Weissen Haus. Die Ermittler sehen auch Hinweise auf eine Behinderung der Justiz. Mit alldem könnte sich Trump strafbar gemacht haben.
Trump 2024
Was die Unterlagen bei ihm zu Hause zu suchen hatten, dazu verliert Trump in Wilkes-Barre kein Wort. Seine Fans scheint das auch nicht zu interessieren. Einzelne tragen Mützen mit der Aufschrift: «Trump hat nichts Falsches gemacht.»
Vor dessen Auftritt fragen Trump-treue Reporter Wartende vor der Arena, was sie von der Durchsuchung halten. «Ich glaube, sie haben Angst vor Trump», sagt ein grauhaariger Mann mit Trump-Shirt. «Sie wissen, dass er gewinnen wird, und sie versuchen alles, um ihn zu stoppen.» Trump befeuert seit Wochen Spekulationen, dass er bei der Präsidentenwahl 2024 erneut antreten könnte, auch in Wilkes-Barre. Doch Konkretes sagt er auch hier nicht.
Ein Fan mit Biker-Weste und «Trump 2024»-Mütze, der zum 48. Mal bei einer Trump-Rede ist, sagt: «Sie haben Angst, dass es im November eine rote Welle geben wird und dass wir das Repräsentantenhaus und den Senat übernehmen und Biden des Amtes entheben.»
Anfang November wird der US-Kongress neu gewählt. Die Republikaner – im politischen Farbenspiel der USA die Roten – hoffen auf eine Mehrheit in beiden Kongresskammern. Damit könnten sie nicht nur die Politik von Präsident Joe Biden in der zweiten Hälfte seiner Amtszeit blockieren, sondern auch Untersuchungen gegen Demokraten anstossen – bis hin zu möglichen Amtsenthebungsverfahren gegen Mitglieder der Regierung. Quasi als Rache für zwei solche Verfahren gegen Trump.
Biden heizt die Stimmung an
Die Stimmung im Land ist aufgeheizt. Biden, der mit dem Ziel angetreten war, die Gesellschaft nach vier Trump-Jahren wieder zu einen, schlug zuletzt einen aggressiven Ton an: Er bezeichnete den Trump-getreuen Teil der Republikanischen Partei als extremistisch, gar als «halb faschistisch» – und als Gefahr für die Demokratie.
Trump keilt in Wilkes-Barre zurück, Bidens Ansprache sei die «bösartigste, hasserfüllteste und spalterischste Rede» gewesen, die je ein amerikanischer Präsident gehalten habe. Es gebe nur eine Partei, die «einen Krieg gegen die amerikanische Demokratie» führe, nämlich die Demokraten. Trump spricht von «Tyrannei» und ruft seine Anhänger auf, das Land im November «zurückzuerobern».
Die politisch heiklen Ermittlungen gegen Trump fallen also in eine fragile Zeit. Der Trump-Loyalist, der prominente republikanische Senator Lindsey Graham warnte öffentlich vor Krawallen, falls gegen den Ex-Präsidenten Anklage erhoben würde. Mancher Trump-Fan könnte das als Ermunterung verstehen.
Nach der beispiellosen Attacke von Trump-Anhängern auf das US-Kapitol im Januar 2021 ist nichts mehr undenkbar in den USA. Und wer sich damals nicht von Trump abwandte, für den dürfte die nicht vorschriftsmässige Lagerung sensibler Regierungsdokumente erst recht kein Grund sein, mit ihm zu brechen.
Showdown im Swing State
Dass Trump für seinen ersten grossen Auftritt nach der Durchsuchung das kleine Wilkes-Barre auswählte, ist wohl kein Zufall. Es ist Bidens Heimat: Nur etwa 30 Kilometer entfernt, in Scranton, wurde der Demokrat geboren und verbrachte dort seine ersten Lebensjahre. Biden trat erst vor wenige Tagen selbst in Wilkes-Barre auf – in drei Pennsylvania-Besuchen in einer Woche.
Auch der oberste Republikaner im Repräsentantenhaus, Kevin McCarthy, reiste gerade erst in Bidens Geburtsort Scranton, um gegen den Präsidenten auszuteilen.
Pennsylvania gehört zu den «Swing States», die mal so und mal so abstimmen. Bei der Präsidentenwahl 2016 konnte sich Trump hier knapp durchsetzen, 2020 Biden. Auch bei der Kongresswahl im November könnte Pennsylvania eine entscheidende Rolle zukommen. Und die wird laut Trump «die wichtigste Halbzeitwahl in der amerikanischen Geschichte».