Sommer kündigt sich an Wo bleibt die ukrainische Frühjahrsoffensive?

dpa/twei

20.5.2023 - 19:48

Ukrainische Soldaten feuern eine Kanone in der Nähe von Bakhmut ab, einer östlichen Stadt, in der heftige Kämpfe gegen russische Truppen stattfinden.
Ukrainische Soldaten feuern eine Kanone in der Nähe von Bakhmut ab, einer östlichen Stadt, in der heftige Kämpfe gegen russische Truppen stattfinden.
Bild: Libkos/AP

In wenigen Wochen steht der Sommer vor der Tür, doch die erwartete Frühjahrsoffensive der Ukraine hat noch nicht begonnen. Das Wetter, anhaltende Kampfausbildung und stockende Waffenlieferungen werden als Bremser genannt.

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Über die vergangenen Monate hinweg haben die Partner aus dem Westen Waffensysteme und Munition im Milliardenwert in die Ukraine gebracht – unter Druck, die Ausrüstung rechtzeitig für eine erwartete Frühjahrsoffensive zu liefern. Jetzt ist der Sommer nur noch wenige Wochen entfernt, und die ukrainische Offensive lässt auf sich warten.

Präsident Wolodymyr Selenskyj hat das in der vergangenen Woche damit erklärt, dass sein Land weiterhin nicht über genug westliche Waffen verfüge, um auf einen Erfolg ohne grosse Verluste setzen zu können. Aus Behörden- und Verteidigungskreisen heisst es zudem, auch das Wetter und die Kampfvorbereitung der Truppen spielten eine Rolle.

Die Gegenoffensive gegen den russischen Vormarsch aber werde kommen, wird offiziell betont. Ein Vertreter aus US-Regierungskreisen erklärte dazu vertraulich, dass die Ukraine bereits erste Schritte eingeleitet habe.

Das Wetter

Ein Grund für die Verzögerung der Frühjahrsoffensive ist das Wetter. Das Auftauen des gefrorenen Bodens hat länger gebraucht als erwartet. Der Winter ging in einen nassen, kalten Frühling über, das Austrocknen stockte. Stattdessen ist tiefer Schlamm zurückgeblieben, sodass Fahrzeuge ohne Ketten schwer vorankommen. Der Schlamm sei wie eine Suppe, sagt der US-Beamte. «Man versinkt regelrecht darin.»

Ausbildung der Truppen

In den vergangenen Monaten haben die USA und ihre Verbündeten die ukrainischen Truppen bei der Ausbildung Zehntausender Soldaten unterstützt. Das letzte Bataillon im US-Training beendet aber gerade jetzt erst seinen Kurs, der nicht nur Kampftechniken umfasst, sondern auch gezielte Ausbildung an Waffensystemen und kombinierte Waffentaktiken. Nach Angaben der US-Streitkräfte beteiligen sich mehr als 30 Partnernationen an diesen Ausbildungsprogrammen.

Was noch aussteht, ist die Einweisung der ukrainischen Truppen in Abrams-Panzer. Das planen die USA auf dem Truppenübungsplatz Grafenwöhr in Bayern. Für ihre Gegenoffensive werde die Ukraine allerdings nicht warten, bis diese Panzerausbildung abgeschlossen sei, erklärte der ukrainische Verteidigungsminister Olexij Resnikow vor kurzem.

Die Bedienung US-amerikanischer Abrams-Panzer erfordert ein spezielles Training, das bis dato noch nicht erfolgt ist.
Die Bedienung US-amerikanischer Abrams-Panzer erfordert ein spezielles Training, das bis dato noch nicht erfolgt ist.
Bild: Nicolas Armer/dpa

Waffenlieferungen

Allein in den vergangenen fünf Monaten haben die USA Waffen und Munition im Wert von mehr als 14 Milliarden Dollar (rund 13 Milliarden Euro) zugesagt. Der grösste Teil kommt aus dem Bestand, um schneller nach Kiew liefern zu können. Auch andere westliche Partner haben Panzer, Fahrzeuge und Luftabwehrsysteme im Milliardenwert zugesichert.

Vieles davon sei jedoch noch nicht eingetroffen, erklärt Ben Barry vom Internationalen Institut für Strategische Studien (IISS), ein britischer Ex-Geheimdienstler. So seien von rund 300 zugesagten Panzersystemen, wie der Leopard 2, bislang nur etwa 100 angekommen. Von rund 700 zugesagten Kampffahrzeugen, wie den Marauders und den amerikanischen Bradley-Schützenpanzern, sei es knapp die Hälfte.

Beim Beginn einer Offensive werde auch genügend Munition benötigt. Hier werde die Leitung der ukrainische Militärlogistik grosses Gewicht bei der Entscheidung haben, wann die Ukraine bereit sei, erklärt Barry.

Hinweise auf eine Gegenoffensive

Russland verfügt nach Angaben aus westlichen Regierungskreisen derzeit über rund 200'000 Soldaten entlang einer 1000 Kilometer langen Kampflinie, die sich ähnlich wie im Ersten Weltkrieg eingegraben hätten. Diese Truppen seien nicht so gut ausgebildet wie jene, die zuerst die Ukraine angriffen. Sie seien aber geschützt von Gräben, Minenfeldern und Panzersperren aus Beton.

Die Ukraine hat begonnen, die russischen Linien aus grosser Entfernung mit Artilleriefeuer zu beschiessen. Dies könnte nach Ansicht des westlichen Informanten ein Hinweis sein, dass ein Vorstoss an dieser Stelle geplant sei – oder auch ein Ablenkungsmanöver, um die russische Aufmerksamkeit auf diesen Ort zu richten und von dem dann eigentlichen Angriffspunkt abzulenken.

Sollte die Ukraine dann versuchen, in russisch gehaltene Gebiete vorzudringen und die Verteidigungslinien zu durchbrechen, dann wäre das nach Ansicht von IISS-Experte Barry ein klares Zeichen: Die Frühjahrsoffensive hat begonnen.