Krieg in der Ukraine Wo Kiew oder Moskau eine dritte Front eröffnen könnten

Von Philipp Dahm

16.12.2022

Kriegsangst: Polen schnuppern in der Armee

Kriegsangst: Polen schnuppern in der Armee

Polen rüstet sich für den Ernstfall. Seitdem Russland die Ukraine überfallen hat, fürchtet sich die Bevölkerung vor einer möglichen Eskalation. Mit Schnupperkursen versucht die nationalkonservative Regierung Polens neue Berufssoldaten und -soldatinnen anzuheuern. Auch das Arsenal wird in den nächsten zwölf Jahren mit 115 Milliarden Franken aufgestockt.

15.12.2022

Sobald der Winter den nassen Boden härtet, können die Kriegsparteien wieder in die Offensive gehen. Neben den Brennpunkten Kreminna und Bachmut könnte es bald auch ganz neue Fronten geben, wird spekuliert.

Von Philipp Dahm

16.12.2022

Wenn Eiseskälte in der kommenden Woche den Matsch auf den Schlachtfeldern in festen Boden verwandeln sollte, könnte auch wieder Bewegung in den Krieg kommen, der sich derzeit noch ganz auf die Kämpfe um Bachmut und Kreminna konzentriert. 

Die russische Armee hat Truppen von der Cherson-Front abgezogen, um die Streitkräfte im Donbass zu verstärken. In diese Lücke in der Südukraine könnten Kiews Kräfte nun vorstossen, greift Sicherheitsexperte Michael Clarke vom Londoner King's College ein Gedankenspiel auf, das auch hier schon thematisiert wurde.

«Es wird spekuliert, dass die Ukrainer ihre 2. und 4. Armee der Reserve, die Brigadestärke haben, nutzen könnten, um von Saporischschja direkt runter nach Melitopol zur Küste zu ziehen», erklärt der Professor bei «Sky News». «Mit anderen Worten: Sie würden bei einer Serie von Winteroffensiven eine dritte Front eröffnen. Es ist eine Möglchkeit.»

Legt sich die Ukraine den Gegner zurecht?

Die ukrainische Seite versucht womöglich, wie zu Beginn der Schlacht um Cherson vorzugehen. Dort waren erst Nachschubwege, Brücken und Kasernen ins Visier genommen worden. Nun gibt es Parallelen im Oblast Saporischschja. Im Dorf Salisnyj Port wird ein Hotel zerstört, das angeblich eine Basis des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB war.

Ein ukrainischer Soldat am 8. Dezember vor der zerstörten Antoniwkabrücke, die in Cherson über den Dnepr führt.
Ein ukrainischer Soldat am 8. Dezember vor der zerstörten Antoniwkabrücke, die in Cherson über den Dnepr führt.
Keystone

Aus Melitopol werden gleich mehrere Explosionen gemeldet. Am 10. Dezember zerstört ein ukrainischer Himars-Angriff Gebäude, die als militärische Basen genutzt worden sein sollen. Ausserdem ist in der Stadt eine Brücke zerstört worden, die über den Molotschna-Fluss führt und eine wichtige Verbindungslinie nach Berdjansk im Osten bildet – auch wenn die Brücke im Süden noch umfahren werden kann.

Melitopol ist ein wichtiges Zentrum, über das Nachschub von West nach Ost und umgekehrt läuft. Von hier werden russische Truppen an der Kontaktlinie weiter im Norden versorgt – und nahe der Stadt führt die Verbindungsader zur Krim entlang: Die Halbinsel kann ansonsten nur noch über die Krim-Brücke über die Strasse von Kertsch versorgt werden.

Schnitt an der Autobahn entlang

Die Front liegt aktuell nördlich von Wasyliwka. Sollte die ukrainische Armee sie einnehmen, würde die 70 Kilometer lange Fahrt nach Melitopol über die Autobahn M-18 keine Stunde dauern – wenn kein Krieg wäre. Im Osten wird die Strecke von der Molotschna geschützt, die parallel zur M-18 fliesst, während hinter Melitopol recht bald das Asowsche Meer den Raum abschliesst.

Markiert: Die Autobahn-Route von Wasyliwka nach Melitopol.
Markiert: Die Autobahn-Route von Wasyliwka nach Melitopol.
Google Maps

Ein solcher Zug könnte den ukrainischen Streitkräfte ermöglichen, den russischen Gegner einzuschliessen, wie es auch schon in Cherson auf der anderen Seite des Dnepr der Fall gewesen ist. Dort werden die russischen Besatzer versuchen, ihre Verteidigung so lange auszubauen, bis der Frost das Ausheben von Gräben unmöglich macht. 

Nördlich von Melitopol sind die Dörfer Orichiw, Mala Tokmatschka und Huliaipilske mit einem roten Icon mit einer Artilleriegranate markiert.
Nördlich von Melitopol sind die Dörfer Orichiw, Mala Tokmatschka und Huliaipilske mit einem roten Icon mit einer Artilleriegranate markiert.
Karte: LiveUAMap

Die russische Artillerie nimmt regelmässig Dörfer hinter der Frontlinie unter Beschuss – wie etwa Orichiw, den Nachbarort Mala Tokmatschka oder Huliaipilske. Ob hier wirklich ukrainische Truppen an- oder aufmarschieren, werden die nächsten Wochen zeigen. Kiews nächste grössere Operation «ist auf dem Weg», verspricht Armeechef Walerij Saluschnyj.

Greift Belarus ein, oder nicht?

Doch was die Ukraine tun könnte, könnte natürlich auch Russland tun: eine dritte Front eröffnen. Oder eine vierte, falls Kiew tatsächlich im Süden einfällt: Nach wie vor steht ein Angriff im Norden von Belarus aus im Raum. Erst am 13. Dezember hat der weissrussische Präsident mal wieder spontane Militärinspektionen angekündigt.

Weissrussische Militärbasen im Grenzgebiet zur Ukraine.
Weissrussische Militärbasen im Grenzgebiet zur Ukraine.
ISW

Das Institute for the Study of War in Washington glaubt zwar nicht, dass Belarus in den Krieg eingreifen wird. Derzeit würden sich keine russischen Kampfgruppen in dem Land sammeln und jene Truppen, die vor Ort seien, seien wohl nur da, um einen möglichen Angriff vorzutäuschen.

Die ukrainische Armee will sich darauf aber nicht verlassen. Die Verteidigungslinien sind ausgebaut worden, zeigt ein CNN-Besuch an der Grenze. «Wir müssen uns Sorgen machen, weil wir keinen freundlichen Nachbarn haben», betont Verteidigungsminister Oleksij Resnikow im Interview. «Wir müssen bereit sein.»