Studie Ärzte verschreiben viel zu viel Pillen gegen Depressionen

sob

26.11.2019

Bei Gefühlen der Einsamkeit und leichten Depressionen sind Medikamente oft wirkungslos. (Symbolbild)
Bei Gefühlen der Einsamkeit und leichten Depressionen sind Medikamente oft wirkungslos. (Symbolbild)
Keystone

Fast jeder zehnte Mensch in der Schweiz bekommt Antidepressiva. Das kann nicht sein, sagen Experten. Eine Studie zeigt, dass vor allem Hausärzte zu schnell und zu oft Medikamente gegen Depressionen verschreiben.

Exakte Zahlen dazu, wer wie häufig Antidepressiva in der Schweiz auf den Rezeptblock schreibt, existieren erst seit kurzem. Demnach erhalten 8,7 Prozent der Bevölkerung innerhalb eines Jahres solche Medikamente verordnet – Frauen doppelt so häufig wie Männer. Bei den Erwachsenen von 45 bis 74 Jahren liegt der Anteil bei 12,5 Prozent. Der Wert steigt bei älteren Patienten weiter und liegt ab Alter 85 bei fast einem Viertel.

«Fehlversorgung von Patienten»

Ein hoher Anteil, der problematisch ist, wie eine soeben veröffentlichte Analyse bestätigt. «Das sind mehr Verschreibungen, als zu erwarten wäre», sagt Birgit Watzke, Professorin für Klinische Psychologie an der Uni Zürich und Mitautorin der Studie, im «Tages-Anzeiger». «Wir gehen deshalb von einer Fehlversorgung von depressiven Patienten aus.»

Eine wichtige Ursache für die vielen Verordnungen orten die Forscher bei den Grundversorgern: Gemäss der Studie ­erhielt mehr als die Hälfte der Patienten ihr Rezept von einem Hausarzt. «Sie möchten ihren Patienten etwas anbieten und verschreiben Antidepressiva, weil sie einfach und schnell verfügbar sind», sagt Watzke. Eine Psychotherapie sei aufwendig aufzugleisen und müsse von einem Spezialisten durchgeführt werden.

Antidepressiva oft ohne Wirkung

Wie gross die Fehlversorgung mit Antidepressiva tatsächlich ist, kann nur geschätzt werden: «In der Schweiz leiden im Laufe eines Jahres rund 8 Prozent der Bevölkerung unter Depressionen, von denen bei fachgerechter Behandlung aber weniger als die Hälfte Anti­depressiva erhalten sollte», sagt Watzke. Denn: «Antidepressiva haben insbesondere bei leichten Depressionen keine über den Placeboeffekt hinausgehende Wirkung und oft starke Nebenwirkungen.»

Seltsam sind auch die grossen Unterschiede zwischen den Kantonen: In Basel-Stadt erhalten 11,9 Prozent ein entsprechendes Rezept, im Kanton Zug 6,5 Prozent. «Das lässt sich medizinisch nicht erklären», sagt Watzke. Das Gleiche gilt für die Beobachtung, dass Patienten mit hoher Franchise oder Hausarztmodell oder HMO weniger Antidepressiva erhalten als andere.

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