Neue Studie Alkohol in der Krise: Haben auch die Schweizer mehr getrunken?

Von Julia Käser

10.7.2020

Weil Restaurants und Bars geschlossen blieben, haben die Leute vermehrt zu Hause Alkohol getrunken – und nicht im öffentlichen Raum.
Weil Restaurants und Bars geschlossen blieben, haben die Leute vermehrt zu Hause Alkohol getrunken – und nicht im öffentlichen Raum.
Bild: Keystone

Seit Beginn der Corona-Krise wird vor übermässigem Alkoholkonsum gewarnt. Laut einer deutschen Studie hat rund ein Drittel der Bevölkerung während der Krise mehr getrunken – und in der Schweiz? 

Die Warnungen von Suchtexpertinnen und Suchtexperten häuften sich zu Beginn der Krise: Finger weg von der Flasche! Ihre Besorgnis war nicht unbegründet. Bestehende Untersuchungen zeigen, dass vor allem Personen, die schon zuvor mit einem problematischen Alkoholkonsum zu kämpfen hatten, in Krisenzeiten mehr Alkohol trinken. 

Gemäss Sucht Schweiz verleitet die Krise aber auch andere Personen zum Trinken. Begründet wird dies einerseits mit dem wenig strukturierten Alltag bedingt durch Homeoffice oder Arbeitslosigkeit. Andererseits ist auch das genaue Gegenteil ein Risikofaktor: Besonders belastete Menschen, wie etwa das Medizinpersonal, gehören ebenfalls zu den gefährdeten Gruppen.

In Grönland etwa wurde deshalb gar ein vorübergehendes Alkoholverbot erlassen –, um Kinder während der Lockdown-Zeit vor alkoholisierten Elternteilen zu schützen. Und auch darum, weil Menschen unter Alkoholeinfluss nachlässiger werden. 

Deutsche haben wegen Corona mehr getrunken

Eine Studie aus Deutschland liefert nun erste Zahlen und Hinweise darauf, dass sich die Befürchtungen der Fachpersonen bewahrheitet haben: Demnach hat rund ein Drittel aller Erwachsenen während der Krise mehr oder viel mehr Alkohol getrunken als vor der Corona-Zeit. 

Zwar ist die Umfrage des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit (ZI) in Mannheim und mit dem Klinikum Nürnberg nicht repräsentativ, dennoch können ihre Ergebnisse als erste Erkenntnisse zum Alkoholkonsum während Corona gewertet werden. 

Für die Schweiz fehlt bisher eine wissenschaftliche Analyse zum Thema. Klar ist aber: Wie in Deutschland wurde auch hier während der Lockdown-Zeit im Detailhandel deutlich mehr Alkohol verkauft als vor der Pandemie.

Gesteigerte Umsätze im Detailhandel

Bei Coop heisst es: «Wir spüren in unseren Supermärkten in der ganzen Schweiz in den vergangenen Monaten einen merklichen Anstieg der Nachfrage bei alkoholischen Getränken.» Dies betreffe sowohl Bier, als auch Wein und Spirituosen gleichermassen. Auch bei Aldi Suisse ist es in den letzten Monaten zeitweise zu einem Anstieg der Umsätze im Bereich alkoholischer Getränke gekommen.

Ebenso bei Denner. Mediensprecher Thomas Kaderli gibt an, der Umsatz habe in der Tendenz zugenommen. Die Gründe, weshalb mehr alkoholische Getränke verkauft wurden, sind laut Kaderli schwierig zu beurteilen.  Umsatzschwankungen würden generell von vielen Faktoren abhängen, beispielsweise vom Wetter, der Wirtschaftslage und der Verfügbarkeit. 

Tatsächlich können von den gesteigerten Verkaufszahlen nicht direkt Folgerungen in Bezug auf das Ausmass des problematischen Konsums während der Krise gezogen werden. So verweist Kaderli darauf, dass eine mögliche Ursache für den gesteigerten Verkauf im Wegfall des kompletten Gastronomieangebots liegen kann.

Keine einheitlichen Zahlen zu Ausnüchterungszellen

Das heisst: Weil Restaurants und Bars geschlossen blieben, haben die Leute vermehrt zu Hause Alkohol getrunken. Wegen der unterschiedlichen Aufteilung des Absatzanteils an Gastronomie und Detailhandel verbuchen die Getränkehändler denn auch erhebliche Umsatzeinbussen. 

Die Beobachtung, dass im öffentlichen Raum weniger getrunken wurde, macht man auch die Stadtpolizei Zürich. So wurden in der Lockdown-Zeit deutlich weniger Leute in Ausnüchterungszellen gebracht als in den Vorjahren. Momentan seien die Zahlen bereits wieder auf üblichem Niveau. 

Während 2018 und 2019 in der Zeit vom 1. März bis 30. Juni insgesamt 304 respektive 286 Personen in Zürcher Ausnüchterungszellen gezählt wurden, waren es 2020 insgesamt 237 Personen. Laut Mediensprecher Pascal Siegenthaler können diese Zahlen jedoch nicht alleine mit dem Alkoholkonsum in Verbindung gebracht werden, auch Drogen und andere Substanzen spielten eine Rolle. 

Eine andere Feststellung hat die Polizei in Basel-Stadt gemacht. Kapo-Sprecher Toprak Yerguz gibt an, zwischen März und heute seien ungefähr 140 sogenannt «beeinträchtigte Personen» erfasst worden, die bei der Polizei verweilen mussten. Yerguz: «In der Vergleichsperiode 2019 waren es rund 130 Personen.»

Wie in Zürich sind nicht ausschliesslich stark alkoholisierte Leute in diese Zahl einbegriffen. «Die meisten der beeinträchtigten Personen sind solche, die im öffentlichen Raum auffallen», ordnet Yerguz ein. 

Online-Meetings für Hilfesuchende

Öffentlicher Raum hin oder her: Personen, die während der Krise mit übermässigem Alkoholkonsum zu kämpfen hatten, konnten sich in der Zeit des Social Distancings auf diverse Online-Angebote zurückgreifen. Beim Blauen Kreuz etwa wurden nebst Telefonberatungen auch Online-Meetings angeboten, die sehr beliebt gewesen seien.

Fazit: Inwiefern sich der Pro-Kopf-Konsum durch die Krise verändert hat und ob der Trend hin zu einem niedrigeren Alkoholkonsum auch nach Corona weitergeht, ist für die Schweiz momentan schwer zu eruieren. Um allgemein gültige Aussagen machen zu können, bedarf es – wie auch in Deutschland – zusätzlichen Untersuchungen und repräsentativen Studien. 

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