Kolumne Alkohol gegen Corona – gibt die Flasche wirklich Zuversicht?

Von Jürg Hösli

3.4.2020

Soziale Isolation: In der Corona-Krise greifen scheinbar immer mehr Menschen zur Flasche.
Soziale Isolation: In der Corona-Krise greifen scheinbar immer mehr Menschen zur Flasche.
Bild: Getty Images

Seit Beginn der aktuellen Krise wird offenbar daheim viel mehr getrunken. Aber das Alkoholtrinken schützt überhaupt gar nicht vor Corona. Die Gründe sind mannigfach.

Alkohol kann Viren zerstören, aber an den Händen und nicht im Rachen. Dass selbst Beda Stadler – ein sehr geschätzter Schweizer Immunologe – ein Gläschen in Ehren in einem Artikel propagiert, macht mich schon etwas stutzig.

Pro Jahr sterben weltweit drei Millionen Menschen an den übermässigen Folgen von Alkohol, in der Schweiz pro Tag fünf!

Wenn wir die Verkaufszahlen alkoholischer Getränke im Moment verfolgen, werden diese Zahlen in der Lockdown-Zeit ansteigen. Zurzeit werden über 30 Prozent mehr Bier, über 60 Prozent mehr Wein und zirka 50 Prozent mehr Zigaretten geraucht, wie die Daten einer Marktbefragung der Konsumforschungsgesellschaft GfK zeigen. Aussagen, wonach Alkohol einen gesundheitlich positiven Einfluss punkto Virus hat, sind klar fahrlässig.

Die Alltagsstruktur bröckelt

Unser Alltag ändert sich im Moment stark: Soziale Kontakte fallen weg, viele Menschen fühlen sich allein. Auf der Strasse behandeln uns Fremde wie Aussätzige, die Angst vor der unsicheren wirtschaftlichen Lage belastet viele mindestens so sehr wie das unsichtbare und scheinbar todbringende Virus. Die Alltagsstruktur bröckelt, Gruppensport fällt weg, die Selbstbestätigung am Arbeitsplatz bei vielen ebenso.



Es gibt viele Menschen, welche die momentane Ruhe als befreiend erachten. Genauso viele empfinden sie aber auch als beängstigend und haben kaum gelernt, damit umzugehen. Und genau dann hilft bei einigen der Alkohol, ein bisschen «Wärme» in sich zu spüren.

Man kann der aktuellen Welt wieder einmal für ein paar Momente entfliehen, kann sich in seine Gedankenwelt zurückziehen ohne scheinbare Konsequenzen. Doch die Realität und der schwere Kopf am nächsten Morgen folgt auf dem Fusse.

Grönland hat den Alkoholverkauf verboten

Bei vielen ehemaligen Alkoholsüchtigen reicht ein Glas. Dann sind sie wieder mittendrin. Weit mehr Sorgen machen mir aber alle anderen, die nun auf kleinem Raum zu Hause mit ihren Kindern sind und ebenfalls deutlich mehr Alkohol trinken. Denn mehr und mehr kann auch die Einengung ein Problem werden und nicht nur das Virus. Ein Grund, warum Grönland den Alkoholverkauf verboten hat im Moment.



Alkohol ist nicht nur ein Gift für unseren Körper, sondern auch für unsere Psyche. Er schwächt unser Immunsystem, wie auch unsere mentale Konstitution. Aber genau diese beiden sind in dieser Zeit besonders wichtig, wenn wir allein zu Hause sind, getrennt von anderen durch Social Distancing.

Das macht Alkohol mit unserem Körper

  • Er schwächt das Immunsystem immens, verstärkt also auch die Folgen einer Erkrankung wie Covid-19 deutlich!
  • Er gibt mehr Bauchfett, Leberfett und fördert so Entzündungsprozesse im Körper und ebnet Begleiterkrankungen den Weg.
  • Er verschlechtert den Schlaf, die Körperliche und mentale Erholung.
  • Er fördert längerfristig Depressionen.
  • Er hebt oft die Aggressivität in den eigenen vier Wänden gegen seine(n) Mitmenschen.
  • Er hebt die Stresshormone, senkt somit auch unsere Geschlechtshormone und die Libido.

Es ist nur allzu menschlich, dass viele Ängste in sich tragen und Unsicherheit verspüren. Bitte kompensiert das aber mit guten Gesprächen. Ruft die Menschen an, die euch guttun oder von denen ihr wisst, dass sie euer Ohr brauchen. Teil eure Ängste, und baut eure Unsicherheit ab.

Denn die Zeit, die vor uns liegt, braucht Energie und Zuversicht – und die gibt es nicht aus der Flasche.

Zum Autor: Jürg Hösli ist Ernährungswissenschaftler und greift gerne kontroverse Themen aus Sport, Psychologie und Ernährung auf. Er ist Begründer der Ernährungsdiagnostik und der Schule für Ernährungsdiagnostik erpse in Winterthur und Zürich.

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