Personalmangel Auch in der zweiten Welle droht ein Pflege-Notstand

Von Julia Käser

22.10.2020

«Es muss jetzt sichergestellt werden, dass es genügend Pflegepersonal gibt», fordert Nationalrätin Manuela Weichelt-Picard. 
«Es muss jetzt sichergestellt werden, dass es genügend Pflegepersonal gibt», fordert Nationalrätin Manuela Weichelt-Picard. 
Bild: Keystone

Die Covid-19-Hospitalisationen nehmen zu. Um einen Pflege-Notstand zu verhindern, haben erste Spitäler bereits Massnahmen ergriffen. Das Gesundheitspersonal fordert mehr Schutz im Kampf gegen das Virus. 

Haufenweise Überstunden, zu wenig Schutzmaterial und Arbeit trotz Krankheitssymptomen: Während der ersten Welle der Corona-Pandemie waren die Arbeitsbedingungen vieler Gesundheitsangestellten prekär. Mindestens 7'000 von ihnen haben den Kampf gegen das Virus mit dem Leben bezahlt. Hunderttausende haben sich angesteckt, wie eine Recherche der NGO Amnesty International zeigt. 

Zur Situation in der Schweiz fehlen genaue Zahlen – das soll sich nun aber ändern. In einem offenen Brief, der heute an den Bundesrat übergeben wurde, fordert Amnesty International eine unabhängige Untersuchung, die die Auswirkungen der Pandemie auf das hiesige Gesundheitspersonal aufzeigen soll. 

Fast 20 Gewerkschaften, Berufsverbände und NGO sowie mehr als 3'000 Personen – darunter 1'500 Gesundheitsfachkräfte – haben den Brief unterzeichnet. Sie alle sind der Ansicht, dass bis jetzt kaum etwas unternommen wurde, um die Situation des Gesundheitspersonals zu verbessern. Die Angestellten müssten dringend besser vor dem Virus geschützt werden. 

«Jetzt ist die zweite Welle angekommen und die Situation des Personals ist alarmierend – jedem und jeder droht die Erschöpfung», sagt Béatriz Rosende von der Gewerkschaft VPOD. 

Szenario vom Frühjahr soll sich nicht wiederholen 

Grünen-Nationalrätin Manuela Weichelt-Picard hofft, dass die Kantone aus der ersten Welle gelernt haben, wie sie «blue News» kürzlich angab. «Es muss jetzt sichergestellt werden, dass es genügend Pflegepersonal gibt.» Das Arbeitsgesetz dürfe nicht ein zweites Mal teilweise ausser Kraft gesetzt werden.

Verhindert werden soll ein Szenario wie jenes im Frühjahr. Mit einer Verordnung hatte der Bundesrat im März die arbeitsrechtlichen Schutzbestimmungen für das Spitalpersonal ausgesetzt. Damit waren Ruhezeiten und Höchstarbeitszeit vorübergehend nicht mehr gesetzlich geregelt worden. Der Bundesrat hob diese Massnahme im Juni wieder auf.

Aber nicht nur die fehlenden Regeln in Bezug auf Ruhezeiten und die haufenweisen Überstunden belasteten das Gesundheitspersonal zusätzlich. «blue News» weiss von mehreren Spitalangestellten aus den Kantonen Bern, Basel-Stadt und Zürich, die während der ersten Welle die eindeutige Anweisung erhielten, auch krank zur Arbeit zu erscheinen. 

Mit Covid-19 zur Arbeit im Spital

«Die Vorschrift war klar: Fallen die Symptome gering aus, muss man auch mit einem positiven Coronatest arbeiten – natürlich mit Maske», so eine Pflegeangestellte aus dem Raum Basel. Um einem möglichen Personalmangel entgegenzuwirken, erhielten Spitalangestellte aus Zürich und Bern ähnliche Anweisungen. 

Das BAG rät krankem Pflegepersonal, zu Hause zu bleiben. Es sei wichtig, dass Betroffene keine anderen, besonders gefährdeten Personen oder die Arbeitskolleginnen und Arbeitskollegen anstecken würden. Grundsätzlich seien die Spitäler aber selbst verantwortlich für die Personalempfehlungen, heisst es auf Anfrage von «blue News».

Um Personalengpässe in der zweiten Welle möglichst zu verhindern, haben erste Spitäler nun Massnahmen ergriffen. Das Kantonsspital Fribourg (HFR) etwa hat den Personalbestand in der Intensivstation und in der Abteilung für Innere Medizin aufgestockt. Zudem hat es beim Zivilschutz Unterstützung für die Pflegehilfe und den Patiententransport beantragt.

Franziska Föllmi, Direktorin des Spitals Schwyz, warnte bereits vergangene Woche: «Wir können das im Spital am Ende nicht mehr stemmen, wenn die Fallzahlen weiter steigen.» Die grösste Herausforderung sei die personelle Situation, heisst es beim Spital. Die Betreuung von Covid-19-Patienten sei aufgrund der Schutzmassnahmen besonders aufwendig. Zur Verstärkung werden deshalb per sofort Fachpersonen für den Pflegepool gesucht. 

Applaus und öffentliche Anerkennung sind nicht genug

Um das Gesundheitswesen zu stärken, hatte der Kanton Thurgau bereits im Frühling mit einem Aufruf nach freiwilligen Helferinnen und Helfern gesucht. Auf diesen Helferpool könne man auch jetzt – in der zweiten Welle – wieder zurückgreifen, sagt Miriam Hetzel vom kantonalen Informationsdienst. 

Zusätzliche Unterstützung für das Pflegepersonal wird auch im offenen Brief an den Bundesrat gefordert. Öffentliche Anerkennung und Applaus allein reichten nicht aus.

Die Unterzeichnenden verlangen, dass die Rechte des Gesundheitspersonals in der zweiten Pandemiewelle respektiert werden. «Dies erfordert Arbeitsbedingungen, die der grundlegenden Bedeutung der erbrachten Dienstleistungen gerecht werden und die die Basis eines starken und belastbaren Gesundheitswesens bilden.»

Empfehlung von Swissnoso

In einer Empfehlung vom 2. April rät Swissnoso, das nationale Zentrum für Infektionsprävention, dass Spitalangestellte mit Covid-19 nur dann zur Arbeit gehen sollen, wenn ein relevanter Personalmangel herrscht und die Versorgung der Patientinnen und Patienten nicht mehr gewährleistet werden kann. In diesem Falle soll das Gesundheitspersonal seine Arbeit 48 Stunden nach dem positiven Testergebnis wieder aufnehmen. Die Bedingungen: Betroffene dürfen kein Fieber haben und müssen sich gut fühlen. Laut BAG ist diese Empfehlung eine ultima ratio für die ausserordentliche Lage.

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